Kann dieser Mann den Amis Paroli bieten?

20minuten.ch (28. April 2009) – Heute Nachmittag führt der Berner Steuerbeamte Jürg Giraudi die Schweiz in den Verhandlungen mit den USA über ein neues Steuerabkommen an. Von Giraudis Geschick hängt ab, ob das Land in Zukunft noch ein Bankgeheimnis haben wird, das diesen Namen verdient.

44 Jahre alt, HSG-Absolvent, bei der Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers tätig, später Rechtsspezialist beim Versicherer Axa Winterthur, bevor er im Frühling 2007 zum Leiter für Internationales bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) wurde. Und nun steht Jürg Giraudi, von dem hier die Rede ist, vor seinem Gesellenstück.

Gelingt ihm heute eine restriktive Auslegung der Amtshilfe bei Steuerhinterziehung, kann sich die Schweiz weiterhin eines Bankgeheimnisses rühmen. Im anderen Fall landet auch diese heilige Schweizer Kuh bald im Schlachthof.

Im Kleingedruckten gehts ums Ganze

Die Voraussetzungen für einen Erfolg stehen schlecht, wenn sich Giraudi, der die Schweizer Delegation anführt, heute Nachmittag in Bern mit Kollegen von den US-Behörden zusammensetzt und über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zu feilschen beginnt. Oberflächlich betrachtet geht es lediglich darum, dass die Schweiz in Zukunft auch bei Steuerhinterziehung und nicht nur wie bisher bei Steuerbetrug geheime Bankkunden-Informationen ausliefert – etwas, was das Land nach der Nothilfe für die UBS bereits Mitte März angekündigt hatte.

Doch was nach Vollzug eines Versprechens klingt, das in der Schweiz inzwischen in breiten Kreisen mehr oder weniger als Fait accompli und somit akzeptal betrachtet wird, birgt wahren Sprengstoff im Kleingedruckten. In einem zentralen Punkt geht es nämlich um die Frage, ob die US-Behörden aufgrund relativ allgemeiner, schwammiger Kriterien ganze Ordner voll Kundendaten ausgeliefert erhalten, wie das im Fall UBS passiert ist, oder ob die Schweiz auch unter dem neuen DBA nur bei einem konkreten Verdacht auf Steuerhinterziehung Daten aushändigt.

Die USA können sich auf ein Schweizer Urteil zu ihren Gunsten abstützen
Zu befürchten ist, dass die Amerikaner die Kriterien des UBS-Falls zum minimalen Standard erklären, hinter die sie nicht zurückkrebsen. Dabei hat ihnen die Schweiz gleich selbst das beste Argument geliefert. Das Bundesverwaltungsgericht würdigte in einem Musterprozess die Aushändigung von Daten eines UBS-Kunden und kam dabei zum Schluss, dass Amtshilfe gerechtfertigt wäre. Weil die Daten bereits in den USA lagen, entfachte das Urteil keine Wirkung. Doch es liegt vor und kann von den Amerikanern in der anstehenden Verhandlungsrunde, die laut einem Sprecher der Berner Steuerbehörde mehrere Tage dauern könnte, ausgespielt werden.

«Fishing expeditions» sind erlaubt

Das Bundesverwaltungsgericht kam im Musterprozess zum Schluss, dass der UBS-Kunde direkten Zugriff in die Kasse einer Firma mit Domizil in einem Steuerparadies hatte. Entsprechend handle es sich um ein betrügerisches Konstrukt, bei dem die Schweiz selbst unter alter Gesetzgebung mit der Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug Amtshilfe gewährt. Problematisch am Urteil ist aber, dass die USA mit wenig konkreten Informationen Auskünfte von der Schweiz verlangte. Die Kriterien, nach denen die UBS für die USA rund 250 Kunden ausfindig machte und später via Bern Amerika aushändigte, lauteten: US-Bürger hält in Offshore-Firma US-Aktien.

Amtshilfegesuche mit solchen allgemeinem Kriterien und ohne konkreten Verdachtsnamen nennt man «Fishing expeditions». Die ausländische Behörde wirft ein Netz aus in der Hoffnung, dass durch die generelle Suche nach Kunden, welche in den Raster passen, einige Namen hängenbleiben. Die Schweiz verbietet solche Streifzüge und ist gut beraten, solches auch in Zukunft als nicht amtshilfefähig zu deklarieren. Ansonsten kann von einem Bankgeheimnis nicht mehr die Rede sein.

Giraudi ist möglicherweise durch frühere Hilfeleistung «gefangen»

Doch ausgerechnet der Hauptprotagonist von heute Nachmittag zeigte den US-Behörden letzten Sommer auf, wie sie trotz fehlenden konkreten Kundennamen ein Amtshilfegesuch einreichen konnten, das Aussicht auf Erfolg hatte. Dieser Ausflug Jürg Giraudis nach Washington erweckte bei einigen Anwälten betroffener US-Kunden den Anschein von unerlaubter Hilfeleistung für die USA und könnte nun hartes Verhandeln schwierig machen. Wie will Giraudi «Fishing expeditions» kategorisch ausschliessen, wenn er solche im Fall UBS selbst als amtshilfetauglich bezeichnete?

Letzte Hoffnung könnte ausgerechnet vom Zwergstaat Liechtenstein kommen. Das Fürstentum ist bei der Verteidigung von Steuerhinterziehung als nicht-amtshilfefähigem Delikt längst eingebrochen, schaffte es aber, mit den USA ein eng beschränktes Amtshilfeverfahren abzuschliessen, das allgemeine Streifzüge auf säumige US-Steuerzahler verhindern soll. Nun gilt es abzuwarten, ob sich die Schweiz ans Liechtensteiner Ufer rettet oder tiefer ins Fahrwasser gerät, deren Strömung sich durch den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts verstärkt hat.


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