Versiegelte Dokumente: Elmer schmort und schmort und schmort
20minuten (19. Juli 2011) – Whistleblower Rudolf Elmer sitzt seit sechs Monaten in U-Haft – auch selbstverschuldet: Er hatte wichtige Unterlagen versiegeln lassen, deren Öffnung sich hinzieht. Frei kommt Elmer frühestens im Oktober.
Vor einem halben Jahr verurteilte ein Zürcher Gericht Whistleblower Ruedi Elmer zu einer bedingten Geldstrafe, wegen versuchter Nötigung, Drohung und Bankgeheimnis-Verletzung. Kaum hatte Elmer den Prozess hinter sich, landete er hinter Gittern. Der Ex-Kadermann der Privatbank Julius Bär hatte kurz zuvor an einer stark beachteten Pressekonferenz in London zwei CDs mit 2000 Bankdaten an Julian Assange, Chef der Whistleblower-Plattform Wikileaks, ausgehändigt.
Damit habe Elmer möglicherweise das Schweizer Bankgeheimnis verletzt, begründeten die Zürcher Ermittler Elmers Verhaftung. Seither schmort er in Untersuchungshaft. Es stellt sich die Frage, warum Elmer, der im Drama um den rapiden Zerfall des alten Bankgeheimnisses eher ein Kuriosum als eine spielbestimmende Figur sein dürfte, monatelang hinter Gittern bleiben muss.
Versiegelung verlängert U-Haft
Die Antwort dafür liegt überraschenderweise in Elmers Verteidigungsstrategie. Nachdem nämlich die Polizei am Abend des 19. Januar kistenweise Material von Ruedi Elmer beschlagnahmt hatte, liess Elmers Anwältin, Ganden Tethong, dieses versiegeln.
Damit blieb der Zugriff auf Elmers Dokumente der zuständigen Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsdelikte vorerst verwehrt. «Die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant ist vertraulich und geheim», begründet Tethong ihre Massnahme. «Die Siegelung war notwendig, um das Strafverteidigungsgeheimnis beziehungsweise das Anwaltsgeheimnis zu wahren.» Sind beschlagnahmte Dokumente einmal versiegelt, braucht es ein formelles Entsiegelungsverfahren, um sie zu öffnen oder definitiv als geheim zu klassieren.
Im Fall von Elmer, der bis 2002 Zugang zu Julius-Bär-Daten der Filiale auf den Cayman Islands hatte, verstrich viel Zeit. Das zuständige Gericht bewilligte zwei U-Haft-Verlängerungsanträge der Strafermittler, im Frühling und vor wenigen Wochen. Erst vor zwei Wochen, am 4. Juli, fand vor dem Obergericht die erste Triage des beschlagnahmten Materials statt. Blatt für Blatt wurde aus den Kisten geholt und Elmers Verteidigerin zur Begutachtung überreicht. Dokumente, die vom Richter als schützenswerte Anwaltskorrespondenz beurteilt wurden, blieben versiegelt. Nach den Sommerferien wird das mühselige Verfahren fortgesetzt. Auch elektronische Files müssen im Detail untersucht werden.
Justiz bestätigt Entsiegelungsverfahren
Ein Sprecher der Oberstaatsanwaltschaft begründet die lange U-Haft für Ruedi Elmer mit weiterhin bestehender «Kollusionsgefahr». Das zuständige Zwangsmassnahmengericht befürchte, dass Elmer, einmal in Freiheit, «auf wichtige Beweismittel Einfluss nehmen könnte».
Warum Ermittler und Richter Angst haben, dass Elmer wichtige Dokumente zum Verschwinden bringen könnte, hängt mit dessen Material-Versiegelung zusammen. «Tatsächlich hat das laufende Entsiegelungsverfahren auf diese Beurteilung durch das Zwangsmassnahmengericht einen Einfluss», bestätigt der Sprecher die Bedeutung des Verfahrens in einer schriftlichen Antwort.
Was steht auf Elmers CDs?
Noch während die Entsiegelung läuft, eilen zwei Personen Elmer zu Hilfe. Martin Woods, ein Ex-Scotland-Yard-Detektiv, behauptete letzte Woche gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass sich auf Elmers CDs laut Assange von Wikileaks keine Bankkundendaten befänden.
Assange habe ihm gesagt, dass «eine CD leer sei und die andere absolut keine Bankdaten beinhalten würde», sagte Woods. Auch der amerikanische Anwalt Jack Blum machte sich für Elmer stark und sagte Reuters, dass gemäss seinem Wissensstand «absolut nichts» auf den beiden CDs stehe.
Elmers U-Haft wurde vom zuständigen Richter bis zum 1. Oktober verlängert. Bis dann würde der Rächer des Bankgeheimnisses fast neun Monate in Haft verbracht haben.