Buch Einband

Der UBS-Crash
Wie eine Großbank Milliarden verspielte

240 Seiten, gebunden
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Naturgewalt oder Versagen

Marcel Ospels letzter Auftritt war bühnenreif. Um 10.32 Uhr an diesem 23. April 2008 trat der Mann, der die UBS zuerst groß gemacht und dann an den Abgrund geführt hatte, ans Mikrophon. 4211 Aktionärinnen und Aktionäre in der weiten Halle zu Sankt Jakob in Basel verstummten. Ospel, vor zweieinhalb Monaten 58 geworden, wirkte ruhig, gelassen, innerlich mit sich im Reinen.

Nicht so wie zwei Monate zuvor, als der UBS-Präsident außerfahrplanmäßig die Eigentümer seiner Bank um Hilfe bitten musste. Die sollten Ja sagen zum 13-Milliarden-Investment von zwei reichen Investoren aus dem Nahen und Fernen Osten. Bevor Ospel damals seine Rede begann, stand er eine halbe Minute lang unbeweglich vor dem offenen Mikrophon, atmete tief ein und aus und blickte über den Rand seiner Lesebrille in das tausendköpfige Publikum – wie ein Matador, der den blutenden Stier vor dem Todesstoß mit seinen Augen fixiert.

Von innerer Anspannung, von Verkrampfung oder Überwindung war nun nichts mehr zu spüren, stattdessen sprach Ospel in rauchig-warmem Deutsch mit Basler Kolorit. »Sehr verehrte Aktionärinnen und Aktionäre, schon zum zweiten Mal in diesem Jahr darf ich Sie hier begrüßen, diesmal zur ordentlichen Generalversammlung.« Nüchtern, formal und unspektakulär, so eröffnete der UBS-Präsident die denkwürdige Veranstaltung, bei der er als Versager vom Podest steigen würde, nachdem er zehn Jahre zuvor die UBS zum globalen Finanzkoloss geschmiedet hatte. Es war der dritte Quartalsverlust in Folge, mit dem sich der Gesamtabschreiber der UBS im US-Hypothekenmarkt auf 40 Milliarden Franken summierte. Ospel blieb nur noch die Aufgabe, bei den Eigentümern der Bank um eine weitere Kapitalspritze in Höhe von 15 Milliarden Franken zu betteln, um die dünne Eigenkapitaldecke zu stärken.

Trotz Kapitulation wirkte Ospel souverän. Sogar als jener Moment kam, der für einen Machtmenschen wie den UBS-Präsidenten nur eine persönliche Tragödie bedeuten konnte. Ospel hatte nach ein paar Einführungssätzen erklärt, dass sich Anfang 2008 nicht nur die Ereignisse mit weiteren Milliardenverlusten beschleunigt hätten, sondern eben auch die Maßnahmen. »Ich habe mich deshalb entschlossen, auf die Kandidatur für eine Wiederwahl um ein Jahr zu verzichten.« Die Uhr zeigte 10.41 Uhr, und bevor Ospel vom Manuskript ins Publikum aufschauen konnte, brandete stürmischer Applaus im Saal auf.

Was mag in jenem Moment im Kopf dieses gefallenen Bankenimperators vor sich gegangen sein? War er verbittert, enttäuscht, beschämt? Fühlte er sich unfair behandelt? Nahm er den Unmut und die Wut seiner Aktionäre, denen die Bank gehört, die ihm jahrelang auf die Schulter geklopft und ihm das Vertrauen ausgesprochen hatten, überhaupt richtig wahr? Vielleicht dachte er, die Geschichte würde seine wahre Leistung dereinst bestimmt ins rechte Licht rücken. Oder fühlte er sich wie ein kriegserprobter General, der unzählige Schlachten überstanden hatte und über der niedrigen Masse thronte, der Kritik des Pöbels weit entrückt im Wissen um seine historische Leistung?

Wir können es nicht sagen. In jenem Moment, als Ospels Rücktrittsentscheid mit tosendem Applaus quittiert wurde, blieb sein Gesicht unbeweglich. Er blickte ruhig über die Versammelten hinweg, ernst, aber nicht besorgt; locker, aber nicht überheblich; gelassen, aber nicht ignorant. Als ob er den lauten Gefühlsausbruch des Publikums neugierig wahrnahm, als Zeichen einer momentanen Befindlichkeit.

In Basel machte Ospel den Weg frei. Doch die entscheidenden Fragen blieben vorerst unbeantwortet. Hatte die UBS-Spitze unter Ospels Führung all die Jahre aufrichtig gehandelt, waren fähige Manager am Werk, die lediglich das Pech hatten, in einen Jahrhundertsturm zu geraten? Oder waren sie Leute, die großes Glück hatten, dass sie nicht längst als Hasardeure aufgeflogen waren? Ospel und seine loyalen Mitstreiter zeichneten ihre UBS als solide und vorsichtig operierende Finanzinstitution. Hatten sie die Großbank vielleicht längst unbemerkt in ein gefährliches Kasino verwandelt und erhielten nun die Quittung für ihre halsbrecherischen Wetten? Oder, noch beängstigender: Hatten erst die riskanten Wetten globaler Finanzhäuser wie der UBS zu einer kolossalen Kreditblase geführt, die jetzt mit lautem Knall geplatzt war? Ist, um mit dem deutschen Präsidenten Horst Köhler zu sprechen, aus der globalen Finanzindustrie ein »Monster« geworden, das die übrige Wirtschaft, quasi die reale, in ihrem Wohlergehen und gesunden Wachstum gefährdet?

Als was sich Marcel Ospel sieht, machte der langjährige UBS-Präsident bei seiner Abschiedsvorstellung vor den Aktionären deutlich. Am Ende seiner Rede zeigte er sich zuversichtlich, dass Beobachter und Investoren schon in ein paar Monaten von einem »bösen Sturm« sprechen könnten. »Er hat unsere Segel arg zerzaust«, sprach Ospel, »aber er hat uns nicht vom Kurs abgebracht.« Dann folgte der Schlusssatz, mit dem der Ausscheidende kundtat, als was er in die Geschichte eingehen möchte. »Wer den kalten Wind nicht aushält, der hat auf dem Gipfel nichts zu suchen.« Die Finanzkrise als Naturgewalt, das Ausharren und Dagegenankämpfen als Pflicht der Auserwählten – so urteilt Ospel über Ospel.


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