Euro-Zerreissprobe: Deshalb blickt Spanien in den Abgrund
Die Frau fuchtelt wild herum. Gauner seien sie, diese Banker, die sie aus ihrem eigenen Haus schmeissen wollten. Die simple Botschaft, medial vervielfacht: Hände weg vom Volksvermögen!
Am anderen Ende der Futterkette steht Bankia, ein Konglomerat maroder spanischer Sparkassen. Diese braucht 20 Milliarden Frischkapital, um die Last fauler Hypokredite schultern zu können.
Bankia zeigt auf Schuldner wie die Frau am TV: Wegen solcher unvernünftiger Hauseigentümer sitzen wir in der Tinte. Die wütende Spanierin schmettert zurück: Ihr habt uns in eure Hypofalle gelockt.
Jedes weitere Verschulden wird zum High-risk-Vorhaben
Spanien taumelt. Die Linken unter Ex-Premier José Luis Zapatero haben abgewirtschaftet, die Rechte von Nachfolger Mariano Rajoy ist nach wenigen Monaten bereits auf Schleuderkurs.
Mit Folgen. Fällt Spanien, dann crasht Europa. Der 47-Millionen-Staat ist «Too Big To Fail». Viele europäische Grossbanken mit spanischen Schuldtiteln in den Büchern müssten gestützt werden. Woher die benötigten Milliarden kommen sollen, ist unklar.
Die privaten Investoren stehen längst auf der Bremse. 6 Prozent Risikoaufschläge für spanische Staatsobligationen sind rekordverdächtig und machen jede weitere Verschuldung zum Hochrisiko.
Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Der Trick mit Krediten der Europäischen Zentralbank, wie ihn Rajoy offenbar geplant hat, ist vom Tisch. Am Ende bleibt nur die Hoffnung auf Eurobonds, mit denen Spaniens Schulden auf ganz Euroland verteilt würden. Dagegen stemmt sich Deutschland.
«Deficit spending» versus Gürtel enger schnallen
Die spanische Krise ist gigantisch und lässt die griechische Tragödie wie ein unschuldiges Vorspiel erscheinen. Athen kann durchgefüttert werden, Madrid nicht. Das übersteigt selbst Berlins Kräfte.
Ökonomische Tauben und Falken hacken sich die Augen aus. Meinungsmacher wie Martin Wolf von der Financial Times und Paul Krugman von der New York Times fordern «Deficit spending» der Kingsize-Klasse: noch mehr Schulden, noch mehr Investitionen, noch mehr Konsum, und das alles zu Lasten des Staats. Nur so kann sich Europa vor dem Untergang retten.
Kanzlerin Angela Merkel, die EZB-Notenbanker und der Währungsfonds IWF kontern mit Schuldenabbau und Liberalisierung. Sonst sei jeder investierte Euro hinausgeschmissenes Geld.
Während die Experten streiten, geht Spanien den Bach runter. Gemeinden schalten den Strom ab, Lehrer streiken landesweit, Autonome werfen Eier gegen das politische Personal.
Kater nach 3 Jahrzehnten Viva España
Die Spirale nach unten dreht immer schneller. Jeder vierte Spanier ist arbeitslos, unter den Jungen steht jeder Zweite ohne Job da. Eine verlorene Generation breitet sich aus. Wer Chancen hat, wandert aus.
Der Kater folgt auf 30 Jahre Viva España. Aus dem Siesta-Land an der europäischen Peripherie wurde ein moderner EU-Vorzeigestaat, der Business-Alltag mit Tapas-Ausgang verbindet.
Eine einzigartige Erfolgsstory – auf Sand gebaut
Der Ursprung geht auf Bürgerkriegsgräben zwischen Republikanern und Nationalisten zurück, die nie richtig zugeschüttet wurden. Zwar herrscht seit 70 Jahren Frieden in Iberien. Doch die spanische Demokratie ist nur halb so alt. Bis 1975 hielt Francisco Franco das Land in der Steinzeit.
Nach dem Tod des Generalísimo gabs kein Halten mehr. Die Sozialisten von Felipe Gonzales siegten 1982 und führten Spanien 4 Jahre später in die EU. 1996 übernahm der rechte José Maria Aznar und sorgte für einen Wirtschaftsboom, der Spanien zum Euro-Gründungsmitglied machte.
In den goldenen 2000ern kannten die Spanier nur noch eine Richtung: nach oben. Die Preise für Wohnungen in Madrid schossen auf New Yorker Niveau hoch, an der Mittelmeerküste sprossen Golfresorts und Reihenhaus-Kolonien. Finanzierung? Kein Problem, alles auf Pump der Banken.
Von 16 000 auf 6 000 Punkte in 5 Jahren
Die fiebrige Kurve des Börsenindexes Ibex schoss auf fast 16 000 Punkte hoch, für Unternehmen wie Zara-Eigentümerin Inditex, die Banken Santander und BBVA, Telefonica oder die Erdöl-Firma Repsol wurde der Himmel zum Limit (siehe Grafik).
Mit Ausbruch der grossen Finanzkrise im Sommer 2007 war der Höhepunkt erreicht. Statt das Problem mit faulen Immobilienkrediten in der Höhe von Dutzenden oder Hunderten von Milliarden Euro rasch anzupacken, steckte Spanien erst einmal den Kopf in den Sand.
Als ob die Musik nicht längst zu spielen aufgehört hätte, versprachen Zapateros Sozialisten Anfang 2008 nochmals das Blaue vom Himmel. Zum Dank wurden sie ein zweites Mal gewählt.
Spanischer Turnaround – wie denn, bitteschön?
Irgendwann war die grimmige Realität nicht mehr zu leugnen. Doch da war es für wirkungsvolles Krisenmanagement längst zu spät, daran änderten vorzeitige Neuwahlen letzten Herbst nichts mehr.
Mariano Rajoy und seinem Partido Popular bleiben nur unpopuläre Massnahmen: Lohnkürzungen und Entlassungen beim Beamtenapparat, Investitionsstopp, Umschuldungen.
Das brächte jede Regierung an ihre Grenzen. In Spanien ist der Turnaround erst recht ein Ding der Unmöglichkeit. Das halbe Land hängt am Staatstropf, Kürzungen führen rasch zur Depression. Nun blickt Spanien in den tiefen Abgrund.