Die Ohnmacht der Schweiz vor Datenlecks

20minuten.ch (1. Februar 2010) – Gegen die Verwendung gestohlener Bankdaten ist die Schweiz machtlos. Sie kann laut protestieren, ihre Kooperation aufkündigen oder anderweitig drohen – am Kern des Problems ändert sie dadurch nichts. Packen nämlich Ex-Mitarbeiter aus, ist es um das Schweizer Bankgeheimnis geschehen.

Der Amerikaner Bradley Birkenfeld brachte zuerst die UBS und dann das Schweizer Steuergeheimnis zu Fall, der Liechtensteiner Heinrich Kieber machte den Stiftungen im Fürstentum den Garaus, der Italo-Franzose Hervé Falciani hetzte Frankreich mit Daten der Genfer HSBC gegen die Schweiz auf und könnte auch hinter dem aktuellen deutschen Datenklau stecken.

Zudem ist schon seit Jahren ein Schweizer mit geheimen Informationen auf Tournee. Es handelt sich um Rudolf Elmer, ein Ex-Kadermann von Julius Bär auf den Cayman Islands, der laut New York Times den deutschen Steuerbehörden kürzlich eine Zusammenarbeit anbot. Wer weiss, was Elmer, der ein Buch zu seiner Mission veröffentlichte, noch auslösen wird.

Bretterhütte statt Granitfestung

Allen Fällen ist eines gemeinsam: Ein kaltblütiger Mitarbeiter genügte, um die Mauern des schweizerischen (respektive oder liechtensteinischen) Bankgeheimnisses niederzureissen. Die vermeintlich einsturzsichere Alpengranitfestung von 1934 entpuppte sich im Zeitalter horrender Staatsdefizite und internationalen Kampagnen gegen Offshore-Finanzparadiese als eine lotternde Bretterhütte.

Dieser Tatsache zum Trotz sorgt auch der jüngste Datenklau, mit dem das deutsche Finanzamt Jagd auf seine Steuersünder machen will, für Aufregung im Schweizer Polit- und Wirtschaftsestablishment. Keine Amtshilfe für gestohlene Daten, lautet wie bei der HSBC-Affäre der helvetische Schlachtruf. Doch mehr als ein bereits überholtes Ritual ist das nicht.

Ausland kann auf Schweizer Amtshilfe verzichten

Denn erstens brauchen die Deutschen, ebensowenig wie die Franzosen im HSBC-Fall, gar keine Schweizer Hilfe, sollte sich das Datenmaterial als erstklassig herausstellen. Gemäss der Frankfurter Allgemeinen lassen Stichproben auf besonders fette Beute für die Fahnder schliessen. Die Drohung der Schweizer Behörden, den ausländischen Kollegen bei Verwendung gestohlener Daten keine Amtshilfe zu leisten, zielt daher ins Leere.

Zweitens verraten die schrillen Töne im Inland vor allem die eigene Unsicherheit und die Angst vor den Schäden, welche die herunterdonnernde Lawine verursachen könnte. Angesichts dem Fakt, dass das Land sein Bankgeheimnis in Steuersachen letzten März offiziell aufgegeben hat, wäre von den Regierenden mehr Gelassenheit zu erwarten. Schliesslich hat sich die Schweiz dazu verpflichtet, bei Steuerhinterziehung zu kooperieren.

Doch die Aufregung hat ihren Grund. Denn die März-Deklaration betrifft die Zukunft. In den Fällen Birkenfeld, HSBC und Deutschland steht jedoch die Schwarzgeld-Vergangenheit auf dem Spiel. Dabei geht es um viel Geld für die maroden Staaten auf der einen Seite und die betroffenen Steuersünder auf der anderen. Dazwischen wird der Ruf des Schweizer Finanzplatzes als vertrauensvoller Partner zerrieben.

USA, Franzosen und Deutsche nutzen ihre Chance

Wie weit kann der helvetische Finanzplatz die vergangenen Steuersünden ihrer ausländischen Kundschaft vor dem Zugriff des Fiskus geheim halten?, lautet die entscheidende Frage. Bezüglich US-Kunden gar nicht. Dort gab der Bundesrat auf der ganzen Linie nach und opferte Tausende UBS-Klienten mit einem Kapitulationsvertrag.

Auch gegen den französischen Fiskus erzielte die Schweiz nur dem Schein nach einen Waffenstillstand. Die Franzosen retournierten zwar die gestohlenen Daten, dass sie diese aber nicht verwenden würden, sagten sie selbstverständlich mit keinem Wort. Auch Deutschland machte heute klar, dass es keine Berührungsängste mit solchem Datenmaterial kennen würde.

Totaler Fronteinbruch

Fassungslos erlebt die Schweizer Öffentlichkeit einen totalen Frontzusammenbruch und schaut ohnmächtig zu, wie ihre europäischen Nachbarn den hiesigen Offshoresumpf mit brachialen Mitteln trockenlegen. Angesichts explodierender Budgetdefizite heiligt in deren Augen der Zweck die Mittel. Dass die politische Rechte Deutschlands rücksichtsvoller agieren würde als die Linke, entpuppt als ebenso blauäugig wie die Hoffnung, dass sie die Schweizer Vergangenheit ruhen lassen würde.

Wo endet der Krieg? Liechtenstein liefert Anschauungsunterricht. Der Fall des deutschen Postchefs Klaus Zumwinkel und dessen Offshore-Konten bei der Fürstenbank LGT vor zwei Jahren traf das Ländle mitten im Finanzherz. Zuerst bot Erbprinz Alois den Deutschen die Stirn, kurz danach kapitulierte das Fürstenhaus auf der ganzen Linie, ohne dass dies in der weiten Welt besonders vermerkt wurde. Mit den USA schlossen die Liechtensteiner Ende 2008 eine weit reichende Steuerkooperation an, im März 2009 sprangen sie – einen Tag vor der Schweiz – auf den fahrenden Zug auf und akzeptierten den Amtshilfe-Standard der Wirtschaftsorganisation OECD.

Liechtenstein weist den Weg

Doch speziell ist vor allem das Abkommen mit England, das letzten August folgte. Bis 2015 erhalten englische Kunden Spezialkonditionen für eine Selbstdeklaration, im Gegenzug verpflichtet sich das Fürstentum, nur noch versteuerte Vermögen anzunehmen. Die Garantie Liechtensteins kommt einer Aufgabe der zweiten Komponente des Bankgeheimnisses gleich, jener des Schutzes der Privatsphäre. Hätten die Liechtensteiner nicht Hand zum weitreichenden Kompromiss geboten, ihre Schwarzgeld-Vergangenheit wäre vermutlich ebenfalls unter Beschuss geraten.

Von einer solchen endgültigen Bankgeheimnisaufgabe und dem daraus vermutlich folgenden automatischen Informationsaustausch, wie ihn die EU anstrebt, wollen die Schweizer Behörden vorerst nichts wissen. Doch mit jeder Attacke mit geraubten oder anderweitig erhaltenen Bankdaten steigt der Preis für das Festhalten am letzten Stück Bankgeheimnis – in Form von Imageschäden, Abnützungskämpfen und Verunsicherung. Der Bankgeheimnis-Goldklumpen hat sich in einen Mühlstein verwandelt.


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