«Wunder vom Hudson»: «Sully» packt aus

20minuten.ch (9. Juni 2009) – Heute um 9 Uhr Ortszeit (15 Uhr Schweizer Zeit) beginnt in Washington eine dreitägige Konferenz zur Notlandung des Airbus 320 auf dem Hudson River. Pilot Chesley Sullenberger, der Held von Flug 1549, berichtet dabei von seinem Manöver, das jetzt schon in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Am Nachmittag des 15. Januars dieses Jahres überflog eine Formation kanadischer Gänse in etwa 1000 Meter Höhe den New Yorker Stadtteil Bronx. Wie viele der Vögel heute noch leben, ist unbekannt. Sicher ist, dass einige besonders fette Exemplare der Tiere an jenem Wintertag in den Turbinen des Airbus A320 von Flug US Airways 1549 starben. Sie stehen damit am Anfang einer der grössten Happy-Ends der jüngeren Aviatik-Geschichte.

Piloten, Experten, Passagiere, Techniker – alle treten auf

Was dann passierte, wird ab heute in einer Konferenz des amerikanischen National Transportation Safety Boards (NTSB), der zuständigen US-Flugbehörde, im Detail und vor laufender Kamera ausgeleuchtet. Am Sitz der Behörde mitten in der US-Hauptstadt, wenige Strassenzüge vom Capitol entfernt, werden unzählige Experten, Piloten, Techniker, Manager, Passagiere usw. von den NTSB-Zuständigen befragt.

«Es geht nicht darum, Verantwortliche oder Schuldige zu finden», sagt NTSB-Sprecherin Bridget Serchak gegenüber 20 Minuten Online, «sondern die Untersucher wollen die Chance nutzen, allen involvierten Personen möglichst viele Fragen zu stellen.»

Als Erster tritt jener Mann auf, der in jenen Minuten im vergangenen Januar innert Minuten vom unbekannten Piloten zum nationalen Helden eines von missratenen Kriegen, unwürdigen Foltermethoden und lähmenden Finanzkrisen gebeutelten Imperiums mutierte. Airbus-Kapitän Chesley «Sully» Sullenberger galt mit über 19 000 Flugstunden als erfahrener Pilot, der seit rund 30 Jahren in Diensten von US Airways stand und auch als Ausbildner von Nachwuchskräften tätig war.

Vogelschlag brachte das Flugzeug zum Schweigen

«Plötzlich verloren beide Triebwerke Schub», würde Sullenberger in einem TV-Interview einige Tage nach seinem Meisterstück die ersten Schreckenssekunden im Cockpit schildern, als seine Maschine von «Vogelschlag», wie das in der Piloten-Fachsprache heisst, getroffen wurde. Sofort sei «eine sehr ernsthafte Situation» entstanden, sagte Sullenberger.

Sullenberger stand 8 Tage vor seinem 58. Geburtstag. Als der Dienstältere im Zweier-Cockpit fackelte er nicht lange, ergriff das Steuer, prüfte die Optionen für eine Notlandung. Die nächstgelegenen Flughäfen waren mit dem schweren, jetzt nur noch segelnden Airbus nicht mehr zu erreichen. Sie lagen bereits ausser Reichweite. Rasch kam das glitzernde Wasser des breiten Hudson-Flusses näher. Auf ihm war viel Platz, die paar Fähren drückten sich gerade nahe ans Ufer.

It’s the gravity, stupid

Wie es möglich gewesen sei, einen Jet aus Aluminium mit vielen Tonnen Gewicht ohne Turbinen sicher nach unten zu steuern, wollte der TV-Interviewer in der Sendung nach der geglückten Landung wissen. Sullenberger, der in der Freizeit auch Segelflugzeuge pilotiert, blickte den Journalisten aus sanften Augen und mit neckischem grauen Schnurrbart an und meinte lakonisch: «Wir nutzten die Erdanziehungskraft, um das Flugzeug am Fliegen zu halten.»

Kurz darauf zeichneten verschiedene Kameras auf, wie Kapitän Sullenberger den Airbus mit 155 Personen an Bord in leichter Rücklage auf der glatten Wasseroberfläche aufsetzte und in einer riesigen Fontäne innert weniger Meter zum Stillstand brachte. Wieso er so sicher gewesen sei, das Kunststück einer Notwasserung vollbringen zu können, wollte die zweite Interviewerin wissen. Worauf Sullenberger wie im ganzen Gespräch vor Millionen von Zuschauern kurz und nüchtern antwortete: «Wegen meiner Erfahrung. Ich wusste einfach, dass ich es schaffen würde.»

Berichte verstauben, Legenden blühen

Das bis Donnerstag dauernde Hearing beendet den ersten Teil der Unglücksuntersuchung. Nach dem Auftritt von Sullenberger und vielen weiteren Personen werten die Spezialisten des National Transportation Safety Boards die Aussagen und sämtliche übrigen Informationen aus. In einigen Monaten werden sie diese in einem internen Meeting dem Board und Mitarbeitern der Behörde präsentieren. Daraus entsteht ein Bericht, der unter anderem Empfehlungen bei Vogelschlag und für Notwasserungen enthalten wird.

Wenn das Papier längst verstaubt im Archiv liegt, wird den Passagieren von Flug 1549 und vielen Amerikanern und Menschen in aller Welt einer in lebendiger Erinnerung bleiben: der Held vom Hudson, Kapitän Chesley «Sully» Sullenberger.


Einen Kommentar schreiben