Zögling von Alex Widmer wird Bank-Bär-Chef

20minuten.ch (31. März 2009) – Der 35-Jährige Boris Collardi wurde vom Verwaltungsrat der drittgrössten Schweizer Bankengruppe Julius Bär überraschend zum Chef des Private-Bankings und damit zum CEO der Bank Julius Bär gekürt. Collardi gilt intern als wenig versiert im klassischen Bankgeschäft.

Boris Collardi habe das Zeug zum CEO, sagte vor ein paar Monaten ein Julius-Bär-Manager im vertraulichen Gespräch. Nun hat es der Jungtürke geschafft. Collardi, der unter dem aus dem Leben geschiedenen Alex Widmer eine steile Karriere gemacht hatte, übernimmt das Steuer der Bank Julius Bär. Er tritt in grosse Fussstapfen – zu grosse?

Wenig Kundenerfahrung

Einige Bär-Banker würden dies bejahen. Collardi stammt aus der Credit-Suisse-Schule, schon bei der Grossbank stieg er unter seinem Mentor Widmer die Karriereleiter hoch und folgte diesem 2005 zur Julius Bär. Collardi erhielt den Titel eines COO, ausgeschrieben Chief Operating Officer, und war in dieser Funktion zuständig für viel Technisches und Administratives: IT, Marketing, Kommunikation, Rechtliches, Immobilien, Personelles.

Im Unterschied zu den Gebietsleitern war COO Collardi hingegen nicht direkt für die Kunden zuständig. Darin unterscheidet er sich am stärksten von seinem Mentor. Widmers Vorliebe galt jenen Personen, die dafür sorgen, dass die Bank Gewinne erzielte und die stolzen Löhne der Mitarbeiter bezahlt werden konnten. Widmer reiste oft, am liebsten durch Fernost, besuchte die wichtigsten Kunden, kannte die Kundenberater der Konkurrenten und zog viele von diesen zur Julius Bär – häufig mit üppigen und garantierten Boni.

«Profunde Kenntnisse des Geschäftsmodells»

Trotz diesem Manko sieht die Bär-Führung in Collardi den geeigneten Mann, nach Widmers Ableben und der Reaktivierung von Hans de Gier, dem früheren CEO der Bär-Gruppe und interimistischen Chef der Bank Julius Bär, das Private-Banking in die Zukunft zu führen. «Dank seinem ausgezeichneten professionellen Leistungsausweis und seinen profunden Kenntnissen des Geschäftsmodells der Bank Julius Bär kann Boris auf die uneingeschränkte Unterstützung sowohl des Managements als auch der gesamten Organisation zählen», sagt Julius-Bär-Präsident Raymond Bär in einem Communiqué von heute morgen.

Interne Kritiker zeichnen ein anderes Bild vom Schweizer Shootingstar. Collardi habe entscheidende Projekte insbesondere in der IT nicht voran getrieben. Unter Widmers Führung stoppte Julius Bär eine Grossinvestition in die Software der Firma Avaloq und führte lediglich Kosmetik an den bestehenden Programmen durch. Die IT sei längstens in die Jahre gekommen, doch Collardi, der als COO eine wichtige Verantwortung für diesen Bereich gehabt habe, habe keine Initiativen zur Erneuerung ergriffen.

Ungebremst in die Krise

Schwerer wiegen die Vorwürfe an die Adresse Collardis bezüglich dem bis zu Widmers Ableben ungebremsten Expansionskurs. Die Bank Julius Bär hat im letzten Jahr trotz riesigen Abschreibern in der Finanzindustrie ungebrochen an weiteres Wachstum geglaubt und Büro um Büro rund um den Globus eröffnet. Der Verwaltungsrat zog erst im Dezember die Notbremse und verfügte einen Expansionsstopp.

Für diese Fehleinschätzung soll Collardi massgeblich mitverantwortlich sein, monieren interne Bär-Manager. Er habe den forschen Ausbau unter Widmer mitgetragen und unterstützt und sei nie durch kritische Äusserungen aufgefallen.

De Gier wollte den Job wohl rasch loswerden

Dass Collardi trotzdem den obersten Job für den Privatbankenteil der Gruppe erhält, führen interne Bär-Leute auf die schwierige Lage nach Widmers Tod zurück. Interims-CEO de Gier sei nicht bekannt dafür, schwierige Aufgaben im Innenbereich einer Bank bewältigen zu wollen. Dafür fehle ihm schlicht das nötige Interesse am Mikro-Management. De Gier, der als Architekt der grossen Übernahme von drei Privatbanken und dem Asset-Manager GAM von der UBS im Jahr 2005 gilt, sei eher der Mann der grossen strategischen Würfe als des harten Alltagsbrots, sagen diese Beobachter. De Gier zieht sich auf den Job als Präsident von GAM zurück.

Nun muss Collardi die Bank Julius Bär restrukturieren. Möglicherweise müssen die Zürcher gar frisch eröffnete Niederlassungen in Lateinamerika, Europa, im Mittleren Osten, in Russland oder eventuell sogar in Asien schliessen. Für diese Aufgabe ist nicht nur hartes Durchgreifen nötig, sondern auch die richtige Einschätzung der Zukunft und der daraus abzuleitenden Chancen und Risiken. Ebenfalls muss der neue CEO eine Meinung entwickeln zur Grosswetterlage bezüglich Bankgeheimnis. Julius Bär hat sich mit Leib und Seele aufs Geschäft mit vermögenden Kunden aus aller Welt verschrieben, die ihr Geld in der Schweiz anlegen wollen.


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