«Maschinen halt!» lautet die Order

20minuten.ch (12. Februar 2009) – Der Abschied von Jacques Aigrain als Konzernchef des Rückversicherungs- Konzerns war lange gefordert worden – und geschah doch plötzlich schnell. Er ist ein Eingeständnis einer gescheiterten Strategie. Der Neue, Stefan Lippe, muss eine kleinere und fokussiertere Swiss Re schaffen.

Das Ende an der Spitze hat sich abgezeichnet. Als der Sturz heute morgen bekannt wurde, überraschte er trotzdem. Jacques Aigrain, 54, von Haus aus Investmentbanker, gibt seinen Führungsjob beim schlingernden Rückversicherungsmulti Swiss Re per sofort ab.

Der Neue verkörpert das Gegenteil des Abtretenden

Sein Nachfolger auf dem Konzernchefsessel heisst Stefan Lippe, ein 53-jähriger Deutscher, der seit 13 Jahren bei Swiss Re zur obersten Leitung gehört und für Aussenstehende das Gegenteil seines Vorgängers verkörpert: ein bodenständiger Versicherungsprofi, der nichts am Hut hat mit komplexen, wenig durchsichtigen Finanzprodukten, die der Swiss Re das Genick gebrochen haben.

Tatsächlich endet die Ära Aigrains mit einem Scherbenhaufen. Die noch vor einem Jahr stolze Finanzunternehmung, die sich als der Welt genialste Risikomanagerin verstanden hatte, ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

Der Aktienkurs stürzte von 120 Franken Mitte 2007 auf unter 20 Franken. Wie die UBS zeichnete auch die Swiss Re von sich selbst das Bild eines risikoscheuen Konzerns, der zwar schnell gewachsen sei, sich in seinem Geschäftsgebaren aber immer mit Vorsicht ans Werk gemacht habe.

Swiss Re wie UBS: Das Unternehmen hat sich selbst verleugnet

Das Gegenteil trifft zu. Unter Aigrains Führung verwandelte sich die vermeintlich vorsichtige und zurückhaltende Swiss Re in eine Anbieterin komplexer Finanzprodukte. Man wollte nicht mehr einfach der kompetente Erstversicherer gegen Grossschäden in Gesundheits- und Sachgeschäften sein, sondern sah sich mehr und mehr als Spezialistin für Rückversicherungen finanzieller Risiken.

Insbesondere mit zwei Konstrukten, mit denen die Swiss Re ihren Kunden Versicherungsschutz gegen Kreditausfälle angeboten hatte, erlitt das Unternehmen mit Sitz am Zürichsee Schiffbruch. Allein 2008 entstanden auf den beiden Vehikeln Verluste über 2 Milliarden Franken.

Warren Buffetts Schnäppchendeal

Vor Wochenfrist stand dem zweiten grossen Opfer des Finanzplatzes Zürich das Wasser bis zum Hals und brauchte dringend eine Rettung durch einen starken Investor. Statt wie bei der UBS der Schweizer Staat war es im Fall der Swiss Re der amerikanische Milliardär und Versicherungsunternehmer Warren Buffett, der frische Milliarden als Kapital zur Verfügung stellte.

Buffet lässt sich sein Engagement mit 12 Prozent verzinsen und kann den angebotenen 3-Milliarden-Kredit zu einem attraktiven Kurs in Aktien wandeln. Die Bedingungen sind derart vorteilhaft für den Geldgeber, dass Buffett ab 2012 über 20 Prozent an Swiss Re besitzen könnte. Damit würde das Unternehmen, das noch vor kurzem viel zu teuer war, für eine Übernahme, zu einem Schnäppchenpreis unter fremde Kontrolle geraten.

Oberste Verantwortung liegt bei Walter Kielholz und Peter Forstmoser

Die Verantwortung für das Debakel liegt allerdings nicht allein beim glücklosen schweiz-französischen Doppelbürger und Ex-JP-Morgan-Manager Aigrain. Vielmehr hat die oberste strategische Leitung des Finanzkonzerns die Weichen Ende der 90er Jahre derart gestellt, dass ein Fiasko möglich wurde. Unter ihrem starken Mann Walter Kielholz, dem heutigen Vizepräsidenten des Unternehmens, wurde sich Swiss Re untreu und expandierte in unbekannte Gewässer.

In der Welt des schnellen Dollars verspielte die Swiss Re ihr Kapital

Kielholz war der Protégé des damaligen Swiss-Re-Präsidenten Ulrich Bremi, der den einstigen CS-Banker gewähren liess. Als Bremi von der Brücke trat und die Kapitänsmütze dem Zürcher Wirtschaftsanwalt Peter Forstmoser übergab, hatte Kielholz freie Bahn. Zusammen mit seinem Zögling Aigrain setzte er das Kapital des Multis mehr und mehr auf undurchsichtige Geschäfte in der Welt des Bankings und Handelns – und verlor zuerst den Überblick und dann das Kapital.

Nun blieb dem Swiss-Re-Führungsduo Kielholz und Forstmoser nur noch die Notbremse, wollten sie nicht selbst den Untergang riskieren. Sie schicken Steuermann Aigrain von Bord, setzen Stefan Lippe ein und geben die Order an die Mannschaft durch: Maschinen halt.


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