Zu sanft fürs Landen
In Alain Rossiers Amtszeit als oberster Luftraumüberwacher fallen eine menschliche Tragödie und zwei gescheiterte Grossprojekte. Fliegt er bald selber?Am vergangenen Freitag tagte der Verwaltungsrat der Schweizer Luftraumüberwachung Skyguide. Vorgeladen waren Direktor Alain Rossier und seine Kollegen aus der Geschäftsleitung. Traktandum: die Inbetriebnahme einer neuen Hightech-Zentrale in Genf, von wo aus der obere Luftraum hätte überwacht werden sollen. Hätte, denn das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) entschied Mitte März, wenige Stunden vor dem Startschuss, die Liveschaltung des neuen Systems aus Sicherheitsgründen zu sistieren (Weltwoche Nr. 12.06). Am Tag nach dem Veto des Bazl brach in der Skyguide-Nebenstelle Zürich das Chaos aus, weil sie nicht darauf vorbereitet war, den Betrieb fortzuführen, berichtet die NZZ am Sonntag. Der Flop dürfte auch im Ausland zu reden geben. «In der Industrie nahm man erstaunt zur Kenntnis, dass es kein Ausweich-Szenario gab», sagt Skyguide-Lotse Marc Baumgartner, der nebenamtliche Präsident des internationalen Fluglotsenverbands.
Am vergangenen Freitag tagte der Verwaltungsrat der Schweizer Luftraumüberwachung Skyguide. Vorgeladen waren Direktor Alain Rossier und seine Kollegen aus der Geschäftsleitung. Traktandum: die Inbetriebnahme einer neuen Hightech-Zentrale in Genf, von wo aus der obere Luftraum hätte überwacht werden sollen. Hätte, denn das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) entschied Mitte März, wenige Stunden vor dem Startschuss, die Liveschaltung des neuen Systems aus Sicherheitsgründen zu sistieren (Weltwoche Nr. 12.06). Am Tag nach dem Veto des Bazl brach in der Skyguide-Nebenstelle Zürich das Chaos aus, weil sie nicht darauf vorbereitet war, den Betrieb fortzuführen, berichtet die NZZ am Sonntag. Der Flop dürfte auch im Ausland zu reden geben. «In der Industrie nahm man erstaunt zur Kenntnis, dass es kein Ausweich-Szenario gab», sagt Skyguide-Lotse Marc Baumgartner, der nebenamtliche Präsident des internationalen Fluglotsenverbands.Nach der Verwaltungsratssitzung vom Freitag wirkte der 47-jährige Rossier zerknirscht, erzählen Mitarbeiter der Skyguide. Sie fragen sich, wie lange sich ihr Direktor noch auf seinem Stuhl halten kann. Die Frage ist erlaubt, denn Rossier hat in seinen fünf Jahren als oberster Luftraumüberwacher zwei technische Grossflops und eine menschliche Tragödie zu verantworten.
So musste Skyguide bereits im Sommer 2004 ein gross angekündigtes Prestigeprojekt schubladisieren. Atmas hiess es, Air Traffic Management System; ein 100-Millionen-Franken-Projekt, das alle existierenden Computer-Systeme hätte ablösen sollen. Hätte, denn der Plan misslang. Jahrelang war daran gearbeitet worden, dann wurde das teure Projekt ersatzlos gestrichen. Man habe einen Grossteil der Entwicklungsarbeiten für andere Aktivitäten verwenden können und müsse lediglich 25 Millionen Franken abschreiben, liess Skyguide damals mitteilen. Intern verlautet heute indes anderes. Verwendbar sei praktisch nichts, der Verlust belaufe sich auf total 60 Millionen Franken, sagt ein Skyguide-Kadermann der Weltwoche.
Alain Rossier selber war es, der diesem Projekt höchste Priorität eingeräumt hatte. Kurz nach seinem Stellenantritt Anfang 2001 liess der neue Direktor jeden Kaderangestellten unbedingtes Engagement für das Gelingen von Atmas bezeugen per Unterschrift. Wer sich zierte, riskierte die Entlassung. Mit der Hilfe von Atmas, begründete Rossier seine Prioritätensetzung, könne sich Skyguide als innovatives und leistungsfähiges Unternehmen für den sogenannten Single European Sky positionieren: Schon lange arbeiten die Behörden der Europäischen Union daran, die Bewirtschaftung des europäischen Luftraums zu vereinfachen. Heute reichen 67 verschiedene Kontrollzentren die Jets weiter und verursachen dadurch Kosten für die Airlines. In Zukunft sollen es nur noch zwanzig solcher Zentren sein. Mit seinem Atmas-Prestigeprojekt wollte Rossier beweisen, dass die Schweizer Luftüberwacher technologisch zur Spitze zählten und ihnen eine Leaderrolle in der zukünftigen Luftraum-Landschaft gebühre. Das grandiose Scheitern hatte keine personellen Konsequenzen.
Auch das Gegenteil ist wahr
Denkbar, dass Rossier damals von dem Umstand profitierte, dass seine Firma mit der Bewältigung des Flugzeugunglücks von Überlingen beschäftigt war und der Verwaltungsrat keine Führungskrise riskieren wollte. Im Sommer 2002 waren zwei Grossjets in 11000 Meter Höhe über dem Bodensee zusammengeprallt. 71 Personen, darunter mehrheitlich russische Kinder, verloren ihr Leben. Der diensthabende Skyguide-Lotse wurde anderthalb Jahre später von einem Russen getötet, dessen Angehörige beim Crash gestorben waren. Rossier musste gegenüber den Hinterbliebenen Mitgefühl zeigen, ohne die Verantwortung für die Tragödie übernehmen zu dürfen. Man befürchtete, dass die Schweizer sonst für den Schaden haftbar gemacht werden könnten.
Der Spagat gelang, Alain Rossier gab das Bild eines Managers ab, der zwar den Zwängen seines Amtes unterliegt, es aber trotzdem schafft, Empathie zu zeigen. Während sein sanftes Wesen für die Bewältigung der Katastrophe vorteilhaft war, entpuppt sich diese Eigenschaft, glaubt man Skyguide-Angestellten, nun als Handicap. Der Skyguide-Chef sei zu unsicher und entscheidungsschwach, berichten übereinstimmend mehrere Mitarbeiter, und er überlasse das Feld seinen Direktunterstellten.
Vor allem einer, der Leiter des operativen Tagesgeschäfts, der seit drei Jahrzehnten in der Firma tätig ist, schalte und walte nach Belieben. So komme es, dass Direktor Rossier den Angestellten Zugeständnisse mache, um kurz darauf, nach Rücksprache mit diesem Leiter, das Gegenteil zu beschliessen.
Alain Rossier will sich nicht zu den Vorwürfen äussern. Sein Sprecher Patrick Herr räumt ein, dass die neue Panne mit dem Kontrollzentrum in Genf zu einem Vertrauensverlust beim Personal geführt habe. «Nun braucht es Arbeit, Gespräche und Überzeugung.» Ob Präsident Guy Emmenegger, seit 2004 Präsident von Skyguide, noch genügend Vertrauen in Rossier hat, muss offen bleiben. Emmenegger liess mehrere Anfragen unbeantwortet. Das zuständige Verkehrsdepartement richtet aus, dass personelle Fragen «in der Kompetenz des Skyguide-Verwaltungsrates» lägen.