Ein Himmelfahrtskommando

Die neue Zürcher Flughafenverantwortliche Rita Fuhrer kämpft für ein Ende der Südanflüge. Sie weiss aber, dass die nördliche Variante kein tauglicher Ersatz ist.

Am 17. März dieses Jahres schlug die neue Chefin zum ersten Mal mit der Faust auf den Tisch. Derart missfiel Rita Fuhrer, was ihr die Experten zum Schluss des zweitägigen Workshops präsentiert hatten ­ seit Anfang Jahr ist sie Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin und somit oberste Flughafenpolitikerin: «Sie sagte uns, wir könnten das ganze Projekt gleich in der Schublade verschwinden lassen, wenn wir keine besseren Vorschläge hätten», erinnert sich ein Teilnehmer. Fuhrer hatte gehofft, dass das Projekt „Relief“ aufzeigen würde, wie in Kloten langfristig ohne Landungen von Süden, über die Dächer der reichsten und politisch einflussreichsten Zürcher, geflogen werden könnte. Und dies, ohne dass die Zahl der Flüge eingeschränkt werden müsste. «Vielleicht», so der Sitzungsteilnehmer, «hatte Frau Fuhrer damals noch nicht begriffen, dass am Flughafen schon lange kein Ei des Kolumbus mehr versteckt liegt.»

Sechs Wochen später hat Fuhrer offenbar verstanden. In der Heslihalle in Küsnacht, einer der teuersten Ortschaften am rechten Zürichseeufer, der so genannten Goldküste im Süden Zürichs, tritt sie Ende April an einem Podiumsgespräch zu den Südanflügen auf. Die Halle ist bis auf den letzten Platz gefüllt, über 300 Zuschauer haben hierher gefunden, um von der Regierungsrätin Trost und Hoffnung auf eine baldige Rückkehr zu den lärmfreien Zeiten zu erfahren. Kurz nach acht erhält sie das Wort erteilt. Sie bedankt sich höflich für die Einladung, um sogleich mit einem Werbespot in eigener Sache loszulegen. Mehr als zwei Jahre lang habe man vom gekröpften Nordanflug (gemeint ist der Bogenanflug dem südlichen Rheinufer entlang) als Alternative zum Südanflug gesprochen, doch wenig sei zu dessen Einführung unternommen worden. «Am 9. März habe ich öffentlich klar gemacht, dass dieses unwürdige Schwarzer-Peter-Spiel aufhören müsse. Inzwischen konnten wir die Dauer für eine Einführung von zwölf auf noch sieben Jahre verkürzen.» Kaum ausgesprochen, erfüllt lautes Gelächter den Saal. Die Nachricht, dass ihr Martyrium nur sieben statt zwölf Jahre dauern würde, ist nicht gerade das, was die Menschen heute Abend zufrieden stellen kann. Am liebsten morgen, spätestens in einem Jahr soll die «Gerechtigkeit» wiederhergestellt sein. Rita Fuhrer rückt auf ihrem Stuhl nach vorn, steht auf die Zehen, presst den Oberkörper gegen die Tischkante, bereit zum Gegenangriff. «Die Vorbereitungen für den Südanflug dauerten ebenfalls lange, nur haben Sie das nicht bemerkt.» Lautes Stimmengewirr, Buhrufe, schon nach fünf Minuten kocht der Saal. Dass die Südanflüge, die in den Augen der Betroffenen mittels verbotenen Notrechts über Nacht verordnet wurden, während Jahren im stillen Kämmerlein entwickelt worden sein sollen, empfinden die Anwesenden als blanken Hohn. Der Moderator muss um Ruhe bitten. Nicht zum letzten Mal.

Der Verteilungskampf ist entschieden

«Lovely Rita», wie die Zürcher Presse die einstige Bundesratskandidatin der SVP wegen ihrer charmanten Auftritte nennt, ist bereit, sich unbeliebt zu machen. An Dutzenden von Meetings mit der Airport-Betreiberin Unique, der Flugsicherung Skyguide und der Heimfluggesellschaft Swiss trichterten ihr die Experten ein, dass der gekröpfte Anflug kein valabler Ersatz für die computerunterstützten, schnurgeraden Landeverfahren von heute sein könne. Zu gering seien die Kapazitäten, zu ungenau die Routen im Endanflug, viel zu hügelig das Gelände. «Für einen Interkontinentalflughafen wie Kloten wäre ein gekröpfter Anflug als Hauptlande-Route schlicht unwürdig», sagt ein Skyguide-Manager.

Inzwischen scheint Rita Fuhrer den Spezialisten Glauben zu schenken. Sie sagt überall ­ in Küsnacht, in Interviews, im Regierungsratskollegium ­, dass der «Gekröpfte» nur eine Entlastung bringen, aber eben kein Ersatz für die Süd-anflüge sein werde. Damit verhindert sie ­ im Unterschied zu den vielen nicht eingelösten Versprechen früherer und jetziger Flughafenverantwortlicher ­, dass sich die Menschen falsche Hoffnungen machen. Doch genügt das bereits, um einen Ausweg aus der Krise zu finden? Was ist Frau Fuhrers Strategie, sollte sich der «Gekröpfte» als Placebo für die Bevölkerung entpuppen? Ein paar wenige Flüge von Norden, um den Süden stillzuhalten?

«Sie hat keine Strategie», antwortet ein früherer Mitarbeiter ihres Vorgängers, des heutigen Polizeidirektors Ruedi Jeker. Der FDP-Regierungsrat musste Fuhrer die Leitung der Volkswirtschaftsdirektion Anfang Jahr überlassen. Jeker hatte die Aufgabe nach seiner Wahl im Jahr 1999 mit Pauken und Trompeten angepackt und den Wählern versprochen, aus Lärmbetroffenen Flughafenbeteiligte zu machen. Nach vier Jahren war Jeker grandios gescheitert, weil sich die reichen Südgemeinden nicht zu Betroffenen machen wollten. Dass diese an allen Ausbauschritten des Flughafens zur grossen europäischen Drehscheibe dank ihrer wuchtigen Unterstützung an der Urne massgeblich beteiligt waren, interessierte plötzlich nur noch die Geschichtsschreiber.

Im Unterschied zu Jeker verzichtete Fuhrer nach der Übernahme der neuen Funktion darauf, einen eingängigen Spruch zu prägen. Sie machte sich lediglich stark für Alternativanflüge und hielt sich ­ einige behaupten, sie verstecke sich ­ an die regierungsrätliche Forderung nach einem Wachstum ohne einschneidende Grenzen. Ihr sei es lieber, wenn alle mit klaren Vorstellungen in die grosse Vermittlungsarena stiegen, begründet sie ihr Verhalten. Dass Kompromissbereitschaft die wichtigste Voraussetzung für die anstehende Mediation ist, blendet Fuhrer offensichtlich aus. Werden alle Teilnehmer von ihrer Klientel mit Maximalvorgaben mandatiert, wird die Lösungsfindung noch schwieriger.

Vertan ist damit gleichzeitig die Chance, mit dem Wechsel des Flughafendossiers von Jeker zu Fuhrer eine schmerzvolle Konsequenz jahrzehntelangen Missmanagements auszusprechen: Dass nämlich die Verteilung des Zürcher Fluglärms, so wie sie heute besteht, kaum mehr rückgängig zu machen ist. Im Interview mit der Weltwoche verneint Rita Fuhrer zwar, dass die Südanflüge bereits zum Definitivum geworden seien. Doch nachdem die Zürcher Politiker und ihre Airport-Manager die Forderungen der süddeutschen Lärmbetroffenen lange Zeit in den Wind geschlagen und den als Kompromiss offerierten Staatsvertrag abgelehnt hat-ten, ist ein Entgegenkommen Deutschlands nur noch Wunschdenken. In diesem Fall aber bleibt die Nordgrenze zu den Randzeiten für immer geschlossen, und ein Teil der Anflüge ­ je nach Entwicklung hat das Fluglärm von zwei bis vier Stunden pro Tag zur Folge ­ muss vom Süden respektive Osten übernommen werden (der Westen wird vor allem für Starts gebraucht). Vielleicht hätte sich ein Politiker mit mehr überparteilicher Unterstützung und Erfahrung getraut, der Bevölkerung diesen reinen Wein einzuschenken. Rita Fuhrer tat es nicht, stattdessen hielt sie sich strikt an die Vorgaben des Regierungskollegiums.

Alte Weisheiten greifen nicht mehr

Überraschend kommt das nicht. Fuhrer wird eine enge Verbindung zu Justizdirektor Christian Huber, ihrem Parteikollegen von der Volkspartei, nachgesagt. Und dieser wiederum verstehe sich äusserst gut mit dem Präsidenten der Flughafengesellschaft Unique, Andreas Schmid, behaupten Mitarbeiter der Zürcher Verwaltung. Schmid ist Mitglied des einflussreichen Stadtzürcher Rotary-Clubs, eines Netzwerkvereins, dem auch Rita Fuhrer angehört. Die drei ­ Fuhrer, Huber und Schmid ­ zählen zu den Schwergewichten im achtköpfigen Unique-Verwaltungsrat und bestimmen dort den Kurs der Zürcher Flughafenpolitik. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht kein Zufall, dass Rita Fuhrer die klassische Argumentation der Zürcher Flughafenlobby schon nach kurzer Zeit eins zu eins übernommen hat. Man dürfe den Airport nicht nur auf die Lärmfrage reduzieren, sondern müsse sich immer auch die wirtschaftliche Bedeutung vor Augen führen. An der Veranstaltung in Küsnacht sagte Fuhrer: «Entweder behält Kloten eine minimale Grösse, oder es droht der Konkurs. Dann müssen wir aber auch akzeptieren, dass es mit dem Standort Zürich runtergeht.» «So ein Quatsch», murmelte eine Zuschauerin mittleren Alters, «was für ein Senf», brummelte der Mann ein paar Sitze daneben, und einige Reihen weiter vorne schüttelte ein Besucher heftig den Kopf. Glaubt Rita Fuhrer wirklich, die Bevölkerung von der einst unbestrittenen Gleichung «Grosser Flughafen gleich blühendes Zürich» ein weiteres Mal überzeugen zu können?

«Ich trage nicht zwei verschiedene Hüte»

Die politischen Talente der Rita Fuhrer blieben lange verborgen. Sie war Mutter, Hausfrau, eine Zeit lang verfasste sie Artikel als freie Journalistin. Vor 18 Jahren zog sie mit ihrem Mann und den drei Söhnen von Beckenried am Vierwaldstättersee nach Pfäffikon ins Zürcher Oberland und trat als Politikerin für die Schweizerische Volkspartei in die dortige Schulpflege ein, deren Präsidentin sie später wurde. Es war dies die Zeit, als der SVP-Express im Kanton Zürich rasch an Fahrt gewann. Davon profitierte auch Fuhrer, die zuerst in den Kantonsrat und 1995 in die Zürcher Regierung gewählt wurde. Seither wurde sie zweimal problemlos im Amt bestätigt.

Im Gespräch wird spürbar, warum es die 51-Jährige bis in die oberste politische Exekutive des Wirtschaftskantons geschafft hat. Sie tritt sanft auf, rückt aber nicht so schnell von einmal aufgestellten Forderungen ab. Wenn Fuhrer ihre Flughafenpolitik erklärt, zählt sie mit ihrer rechten Hand die Argumente an den Fingern ihrer linken ab: erstens, zweitens, drittens. Sie trägt ein dezentes Rouge auf den Lippen, ist in ein cremefarbenes Deuxpièces mit einem weissen Top gekleidet, im Revers steckt der winzig kleine Pin des Rotary-Clubs. Auch der Schmuck ist dezent, kleine Goldringe ohne kräftige Steine. An sich selbst schätzt sie, dass sie eine klare, gerade Linie verfolge. «Manche sagen mir nach, ich sei unbeweglich. Aber ich würde lieber von Disziplin sprechen. Mein Ziel ist es, eine gerade Linie zu fahren und nicht je nach Publikum und Kritik etwas anderes zum Besten zu geben. Oft höre ich, dass ich zwei Hüte tragen würde, jenen der Flughafenlobbyistin und jenen der Volksvertreterin. Das ist falsch, es ist kein Entweder-oder. Der Flughafen ist eine Lärmquelle, und er ist auch ein Wirtschafts- und Arbeitsplatzmotor.»

In ihrer ersten Direktion, jener der Polizei und des Militärs, hatte sie je ein schwieriges und ein ärgerliches Dossier zu betreuen: In den neunziger Jahren stieg die Zahl der Asylbewerber insbesondere aus Ex-Jugoslawien rapide an, und Fuhrer musste die härter werdende Gangart bei der Ausschaffung abgewiesener Asylbewerber umsetzen. Ärgerlich war der sich endlos dahinziehende Streit mit der Polizeivorsteherin der Stadt Zürich, Esther Maurer von der SP. Die zwei Frauen verhedderten sich, weil bei der Zusammenlegung von Teilen der beiden Polizeikorps die eine wie die andere angestrengt darüber wachte, der anderen keine Vorteile zu gönnen. Nach Fuhrers Wechsel in die Volkswirtschaftsdirektion wurde dieser Zwist innerhalb von Wochen geräuschlos beendet.

Teamwork statt militärischer Ton

Die Führung der grösseren Volkswirtschaftsdirektion dürfte anspruchsvoller werden. Das Spektrum der Aufgaben und Ämter ist breiter, geführt werden müssen vom Umweltbeauftragten über den Ingenieur bis hin zum Jäger und Fischer ganz unterschiedliche Menschenschläge. Vorgänger Jeker entschied sich angesichts dieser Spannweite für den klassischen Militärstil: In Gesprächen unter vier Augen delegierte er Aufgaben, Verantwortung und Kompetenzen an seine Amtschefs, mit dem heikelsten Dossier, jenem des Flughafens, betraute er seinen Generalsekretär Georg Elser, der diese Funktion über Jahre hinweg innehatte. Unter Fuhrer wurde alles umgekrempelt. Sie trennte sich rasch von Elser und dessen Stellvertreterin und führte einen neuen Führungsstil ein. «Ich arbeite mehr in die Breite, in der Gruppe, zusammen mit meinen Mitarbeitern und den Amtschefs», beschreibt sie ihre Art und Weise des Lenkens. «Statt einen Auftrag zu delegieren, ringe ich im Team um die beste Lösung. Das kann einen halben oder einen ganzen Tag dauern, und vielleicht gehen wir am Schluss auseinander und müssen uns später nochmals treffen. Aber am Schluss kommen wir gemeinsam zu einem Resultat.»

Ein anderes Bild zeichnet ein früherer Jeker-Mitarbeiter. «Immer am Dienstag telefonierte sie mit ihren Vertrauten im Regierungsrat, um sicherzustellen, dass ihre Anträge am Mittwoch in der Sitzung auch sicher durchkommen würden.» Statt breites Ringen um die bestmögliche Lösung meisterliches Antichambrieren? Will Rita Fuhrer im Zürcher Flughafenstreit reüssieren, braucht sie auf jeden Fall viel Offenheit für abweichende Ideen.

Interview

Rita Fuhrer verlangt vom Bund, endlich seine Karten aufzudecken.

Frau Fuhrer, für die Lärmgegner sind Sie die grosse Hoffnungsträgerin. Befürchten Sie, die Menschen bald enttäuschen zu müssen?

Ich kann den Fluglärm nicht wegkurieren, aber ich kann mit einer klaren Haltung in die Mediation einsteigen. Erstens: gute Interkontinentalanschlüsse ab Zürich. Zweitens: Fluglärm für möglichst wenig Menschen. Drittens: Landungen vor allem von Norden her, wie früher. Zudem bin ich offen für neue Ideen, für die Einrichtung lärmfreier Zeitfenster zum Beispiel. Oder wir finden Alternativen für die Anwohner, in Form von Geld, in Form von Bus- und Zugverbindungen.

Sie fordern ein neues Landeverfahren von Norden her, den gekröpften Anflug. Wäre damit viel gewonnen?

Der «Gekröpfte» kann nur Entlastung sein, er wird nie zu einem vollständigen Ersatz für die umstrittenen Ost- und Südanflüge. Der Zürcher Vorort Schwamendingen hätte vielleicht sonntags früh ein paar Stunden Ruhe.

Müssen sich der Süden und Osten mit den Anflügen abfinden?

Zum heutigen Zeitpunkt kann ich das nicht bejahen. Vielleicht akzeptieren die Menschen, die im Norden leben, den Fluglärm, wenn sie dafür entschädigt werden. Viele Leute sind ja dorthin gezogen im Wissen, dass es lärmig ist. Gut möglich, dass sie gerne an einem Ort leben, wo es viele Stellen gibt oder eine gute Infrastruktur.

Hat Verkehrsminister Leuenberger versagt?

Bundesrat Leuenberger hat nicht den Willen gehabt, im Luftverkehr zu lenken. Stattdessen sagte er einfach ja oder nein zu den Anträgen. Dass der Luftverkehr vor allem Bundessache ist, war ihm egal. Ich erwarte aber, dass der Bund die Ziele definiert, sonst ist eine klare Ausrichtung unmöglich. Bern hat sich an der Swiss beteiligt und so die Interkontinentalflüge gesichert. Mit ihren Taten macht die Regierung also Politik, nur sollte sie diese jetzt klar in Worte fassen.

Wurden Sie von Ihren Kollegen in der Regierung dazu verknurrt, die Verantwortung für den Flughafen zu übernehmen?

Verknurrt ist das falsche Wort. Wir machten eine Analyse und kamen zum Schluss, dass ich die geeignete Person bin für die Phase mit der Mediation.


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