«Kloten-Clan»
232 Seiten, zahlreiche farbige Abbildungen
16 x 22.8 cm, gebunden
[ISBN 3-85932-450-0]
€ 28.00
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Kapitel 11, Ruedi Jeker verliert die Glaubwürdigkeit, S. 128ff.
Im Sitzungszimmer des World Trade Center in Zürich-Oerlikon herrscht dicke Luft. „Alle müssen von 420’000 Flugbewegungen sprechen, sonst verwirren wir die Zuschauer“, fordert Volkswirtschaftsdirektor Ruedi Jeker im Befehlston des Fliegeroberst. Flughafenchef Josef Felder denkt nicht daran. „Damit wecken wir schlafende Hunde.“ Unique-Finanzchef Beat Spalinger präzisiert. „Herr Jeker, es sind nur 395’000 Linien- und Charterflüge. Nur die zählen.“ Der FDP-Regierungsrat schnauzt zurück. „Das versteht niemand. Wir bleiben bei 420’000.“ Spalinger verstummt, Felder lächelt und ärgert sich gleichzeitig.
Freitag, der 9. Juni 2000. In einer Stunde beginnt die Aufzeichnung der Sendung „Arena“ des Schweizer Fernsehens zum Thema „Flugverkehr – Grenze erreicht?“ Versammelt haben sich im Sitzungszimmer neben den Unique-Vertretern auch ein paar freisinnige Politiker, die in der bevorstehenden Sendung Partei für den Flughafen ergreifen sollen. Trotz gekühlten Raumes schwitzt Urs Wasserfallen. Der PR-Berater und ehemalige Chef des Zürcher Privatradios Z soll die offensichtlich zerstrittenen Einzelkämpfer des Flughafenlagers zu einer kompakten Mannschaft verschweissen. Die zentralen Botschaften müssen klar zugeordnet sein und im richtigen Moment platziert werden. FDP-Nationalrat und Crossair-Pilot Paul Kurrus ergreift das Wort. „Wir müssen auch von möglichen Obergrenzen sprechen, die der Luftverkehr hat.“ Nach dem zahmen Versuch bei Regierungsrat Jeker getraut sich Unique-Finanzchef Spalinger, beim Basler Nationalrat Kurrus richtig zuzubeissen. „Niemals dürfen wir irgendwelche Obergrenzen akzeptieren. Der Luftverkehr muss wachsen können.“ Kurrus schreckt zurück, die Stimmung bleibt gereizt. Wasserfallen versucht, die Diskussion auf eine höhere Kommunikationsebene zu lenken. „Für die Leute in der zweiten Reihe gilt immer: Kurz und präzis. Kommen Sie sofort auf den Punkt. Das Mikrofon ist schnell weg.“
Später in der Sendung ist das Gelernte wie weggeblasen. Jeder für sich und alle gegen alle, lautet das Motto. Spricht Ruedi Jeker, erstarrt Josef Felder. Redet Felder, verdüstert sich Jekers Miene. Dabei sitzt der wahre Feind gegenüber, und dessen geschlossenes Auftreten kann nur mit vereinten Kräften geschwächt werden. Das Debakel nimmt seinen Lauf. Nach einigen Scharmützeln zwischen Schweizern und Deutschen holt Jeker zu seinem – dem Anschein nach einstudierten – folgenschweren Angriff aus. Bei einem Besuch in Hohentengen habe er Vögel zwitschern und Kirchenglocken läuten hören. Von Fluglärm sei ihm kaum etwas zu Ohren gekommen. Und dann meint Jeker weiter, wenn es nach dem gemeinsamen Essen ans Abräumen gehe, würden sich die Süddeutschen aus dem Staub machen. „Ihr sitzt am gedeckten Tisch, profitiert wirtschaftlich vom Flughafen und haltet die Spielregeln nicht ein. Das ist unfair und nicht freundnachbarlich.“
Hinter der „Arena“-Kulisse kippt PR-Mann Wasserfallen fast vom Stuhl. Ein Image-GAU, trotz der seriösen Vorbereitung im World Trade Center und trotz seiner mahnenden Worte. Die Vertreter aus Süddeutschland – die SPD-Bundestagsabgeordnete Karin Rehbock-Zureich und der Hohentengener Bürgermeister Martin Benz – werfen sich einen entgeisterten Blick zu. Dann steigt Rehbock-Zureich die Zornesröte ins Gesicht, sie funkelt Jeker an und holt zur gepfefferten Replik aus. Martin Benz sekundiert. „Herr Jeker, sagen Sie der Bevölkerung die Wahrheit. Sie haben uns vom ‚runden Tisch‘ verbannt.“
Zwei Tage später publiziert „SonntagsBlick“-Chefredaktor Berhard Weissberg ein vernichtendes Urteil. „Rechthaberisch steht der Volkswirtschaftsdirektor des Kantons Zürich da, blafft die Nachbarn aus dem Süddeutschen in der TV-‚Arena‘ an, benimmt sich, als ob ihm der Schwarzwald gehören würde. Fehlt nur noch, dass er die Teerung der Flugstrassen befiehlt.“
Das Intermezzo in der Fernsehsendung „Arena“, ein Jahr nach seinem Amtsantritt im Regierungsrat, wirft den Zürcher Volkswirtschaftsdirektor Ruedi Jeker aus der Bahn. Seine Berater wissen, welchen Imageschaden sich ihr Chef mit seiner saloppen Bemerkung eingehandelt hat. In der Folge versuchen sie, Jekers Ecken und Kanten abzuschleifen, um ihm sein barsches, Wähler abstossendes Auftreten abzugewöhnen. Jeker hört auf seine Entourage: Im Frühling 2003 wirbt von den Plakatwänden ein anderer Magistrat für die Wiederwahl in den Zürcher Regierungsrat. Statt griesgrämig und stur wirkt der Zürcher Volkswirtschaftsdirektor leutselig, das Gesicht zu einem Lächeln verzogen.
Jeker schafft den Verbleib in der Regierung knapp. Trotzdem hat er verloren: Nach einer kurz vor den Wahlen vollzogenen Kehrtwende, wie es in diesem Ausmass selten ist, steht er in Bezug auf das Flughafendossier ohne Glaubwürdigkeit da. Über Nacht liess Jeker seinen neun Jahre dauernden Kampf für eine gerechtere Fluglärmverteilung fallen und schloss sich der vermeintlichen Mehrheitsmeinung – einer Konzentration des Fluglärms auf wenige Zonen – an. Die Anwohner rund um Zürich-Kloten sind von ihrem Hoffnungsträger masslos enttäuscht. Viele verweigern ihm bei den Regierungsratswahlen ihre Stimme. Die übrigen Einwohner des Kantons Zürich geben Jeker zwar eine zweite Chance, aber nur widerwillig, wie das knappe Resultat zeigt.
Nach seinem 180-Grad-Schwenker wird es Jeker in seiner zweiten Amtszeit schwer haben, im Flughafendossier auf Verständnis in der Bevölkerung und bei den Kommunalpolitikern zu stossen. Es besteht die Gefahr, dass Jeker zur „lame duck“ – zu einer lahmen Ente – wird, zwar noch im Amt als zuständiger Volkswirtschaftsdirektor, doch geschwächt für die Arbeit am schwierigsten Zürcher Thema. Jeker muss eine Politik vertreten, die seinem jahrelang erklärten Ziel einer ausgewogenen Lärmverteilung diametral entgegenläuft. Und das Sagen im Regierungsrat in Sachen Flughafenpolitik dürfte nicht mehr Dossierinhaber Jeker haben, sondern die neue starke Figur des Gremiums, SVP-Finanzdirektor Christian Huber, der in Zürcher Politkreisen den Ruf eines Machiavelli hat. In seiner schriftlichen Stellungnahme von Anfang Mai 2003 begründet Christian Huber den Schwenker der Zürcher Regierung kurz und knapp: „BV2 (die Verteilvariante) wurde vom runden Tisch ausgearbeitet. Der Regierungsrat hat im Herbst 2002 nach Abwägung aller Überlegungen und namentlich unter Berücksichtigung der absehbaren Entwicklung der Flugbewegungen entschieden, auf eine Lärmverteilung zu verzichten.“