Wie geschasste Banker über Moral denken

20minuten.ch (6. Juli 2012) – Philipp Hildebrand und Peter Kurer fielen so tief wie wenige Schweizer Chefs. In «Sternstunde Philosophie» reden sie über Moral und Ethik. Was hat sich das Fernsehen dabei gedacht?

Was wie ein April-Scherz daherkommt, meinen die Verantwortlichen des Schweizer Fernsehens ernst. Sie lassen zwei der umstrittensten und am schärfsten kritisierten Persönlichkeiten der Schweizer Finanzbranche in der «Sternstunde Philosophie» über die «Tugenden eines Schweizer Bankers» debattieren.

Ausgerechnet Philipp Hildebrand, Währungs-Insider bei der Währungshüterin Nationalbank, und Peter Kurer, Oberjurist bei der Steuersünderin UBS, sind im kommenden November Gast im TV-Talk. Beide ehemaligen Top-Shots haben mit ihrem Verhalten massgeblich dazu beigetragen, dass das Swiss Banking in schwere Turbulenzen geraten ist.

Nun kriegen Kurer und Hildebrand die einzigartige Chance, sich vor der versammelten Fernsehnation zu so etwas Edlem wie Werten zu äussern. Damit können sie sich als tugendhafte und verantwortungsbewusste Lenker darstellen, die Opfer äusserer Umstände geworden sind.

Dollar-Spekulant und Steuersünder-Jurist

Was sich die TV-Macher dabei gedacht haben, als sie Hildebrand und Kurer zur November-Sendung einluden, bleibt schleierhaft. Vermutlich finden sie Reizvolles in der Konstellation, dass fulminant gescheiterte Ex-Spitzenbanker vor laufender Kamera über Ethik und Kultur sinnieren.

Was auch immer sich in den Köpfen der Leutschenbach-Chefs abspielt, der Entscheid ist fragwürdig. Kurer und Hildebrand haben sich als katastrophale Fehlbesetzungen entpuppt.

Hildebrand bzw. seine Frau zockten zu einem Zeitpunkt mit Dollars, als die Nationalbank den einschneidendsten Entscheid ihrer Geschichte vorbereitete. Das Festlegen einer Euro-Untergrenze.

Kurer war sogar noch stärker in trüben Gewässern unterwegs. Zur Zeit, als seine UBS vermögende US-Steuersünder unterstützte, war er der oberste Rechtsverantwortliche der Grossbank. Kurer wusste frühzeitig von der Gefahrenzone, in die sich der Finanzkonzern damit hineinmanövrierte. Trotzdem liess der erfahrene Jurist die Sache laufen und wurde später sogar mit dem Präsidium belohnt. Erst als die USA mit einer Anklage gegen ihn drohten, zog ihn die Bank aus dem Verkehr.

Wie Berlusconi und Wulff zu «Werte und Politik»

Nun dürfen der Insider und der Steuersünder-Jurist Seite an Seite in aller Öffentlichkeit über Werte im Banking referieren. Das wäre etwa so, wie wenn der verjagte Italo-Premier Silvio Berlusconi und der gefallene Bundeskanzler Christian Wulff zu «Werten in der Politik des 21. Jahrhunderts» auftreten würden – in einer Co-Produktion von Rai und ZDF.

Gefallene Chefs und Präsidenten in Wirtschaft und Politik sollen nicht geächtet werden. Sie haben einen schwierigen Job angetreten und sind gescheitert – das gehört dazu. Niemand soll sie deswegen als Mensch und Privatperson beschimpfen und verurteilen.

Zuerst stellen sich andere Fragen

Anders sieht die Lage aus, wenn das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das in einem gewissen Sinn die Schweiz repräsentiert, zwei entscheidenden Protagonisten eine Plattform zur eigenen Rechtfertigung für wichtige Taten oder Versäumnisse offeriert. Damit erteilt das Schweizer Fernsehen implizit Absolution für die begangenen Fehler.

Was die Chefs des wichtigsten Schweizer Mediums statt dessen tun sollten ist, Hildebrand und Kurer über ihr früheres Tun und die eigenen Fehleinschätzungen auszufragen.

Vielleicht werden die Leute der Sternstunde-Sendung dies tun. Wahrscheinlich ist es nicht. Dann aber würden die SF-Verantwortlichen, aus Naivität oder vielleicht sogar mit Kalkül, ein neues Kapitel zu Gottfried Kellers Seldwyla-Bestseller beisteuern.


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