Expansionslust: Bank-Bär-Chef vor dem grossen Coup

20minuten.ch (19. Juni 2012) – Sollte Julius Bär das Private Banking von Merrill Lynch übernehmen, hätte CEO Collardi endlich Wachstum in Europa und den Steuerstreit mit den USA beigelegt. Nur: Reicht das Geld?

Wird Boris Collardi zum Banker des Jahres? Zumindest zum Zwischentitel fürs erste Halbjahr könnte es reichen. Dann nämlich, wenn der junge Julius-Bär-Chef die Vermögensverwaltung von Merrill Lynch kauft, so wie er das zurzeit prüft. Dann würde seine Bank einen grossen Sprung nach vorn machen.

«Es wäre ein strategischer Fit der Sonderklasse», meint jedenfalls ein Zürcher Private-Banker, der das Geschäft aus dem Effeff kennt. Und nicht nur das. Der grosse Pluspunkt neben mehr Muskelkraft wäre eine mögliche Lösung im Never-ending-Konflikt mit den US-Justizbehörden.

«Merrill-Lynch-Verkäuferin Bank of America verfügt sicher über direktere Drähte ins Justizministerium als die Bär-Banker», sagt die Quelle. «Das könnte helfen.»

Preis, Wert, Kultur – alles noch ungelöst

Noch ist es nicht so weit. Bär gab am Dienstag bekannt, in Gesprächen mit Merrill-Lynch-Mutter Bank of America um Kundenvermögen über 90 Milliarden Dollar zu sein. Es handle sich ausschliesslich um Nicht-US-Gelder.

Teresa Nielsen, Bankanalystin bei Bär-Konkurrentin Vontobel, hält sich mit vorzeitigem Lobgesang zurück. «Wir tappen alle noch im Dunkeln, zentrale Fragen bleiben vorerst offen», meint Nielsen im Gespräch mit 20 Minuten Online.

Für die erfahrene Banken-Kennerin stellen sich drei Kernfragen: Preis, Wert und Kultur. «Könnte sich Julius Bär eine solche Akquisition überhaupt leisten?», will Nielsen wissen. «Wenn sie 1 Milliarde Dollar oder mehr kostet, dann wirds schwierig», glaubt die Analystin.

Bei Sarasin letzten Herbst bot Bär zuletzt einen Mix aus Cash und eigenen Aktien. Damit kam Collardi nicht zum Handkuss, die brasilianische Safra machte mit einer Milliarden-Cash-Zahlung das Rennen.

Zweiter Haken ist laut Vontobel-Frau Nielsen die Frage nach dem Merrill-Lynch-Wert: «Wie rentabel und hochwertig sind die Kundengelder von Merrill Lynch?» Das spiele eine «entscheidende Rolle für Bär oder eine andere Bieterin, ob ein Kauf passt oder nicht».

Wenig Überschneidungen

Der Zürcher Private-Banker sieht genau in diesem Punkt die strategische Genialität von Bär-Chef Collardis Übernahmeplan. «Es gäbe wenig Überschneidungen, weilBär ausserhalb des Heimmarktes Schweiz vor allem in Asien investierte, währendMerrill Lynch stark auf Europa fokussiert ist», meint der Insider.

Vontobel-Analystin Nielsen stimmt dem insofern zu, als dass sie in Merrill-Lynch eine gute Gelegenheit für Bär sieht, im wichtigen Markt Deutschland an Masse zuzulegen.

Dort habe Bär heute erst rund 2 bis 3 Milliarden Kundenassets. Mit Merrill Lynchwürden die Schweizer im nördlichen Nachbarland eine neue Gewichtsklasse aufsteigen.

UBS wurde nicht glücklich mit US-Kultur

Besonders zu denken geben müsse die Kulturfrage, meint Nielsen. «Merrill LynchEuropa ist zwar aus London heraus geführt, aber geprägt von der US-Kultur.» Die Analystin fragt laut: «Wie passt ein solcher angelsächsischer Brocken zur schweizerischen Privatbanken-Mentalität?»

In unguter Erinnerung sind Akquisitionen der Grossbanken in den USA. Insbesondere die UBS hat mit ihrem Kauf von Paine Webber im Jahr 2000 für rund 20 Milliarden Franken schwere Verluste erlitten. Gescheitert ist die Bank nicht zuletzt an der unterschiedlichen Kultur.

Bis heute ist das alte Paine-Webber-Geschäft, welches inzwischen das US-Onshore-Business der Grossbank bildet, keine Perle.

Auf 850 Milliarden Dollar Vermögen verdiente die UBS im ersten Quartal nur 209 Millionen Vorsteuergewinn. Damit lag das Kosten-/Ertragsverhältnis im US-Wealth-Management bei 87 Prozent, was immer noch unbefriedigend ist. In der übrigen Vermögensverwaltung kam die Bank auf 55 Prozent. Fast jeder 2. verdiente Franken blieb in der Kasse.


Einen Kommentar schreiben