Analyse: Widmer-Schlumpf zündet Nebelpetarden

20minuten.ch (22. Februar 2012) – Die Finanzministerin weibelt im Bundesrat für eine klarere Weissgeldstrategie. Damit lenkt sie vom eigenen US-Debakel ab. Bern wusste seit langem vom Schlachtplan der USA – und schaute zu.

Will Eveline Widmer-Schlumpf die Schweizer Banken zu Kontrolleuren des Auslands machen? Seit einem entsprechenden Artikel in der «SonntagsZeitung» geistert die Idee umher, dass die Finanzministerin die Banken dazu verpflichten will, Steuerbescheinigungen ihrer ausländischen Kunden einzuholen. Bis Ende Monat soll im Bundesrat eine entsprechende Weissgeld-Strategie beschlossen werden. Möglicherweise fällt der Entscheid bereits an der heutigen Bundesratssitzung.

Was genau geplant ist, wird sich zeigen. Sicher ist, dass Widmer-Schlumpf aus der Defensive heraus agiert. Jeder Vorschlag für noch mehr Weissgeldpolitik steht im Verdacht, vom eigenen Versagen abzulenken.

USA waren immer klar und deutlich

Die Rede ist von der gescheiterten Taktik Berns im US-Steuerkrieg. Die Bundesrätin und ihr Chefverhandler Michael Ambühl sind seit Ende August 2011 im Bild über die Angriffspläne der USA. Das zeigt ein Schreiben der Nummer zwei des US-Justizministeriums.

Im Brief vom 31. August bedankte sich James Cole anfänglich für die Unterredungen mit Ambühl, die er schätze. Danach ging es zur Sache. «Wie ich während unserer Treffen klarmachte, ist es das unverzügliche und minimale Ziel der US-Regierung, Bankauszüge einer signifikanten Anzahl von US-Steuerzahlern zu erhalten, und zwar schnell und mit Sicherheit.»

Die USA seien bereit, Ambühls diesbezügliches Versprechen zu testen. Aber nur unter Bedingungen. Dazu zähle, dass Amerika vor einer «Grand Jury» Verfahren anstrengen würde und vielleicht auch sogenannte «John Doe Summons», um an Kontoinformationen heranzukommen. Mittels eines «John Doe»-Verfahrens erzwangen die USA Jahre zuvor Bankinformationen von rund 4500 US-Kunden der UBS. Grand-Jury-Verfahren sind für Straf-Anklagen nötig.

Zuckerbrot und Peitsche

Vize-Justizminister Cole verfolgte in seinem Brief an Ambühl eine Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik. Falls die Schweiz mit Datenlieferungen die Deadlines einhalten würde, würden die USA ihrerseits auf Zwangsmassnahmen verzichten. «Wenn wir nicht innert der gesetzten Frist in den physischen Besitz der benötigten Daten gelangen, werden wir die Subpoena und die Summons auslösen und mit Straf-Ermittlungen fortfahren, so wie es uns angezeigt erscheint», drohte Cole unverhohlen für den Fall, dass die Schweiz nicht wie von Ambühl angetönt Kundendaten rasch und in grossem Umfang liefern würde.

Die USA erhielten sofort die gewünschten Daten über das Ausmass des US-Offshore-Geschäfts von Schweizer Banken sowie Ende 2011 und Anfang 2012 Details über das Businessmodell und die Namen von Kundenberatern und Managern jener Banken, gegen die bereits ermittelt wurde.

Doch das Cole-Schreiben geht darüber hinaus. Es zeigt, was die Amerikaner wirklich anstreben. Sie wollen Kundendaten, «quickly, and with certainty», wie es der Vize-Justizminister ausdrückte. Dessen Verweis auf die US-Regierung macht deutlich, dass sein hartes Auftreten mit dem Weissen Haus abgestimmt ist. Schweizer Hoffnungen auf einen mildernden Einfluss von US-Aussenministerin Hillary Clinton oder des Finanzministeriums dürften vergebens sein.

Die Finanzministerin schaute zu

Die USA hatten also bereits im Spätsommer 2011 deutlich gemacht, dass sie ohne rasche Datenlieferung Schweizer Banken, gegen die sie genug Material in den Händen hielten, anklagen könnten. Widmer-Schlumpf als zuständige Bundesrätin wusste darum – und legte ihre Hände in den Schoss.

Ein Berner Widmer-Schlumpf-Mann entgegnet, dass gar nichts anderes übrig geblieben sei. «Was hätten wir denn sonst tun sollen?», dreht er den Spiess um. Eine umfangreiche Datenlieferung hätte das Parlament damals nicht geschluckt. Ein Sprecher lehnte eine Stellungnahme ab. Die Berner Aussage macht die Strategie in Bern deutlich: «Hope and see» lautete sie. Würden die Amerikaner stillhalten, umso besser. Sonst würde der Druck ins Unermessliche steigen, womit eine Datenlieferung durchs Parlament geboxt werden könnte.

Mit der Wegelin-Anklage ist Szenario 2 eingetreten. Nun dürfte der Nationalrat in der bevorstehenden Session den Weg freimachen für eine umfangreiche Offenlegung. Sonst, so wird Widmer-Schlumpf klarmachen, drohen Anklagen gegen weitere Banken.

Immer deutlicher manifestiert sich Durchwursteln als Berner Strategie. Ob ein aktives Vorgehen zu einem besseren Resultat geführt hätte, muss offenbleiben. Schlimmer als die sich abzeichnende totale Kapitulation hätte es aber kaum werden können.


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