Der Winkelried von Wikileaks

20minuten.ch (6. Mai 2011) – Rudolf Elmer schmort seit vier Monaten in U-Haft. Während die Zürcher Justiz die UBS in Ruhe liess, kennt sie beim kleinen Fisch Elmer kein Pardon.

Der Bankenspezialist bei der Zürcher Spezialabteilung für Wirtschaftsdelikte heisst Peter Giger. Der Staatsanwalt hatte sich ins Dossier UBS reingekniet, jetzt liegt der Fall des Ex-Julius-Bär-Managers und Schweizer Whistleblowers Rudolf Elmer, 55, beim Juristen.

Bei der UBS-Untersuchung rund um das Steuerbetrugssystem in den USA begnügte sich Giger mit einer Fernanalyse. Ein Verfahren eröffnete er nicht, der Anfangs-Tatverdacht fehle, meinte er. Anders geht es bei Elmer zur Sache. Das Enfant terrible des Finanzplatzes kriegt die volle Härte des Apparats zu spüren. Im Januar wurde er zuerst zu einer bedingten Gefängnisstrafe verurteilt, nur eine Stunde später setzte ihn Giger in U-Haft. Begründung: Sicherstellung von Beweismitteln.

Pikant: das war bereits vor 105 Tagen. Während seither sämtliche Einsprachen Elmers abgeschmettert wurden, gelang es Ermittler Giger, die erste, auf 3 Monate begrenzte U-Haft zu verlängern. «Der zuständige Richter hat zweimal meine Anträge gutgeheissen, wobei ich ernsthaft befürchtete, der Beschuldigte, könnte dritte Personen beeinflussen oder auf Beweismittel einwirken», sagt ein zufriedener Staatsanwalt.

Übertrieben lange U-Haft?

Elmer steht im Verdacht, gegen Artikel 47 des Bankengesetzes verstossen zu haben. Dort ist das Schweizer Bankgeheimnis festgehalten. Informationen über Kunden und ihre Gelder auf Schweizer Bankkonten gehen niemanden etwas an und müssen von den Geheimnisträgern geschützt werden. Dass die Schweiz dem Ausland heute bei Verdacht auf Steuerhinterziehung Auskunft gibt, ändert nichts am alten Passus. Wer das Bankgeheimnis verletzt, wird bestraft.

Trotzdem überrascht Elmers monatelange Inhaftierung. Von aussen erscheint er eher wie eine getriebene Persönlichkeit als ein Schwerverbrecher. Warum lässt ihn die Justiz übertrieben lang schmoren? «Übertrieben lange U-Haft?», kontert Ermittler Giger. «Das würde ich nicht sagen. Auf Bankgeheimnis-Verletzung steht bis zu 3 Jahre Freiheitsstrafe.»

Hang zum Rampenlicht

Bei seinem Prozess im Januar kam Elmer mit einem Schuss vor den Bug weg. Er hatte zugegeben, Droh-Mails verschickt zu haben. Hingegen beharrte er entgegen der Anklage darauf, ein Whistleblower zu sein, also mit hehren Motiven gegen die Bank Julius Bär vorgegangen zu sein. Die alte Welt der Banken und ihre Steuerhinterziehungs-Praktiken gehörten ans Licht gezerrt.

Zum Verhängnis wurde Elmer sein Hang zur Inszenierung. Zwei Tage vor seinem Zürcher Prozess überreichte er dem Chef der Publikationsplattform Wikileaks Julian Assange vor laufender Kamera neues Datenmaterial. «Die Initialzündung war sicherlich Herr Elmers Auftritt in London mit Wikileaks-Gründer Assange und den 2 CDs, auf denen sich geheime Bankdaten befinden sollen», meint Ermittler Giger. Ob inzwischen weitere Verdachtselemente vorlägen, will er nicht sagen. Und auch von Seiten Elmers herrscht Schweigen: Sein Anwaltsbüro liess Anfragen für diesen Artikel unbeantwortet.

Ausland sieht Elmer als Winkelried

Die lange U-Haft Elmers deutet darauf hin, dass die Zürcher Staatsanwaltschaft ein Exempel statuieren und damit Nachahmungstäter abschrecken will. Dem Raub von Bankkunden-Daten, die Deutschland im Kampf gegen Schweizer Banken nutzte, soll ein Riegel geschoben werden.

Die Zürcher Ermittler nehmen dabei in Kauf, dass sie Elmer genau zu jenem Märtyrer machen könnten, als den sich dieser selbst und seine Anhänger sehen. Nicht so sehr in der Schweiz, hier begegnen die meisten Medien Elmer skeptisch. Im Ausland hingegen und insbesondere in der angelsächsischen Welt, die für den Schweizer Finanzplatz bedeutungsvoll ist, gilt Elmer bei vielen Meinungsmachern als Winkelried, der sich im Kampf gegen die Machenschaften raffgieriger Banken aufopfert.


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