Finma hätte den USA keine Daten geben dürfen

20minuten.ch (8. Januar 2010) – Die Finanzmarktaufsicht hat mit ihrem Notrecht vor Jahresfrist, als sie das Bankgeheimnis aushebelte und 255 Kunden den US-Steuerbehörden ans Messer lieferte, das Gesetz verletzt. Überraschend gibt das Bundesverwaltungsgericht einer Beschwerde von betroffenen US-Kunden Recht.

Wer hätte das gedacht: Die zuständigen Richter am Bundesverwaltungsgericht kommen zum Schluss, dass die Finanzmarktaufsaufsicht (Finma) im vergangenen Februar kein Recht hatte, Daten auf dem Expressweg und ohne Rekursmöglichkeit für die Betroffenen den USA auszuhändigen.

«Indem sie (die Finma) als Schutzmassnahme jedoch die Herausgabe von Kundendaten anordnet, bewegt sie sich ausserhalb des ihr zustehenden Ermessensspielraums», schreiben die Richter der Abteilung II des Bundesverwaltungsgerichts in Bern in ihrem Urteil, das gestern erlassen wurde und heute Mittag bekannt wurde. Notrecht können nur Bundesrat und Parlament verordnen.

Der Bubentrick der Finma

Die Finma und insbesondere ihr Chef Eugen Haltiner, ein ehemaliger UBS-Topshot, stehen damit im Regen. Die Behörde hatte Ende 2008 einen Ausweg gesucht, damit die UBS von den amerikanischen Justizbehörden nicht als kriminelle Organisation angeklagt wird. Die Finma schlug angesichts der hoffnungslosen Lage vor, die Artikel 25 und 26 des Bankengesetzes als zurechtgebeugtes Notrecht anzuwenden.

Die beiden Paragraphen sind aber für völlig andere Situationen gedacht, nämlich für Banken, die kurz vor der Pleite stehen. In einer solchen Lage kann die Finma mit Hilfe der Artikel 25 und 26 kurzerhand das Steuer übernehmen und in eigener Regie die nötigen Massnahmen verordnen. Die Idee dahinter ist, dass keine Bankkunden, also Sparer und sonstige Einleger, zu Schaden kommen.

Der Bundesrat gab grünes Licht

Zur Lösung des UBS-Steuerstreits kam der oberste Finma-Jurist Urs Zulauf aber zum Schluss, dass Artikel 25 und 26 auch für die UBS-Notlage geeignet sein könnten. Er argumentierte, dass eine Anklage der UBS in den USA zu einer unmittelbaren Insolvenzgefahr würde, weil viele Kunden Unmengen von Geldern abziehen würden. Dann würden alle Einleger der UBS in der Schweiz möglicherweise ihr Geld verlieren.

Konkret sah der Plan von Zulauf, den sein Chef Haltiner zu verantworten hat, vor, mittels den Notparagraphen der UBS kurzfristig das Steuer aus der Hand zu nehmen und in dieser Zeit den US-Justizbehörden die Daten von 255 Kunden zu übergeben.

Am 19. Dezember 2008 gab der Bundesrat der Finma grünes Licht dafür. Zwei Monate später, am 18. Februar 2009, schritt die Finma zur Tat. Sie händigte die Kundendossiers aus und beschnitt damit das Recht der betroffenen US-Kunden auf Rekurs. Dies tat sie mit dem Argument, nur so könne die für die Schweiz existenziell wichtige UBS vor dem Untergang gerettet werden.

Illegaler Weg

Nun kommen die Richter des Bundesverwaltungsgerichts zum Schluss, dass die notrechtsmässige Datenherausgabe an die USA illegal war. «Die Voraussehbarkeit und die Bestimmtheit von Art. 25 und 26 BankG (Bankengesetz) sind in Bezug auf die Herausgabe von Bankkundendaten nicht gegeben», begründen die Richter. Etwas leichter verständlich fahren sie fort: «Denn ein Bankkunde kann weder dem Wortlaut noch der Systematik von Art. 25 und 26 BankG entnehmen, dass diese eine ausreichende Rechtsgrundlage zur Weiterleitung von Daten an ausländische Behörden darstellen könnten.»

Einfacher gesagt: Nie hätten die betroffenen Kunden damit rechnen müssen, dass ihre durch das Bankgeheimnis geschützten Rechte mittels solchen Sonderkompetenzen für die Aufsichtsbehörde kurzerhand ausgehebelt würden.

Bundesrat deckte die Finma auch nachträglich

Für Finma-Haltiner ist das Urteil der Richter ein schwerer Schlag. Allerdings wusste er frühzeitig um die Brisanz und forderte deshalb im Vorfeld «Rückendeckung» vom Finanzdepartement unter Bundesrat Merz, wie im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts steht. Diese wurde dem Finma-Chef gewährt. Der Bundesrat segnete den vorgeschlagenen Weg mit Artikel 25 und 26 ab und stützte auch nach dem Sündenfall vom 18. Februar 2009 in öffentlichen Statements den Entscheid.

Das ändert nichts daran, dass Eugen Haltiner erneut in die Schusslinie gerät. Denn die Richter schreiben: «Angewendet auf den vorliegenden Fall ergibt Obenstehendes, dass die Vorinstanz (die Finma) zum Erlass einer Notstandsverfügung zur Herausgabe von Bankkundendaten nicht kompetent ist.»

Deutlicher geht es nicht: Haltiner hätte die Daten von 255 US-Kunden nicht unter Anwendung von selbst zurechtgelegtem Notrecht an die USA ausliefern dürfen. Die unterlegenen Parteien, das ist neben der Finma auch die UBS, müssen 5000 Franken Verfahrenskosten und 17 000 Franken Parteientschädigung bezahlen.

Erfolg für den Rechtsstaat

Für die US-Kunden ändert das Urteil nichts, da die Daten bereits bei den US-Behörden liegen und die zuständigen Gerichte teilweise im Wochentakt Urteile fällen, bisher meist ohne Gefängnisstrafen. Aber die Betroffenen könnten Schadenersatzklagen gegen die Schweiz richten.

Rechtsstaatlich ist das Urteil zu begrüssen. Es besagt, dass die Richter nicht die Augen zudrücken, wenn eine Behörde mit einem Bubentrick ein Problem lösen will.

Für Finma-Chef Eugen Haltiner könnte der Druck steigen, wenn die Politik mit dem Urteil gegen den Entscheid vom letzten Februar Stimmung macht. Das bleibt abzuwarten.

Auch ist offen, ob das Bundesgericht als letzte Instanz den Entscheid stützt. Die betroffene Finanzaufsicht schreibt heute in einer Mitteilung: «Die Finma wird das Urteil sorgfältig analysieren und entscheiden, ob sie dagegen Beschwerde beim Bundesgericht erheben wird.»


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