Trotz Boom droht Abhängigkeit
20minuten.ch (19. Januar 2009) – Die ganze Wirtschaft stöhnt, nur der Flughafen Zürich brummt auf Hochtouren. Stetig steigt die Zahl der Passagiere und nähert sich dem Rekordstand von 2000, dem Jahr vor dem Swissair-Ende. Der Höhenflug birgt die Gefahr neuerlicher Abhängigkeiten vom Homecarrier Swiss.
Freitag, 12 Uhr, Sicherheitskontrolle am Flughafen Zürich-Kloten im Terminal 1: Sechs Kolonnen von geschätzten je 20 Metern bilden sich vor dem Passagierscanner, die Menschen stehen sich die Füsse in den Bauch, die Wartezeiten betragen 15 Minuten und mehr, trotz Flughafenpolizei in Vollbesetzung mit Fünferteams pro Kontrollstation. Januarloch und Wirtschaftskrise? Fehlanzeige!
Die jüngsten Verkehrszahlen bestätigen den Eindruck vor Ort. Letztes Jahr zählte der Flughafen Zürich fast so viele Passagiere wie zu seinen besten Zeiten. 22,1 Millionen Passagiere hoben im grössten Airport der Schweiz ab oder kamen hier an, ein Plus von knapp 7 Prozent. Im bisherigen Rekordjahr 2000 waren es mit 22,7 Millionen nur unwesentlich mehr.
Massives Wachstum dank Umsteigepassagieren
Endlich herrscht wieder Freude in Helvetiens Aviatik-Industrie. Stand die Branche nach dem Konkurs mit folgendem Grounding ihres einstigen Aushängeschilds Swissair vor sieben Jahren am Abgrund, präsentiert sie sich heute in beneidenswerter Form. Das kann sich zwar ändern, eine heftige Rezession würde sich vermutlich rasch auf Geschäftsreisen und später auch auf den Ferienverkehr auswirken. Im Dezember deuteten erste Anzeichen auf eine Abkühlung hin, als die Zahl der Lokalpassagiere um über 5 Prozent abnahm. Doch dank dem Boom bei den Umsteigepassagieren verzeichnete die Flughafenbetreiberin noch ein Miniplus von 0,2 Prozent.
Vor allem diesen Kunden verdankt der Flughafen Zürich seine Rückkehr ins Feld der grossen Airports Europas. Wie in den Jahren der Swissair unter CEO Philippe Bruggisser, der ein Reich von der Türkei bis Portugal und von Finnland bis Italien geschaffen hatte und von dort Passagiere nach Zürich karren liess, um sie in seine wachsende Langstreckenflotte zu pferchen, boomt der Flughafen auch heute wieder dank dem Geschäftsmodell Umsteigeverkehr. So nahm die Zahl der Kurzzeitaufenthalter 2008 um 11 Prozent auf fast 8 Millionen zu, derweil das Plus bei den Lokalpassagieren, die ihre Reise in Zürich beginnen und enden, um moderate 4,5 Prozent stieg.
Der massive Anstieg des Umsteigeverkehrs weckt Erinnerungen an die vermeintlich längst vergangenen Zeiten des Swissair-Rausches. Pendelte der Anteil des Umsteigeverkehrs in der ersten Hälfte der 90er Jahre um die 30-Prozent-Marke, schoss er unter Bruggissers scharfer Expansion bis 2000 auf 40 Prozent hoch und lag im Jahr 2002, als die Swiss dank Milliardensubventionen in überdimensionierter Grösse an den Start gehen konnte, noch immer bei 38 Prozent. Dem nähert sich nun der Flughafen, mit einem Anteil des Umsteigeverkehrs von bereits über 35 Prozent.
Abhängigkeit von Swiss und Lufthansa wie damals von Swissair
Hinter dem raschen Anstieg steht in erster Linie der Erfolg der Swiss. Die Schweizer Heimfluggesellschaft eilt von Erfolg zu Erfolg, seit sie die Politik und frühere Führung im Frühling 2005 für ein Butterbrot der deutschen Lufthansa-Gruppe vermacht hatte. Ihr überdurchschnittliches Wachstum erzielt die Swiss dank ihren attraktiven Preisen auch mit Lokalpassagieren. Doch das grösste Wachstumspotenzial liegt im Umsteigegeschäft. Wie die Swissair in ihren einstigen «Roaring Days» betreibt die Swiss an ihrer Homebase Kloten eine florierende Umsteigeplattform.
Und so ist er zurückgekehrt, der Traum vom grossen Hub in der kleinen Schweiz. «Trotz der weltweit schwierigen wirtschaftlichen Situation konnte sich der Flughafen Zürich als wichtige Verkehrsdrehscheibe behaupten», lässt sich Flughafenchef Thomas Kern in einem Communiqué vom letzten Mittwoch freudig zitieren.
Kein Wort verliert Kern über die Gefahren, die mit einem Klumpenrisiko namens Swiss verknüpft sind. Nach einem fulminanten Wachstum von fast 10 Prozent bei den beförderten Passagieren von und nach Zürich erhöhte sich der Anteil der Schweizer Airline am gesamten Zürcher Luftverkehr auf 53 Prozent. Die Lufthansa als zweitgrösste Airline am viel zitierten «Schweizer Tor zur Welt» kommt auf über 6 Prozent. Zusammengezählt nähert sich die Abhängigkeit von der mit Abstand wichtigsten Unternehmung am Zürcher Airport jener von der Swissair-Gruppe kurz vor deren Kollaps. Mit den vielen zugekauften ausländischen Airlines kamen die Schweizer damals auf fast 75 Prozent Marktanteil in Kloten.