«Es wird keine Wahnsinns-Inflation geben»

20minuten.ch (8. Januar 2009) – Kurt Schiltknecht, ehemaliger Kadermann der Nationalbank und Wirtschaftsprofessor, sieht das Bankensystem stabilisiert, rechnet nicht mit einer extremen Wirtschaftsabkühlung und kritisiert Schwarzmaler.

20 Minunten Online: Herr Schiltknecht, Rezession heisst Rückgang, Depression Einbruch. Was steht uns bevor?

Kurt Schiltknecht: Das ist derzeit schwer abschätzbar. Persönlich glaube ich nicht an eine Depression. Klar, wir sind in einer blöden Lage. Aber eine riesige Arbeitslosigkeit sehe ich weder in den USA – diese könnte das Niveau der 80er Jahre erreichen – noch in Europa.

Eine Krise wie jene der viel zitierten 1930er Jahre mit massiver Arbeitslosigkeit und massiver Wirtschaftsschrumpfung erkennen Sie nicht?

Überhaupt nicht. Ein Vergleich mit jener Zeit ist geradezu absurd. Wir wissen doch heute, dass die Notenbanken und die Regierungen die Lehren aus der damaligen Tragödie gezogen und frühzeitig und stark reagiert haben.

Reagiert haben vor allem die Notenbanken, die sehr viel Geld ins Finanzsystem pumpten und immer noch pumpen. Den Wirtschaftseinbruch verhindert hat dies nicht.

Es hat das Bankensystem entscheidend stabilisiert. Das ist eben der wesentliche Unterschied. Der extrem negative Einfluss einer Bankenkrise auf die Gesamtwirtschaft ist nicht zum Tragen gekommen. Doch das wollen die vielen Krisenpäpste und jene, die diesen eine Plattform bieten, nicht wahrhaben.

Sie finden, die Krise wird überbewertet?

Das nicht. Aber ich sehe uns nicht vor einem Rückfall in die 1930er Jahre. Selbst eine Korrektur, wie wir sie in der Schweiz 1975 nach der Erdölkrise mit einem Rückgang des Volkseinkommens um etwa sieben Prozent erlebten, halte ich für unwahrscheinlich.

Wie lautet denn Ihre Prognose?

Präzise Vorstellungen habe ich keine. Aber ich glaube einfach nicht, dass die Korrektur so stark ausfallen wird wie damals.

Die grosse Frage lautet derzeit, welche Folgen die massiven Geldinjektionen der Notenbanken haben werden. Was glauben Sie?

Das Wichtigste war die Stabilisierung des Bankensystems. Irgendwann müssen die Notenbanken die Liquidität wieder zum System rausnehmen.

Wie das?

Rausnehmen geht immer. Die entscheidende Frage ist, wie schnell und wann.

Was passiert, wenn die Notenbanken den richtigen Zeitpunkt verpassen?

Dann kriegen wir Inflation. Die könnte dann happig werden.

Zehn Prozent? Mehr?

Denkbar ist in der Ökonomie alles. Die Frage lautet immer, wie wahrscheinlich ein Szenario ist. Man kann das nicht prognostizieren, solange man nicht weiss, wie die Notenbanken ihre Geldpolitik betreiben werden. Sicher ist, dass die Inflation nicht über Nacht auf zehn Prozent hochschnellen wird. Sind die Notenbanken bereit, beim ersten Anzeichen des Aufschwungs auf die Bremse zu treten und das viele Geld abzusaugen? Niemand hat den Stein der Weisen, auch nicht die Notenbanker. Eine solche Bankenkrise wie heute gab es letztmals vor über 70 Jahren. Der Unterschied zu damals sind die Geldinjektionen, die Arbeitslosenversicherung, Beschäftigungsprogramme und vieles mehr.

Betreten wir Neuland?

Ja, in dem Sinne, dass es noch nie eine solche Ausweitung der Notenbankgeldmenge gegeben hat. Eine gewisse Ähnlichkeit hatte das Jahr 1978. Damals musste die Nationalbank mit einer enormen Ausweitung der Notenbankgeldmenge den Wechselkurs stabilisieren. Das ist gelungen, allerdings musste später etwas Inflation in Kauf genommen werden, da die Liquidität zu spät wieder abgeschöpft worden ist. Für mich ist es ein Gebot des Anstands, den Verantwortlichen in der heutigen schwierigen Situation die nötige Vernunft zu unterstellen, statt über Extremsituationen zu spekulieren.

Die Schwarzmaler haben in dieser Krise bisher Recht bekommen.

Was die Banken betrifft, stimmt das. Aber Sie haben immer einen, der ganz schwarz malt, einen, der die Lage mittelschwer einschätzt, und einen, der die Zukunft rosig sieht. Im Nachhinein hat immer nur einer Recht. Nur: Wenn jener mit der mittleren Prognose ins Schwarze trifft, nimmt das niemand zur Kenntnis. Beachtet werden nur die Extrempositionen. Mit gemässigten Prognosen wird man nicht bekannt. Was aber ist von jenen Weltuntergangspropheten zu halten, die vor wenigen Jahren sagten, der Dow Jones werde auf 1000 Punkte sinken? Jetzt sind wir bei 8000 bis 9000 Punkten, und das nach einer happigen Korrektur.

Sie finden, solcherlei Pessimismus richtet Schaden an?

Jeder kann machen, was er will. Wenn aber die Medien als reine Lautsprecher funktionieren, kann dies die Menschen schon beeinflussen. Die Leute wollten von mir im Herbst wissen, ob Sie ihr Sparheft bei der UBS und der CS belassen könnten. Das zeigt, dass die Verunsicherung ein enormes Ausmass angenommen hatte.

Bei der UBS war die Frage nicht so unberechtigt.

Die Frage war absolut berechtigt. Aber die Zeitungen hätten dann auch darüber berichten sollen, was die Notenbanken als Lender of last resort, also als Garantin für das Finanzsystem, in einer solchen Krise tun können, wie sie die Liquidität und Guthaben sicherstellen etc.

Haben die Behörden zu zurückhaltend kommuniziert?

Nein, die haben das gut gemacht. Sie sollen die Probleme auch nicht kleinreden. Jedenfalls stimmt mich das bisherige Verhalten der Notenbanken in dieser Krise zuversichtlich, dass wir keine Wahnsinns-Inflation erleiden werden. Die Notenbanken stehen weniger im politischen Rampenlicht und können entsprechend unpopuläre Massnahmen ergreifen.

Sie denken also, es wird nicht extrem?

Das ist meine derzeitige Annahme. Ich gehe aber gern über die Bücher, wenn neue Zahlen vorliegen. Jedenfalls betrachte ich das geldpolitische Problem als kleiner als das fiskalpolitische. Die Regierungen geben derzeit Geld mit beiden Händen aus. Solche Verschuldungen des Staats sind nur sehr schwer korrigierbar.

Box: Ebners Banker

Kurt Schiltknecht, 68, war in leitender Funktion bei der Schweizerischen Nationalbank, der Nordfinanz Bank, der Bank Leu und bei Martin Ebners BZ-Gruppe tätig. Schiltknecht, langjähriges SP-Mitglied, ist immer noch als ausserordentlicher Professor an der Uni Basel tätig und Buchautor (Corporate Governance – Das subtile Spiel um Geld und Macht).


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