Kaltstart für Europas Börsen

20minunten.ch (29. September 2008) -Schon die asiatischen Börsen haben die Einigung der Spitzenpolitiker in den USA zum 700-Milliarden-Rettungsplan kühl aufgenommen. Auch die europäischen Börsen konnten einen schlechten Start bis zum Mittag nicht wettmachen: Der SMI verliert knapp 2 Prozent, der DAX rund 3 Prozent und die britische Stock Exchange um 2,5 Prozent. Die UBS-Aktie rasselte am frühen Nachmittag 10 Prozent in die Tiefe.
Das US-Paket dürfte heute im Repräsentantenhaus und bis Mittwoch vom Senat verabschiedet werden. Es wurde mit zahlreichen Einschränkungen versehen: verschärfte Aufsicht durchs Parlament, die zweite Tranche über 350 Milliarden Dollar benötigt Parlaments-Zustimmung, Beteiligung des Staats an maroden Banken, Bonus-Beschränkung für gescheiterte Banker.Im Kern hat das Paket von Schatzkanzler Henry Paulson zur Vertrauenssicherung ins US-Finanzsystem aber überlebt. Es sieht 700 Milliarden Dollar für den Aufkauf maroder Kredit-Wertschriften vor. Sobald die Banken ihre Bücher zulasten des Staats vom Schrott säubern können, gewinnen sie das Vertrauen im Markt zurück und erhalten wieder Kredit anderer Finanzhäuser.

Börsen in Japan und Hongkong im Minus

Soweit die Theorie. In der Praxis scheinen die Investoren vom Erfolg des Notplans nicht restlos überzeugt zu sein. In Tokyo liegt der Nikkei-Index der grössten Firmenaktien am Mittag fast ein Prozent im Minus, der Hang-Seng-Index in Hongkong hat sogar über 2 Prozent verloren.

Der Härtetest folgt heute Morgen in Europa (siehe Infobox). In der Schweiz, Deutschland, Frankreich und England wird sich zeigen, ob die verunsicherten Investoren an den Anfang des Endes der grossen Bankenkrise glauben oder nicht. Das ist umso ungewisser, weil die US-Finanzkrise endgültig auf Europa übergeschwappt ist.

Drei europäische Banken mussten übers Wochenende Schutz bei Konkurrenten oder dem Staat suchen. Die grösste belgische Bank Fortis, deren Aktien Ende letzter Woche abgestürzt waren, wird vom belgischen Staat mit insgesamt 11,2 Milliarden Euro gerettet. Belgien wird im Gegenzug mit 49 Prozent Grossaktionärin bei jener Bank, bei der jeder fünfte Belgier ein Konto besitzt.

In England ist mit Bradford & Bingley die dritte Hypothekenbank nach Northern Rock und HBOS am Ende. B&B, die Nummer 8 im britischen Bankenmarkt, könnte heute früh verstaatlicht werden. In Deutschland ist es die Münchner Hypo Real Estate, der laut «Financial Times Deutschland» über 10 Milliarden Euro für laufende Rechnungen fehlen sollen. Eine Gruppe von Banken soll dem Institut Überbrückungskredite gewähren.

Schliesslich könnte in den USA die grosse Wachovia übernommen werden. Gemäss «New York Times» sind Wells Fargo und Citigroup an einer Übernahme interessiert.

Mehrheit der Experten befürwortet US-Rettungsaktion

Die rasche Zunahme von Übernahmen und Untergängen im amerikanischen und europäischen Bankenmarkt könnte bei Investoren und Anlegern neue Befürchtungen wecken, dass ihr Geld – in Form von Eigenkapital oder als Guthaben – bei vielen Finanzhäusern gefährdet ist. Umso wichtiger scheint eine rasche Verabschiedung des US-Rettungspakets, das die meisten Kommentatoren trotz dem massiven Eingriff des Staats in die Marktwirtschaft befürworten. «Eine staatliche Rettung des Bankensektors war noch nie angenehm», schreibt der britische «Economist» in seiner aktuellen Ausgabe. «Dieser hier verdient Unterstützung.»

US-Präsident George W. Bush versuchte kritische Parlamentarier von der Dringlichkeit des Pakets zu überzeugen, indem er von «your street» und nicht nur «Wall Street» als Begünstigte sprach. Die 700 Milliarden seien kein Geschenk der Steuerzahler für gescheiterte Banker und Börsianer, sondern ein Hilfspaket zur Abwendung von Schlimmerem.

Ohne Stabilisierung des Finanzmarkts drohe eine lange Kreditklemme, die das Land – und damit vermutlich weite Teile der globalen Wirtschaft – in eine Rezession oder sogar Depression wie zuletzt in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts stürzen würde, wollte Bush damit ausdrücken. «Your street» sind die kleinen Firmen und Ladenbesitzer, deren Umsätze bei einem Crash der gesamten Wirtschaft ebenso einbrechen würden wie die Bargeldbestände bei vielen Banken.


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