Gewinne privat, Verluste dem Staat
20minuten.ch (19. September 2008) – Die Angst vor einem Kollaps mit unabsehbaren Folgen war zu gross. Nun verstaatlicht das Mutterland des Kapitalismus den faulen Teil der Finanzindustrie. Die Rechnung bezahlt vorerst der Bürger, mit höheren Steuern und Preisen.
Die Panik an den Finanzmärkten provozierte in der grössten Wirtschaftsnation der Welt den breiten Schulterschluss. Regierung, Notenbank und Parlamentsspitzen der USA einigten sich auf die Rettung des maroden amerikanischen Finanzsystems. Die wegen Fehlspekulationen vom Untergang bedrohten Banken sollen ihre faulen Wertpapiere in einen grossen, staatlichen Topf schmeissen können, wo sie so lange liegen bleiben, bis sich die Märkte beruhigt haben.
Main Street rettet Wall Street – zu Lasten der Steuerzahler
Die Ziele sind klar: Die wankenden Banken müssen weniger zusätzliche Milliardenabschreiber vornehmen, sollten sich auf ihre normalen Kundengeschäfte konzentrieren können und befinden sich hoffentlich bald wieder gegenseitig für kreditwürdig. Der Motor beginnt wieder zu drehen.
Die Investoren reagierten euphorisch. Heute morgen schossen die Kurse der Finanztitel in die Höhe, UBS plus 30 Prozent, CS plus 16, Swiss Re plus 11.
Bezahlen tut der US-Staat respektive dessen Bürger. Die Commerzbank vergleicht die geplante Aktion mit jener in Schweden von Anfang der 90er-Jahre, als sich die Kosten für die Bankensanierung auf 6 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes beliefen. In Japan verschlang die Stabilisierung des Finanzsystems sogar fast 20 Prozent der inländischen Jahresproduktion.
Umgerechnet auf die USA würde eine solche Rettungsaktion bei schwedischen Verhältnissen rund 850 Milliarden Dollar kosten, bei japanischen sogar fast 3 Billionen. Wie die Finanzierung der Notmassnahmen mit den Steuerversprechen der Präsidentschaftskandidaten McCain und Obama zusammengehen soll, ist fraglich.
Klar ist hingegen: Die hohen (Spekulations-)Gewinne der Banken der letzten Jahre wurden privatisiert, die Kosten zur Bereinigung der faulen Kredite sollen nun verstaatlicht werden. Am Ende ist es die Gesellschaft, die geradestehen muss für die Exzesse einer einzelnen Branche.
Mit freier Marktwirtschaft hat dies wenig zu tun. Der renommierte Professor Nouriel Roubini, ein früher Warner vor dem nun eingetretenen Kollaps des Finanzsystems, bezeichnete die USA in einem kürzlich erschienen Artikel als sozialistischen Staat. «Comrades Bush, Paulson and Bernanke – Welcome You to the USSRA (United Socialist State Republic of America)», lautete der Titel des Textes, der wenige Tage vor dem Konkurs der Investmentbank Lehman erschienen war.
Im Frühling hatten die Behörden die Rettung von Bear Stearns orchestriert, der Nummer fünf der Investmentbanken. Im Sommer verstaatlichten sie die beiden Hypothekarinstitute Fannie Mae und Freddie Mac mit einer astronomisch hohen Bilanzsumme von 6 Billionen Dollar. Die Rechnung für den US-Steuerzahler beläuft sich laut Roubini allein für diese zwei Massnahmen auf rund 300 Milliarden Dollar.
Nach dem Lehman-Bankrott vom letzten Sonntag verschärfte sich die Lage. Die US-Notenbank übernahm am Dienstag gegen einen Kredit von 85 Milliarden Dollar die weltgrösste Versicherungsgruppe AIG, gestern Donnerstag pumpten die Notenbanken unter der Führung der Amerikaner massenhaft Liquidität ins Finanzsystem.
In der Nacht auf heute schliesslich beschlossen die Spitzen der US-Politik, den gesamten faulen Teil des Finanzsektors zu übernehmen. Vorbild ist die Resolution Trust Corporation von 1989, welche damals mit rund 400 Milliarden Dollar marode Spar- und Leihkassen retten sollte.
«This is the biggest and most socialist government intervention in economic affairs since the formation of the Soviet Union and Communist China», schrieb der an der Universität New York lehrende Roubini schon vor dem jüngsten Kraftakt. Die US-Regierung gebärde sich so sozialistisch wie das einstige Sowjet-Regime oder die frühere chinesische Führungsriege.
Besonders enerviert sich Roubini am Hüst-und-Hott der obersten US-Verantwortlichen. Jahrelang hätten sich Präsident Bush & Co. durch Abseitsstehen ausgezeichnet und die heilenden Kräfte der freien Marktwirtschaft gepredigt, was das Ausmass der heutigen Krise, der grössten seit der Wirtschaftsdepression der 30er-Jahre des letzten Jahrhunderts, erst möglich gemacht habe. Heute würden die gleichen Leute die Bürger für ihr Versagen zur Kasse bitten. «So let them be shamed in public (…)», schreibt Roubini.