«Dieser Prozess richtet Schaden an»

20minuten.ch (8. Mai 2008) – Die Schuldfrage nütze bei Flugunglücken niemandem, sagt Aviatik-Spezialist Sepp Moser nach einer Woche Crossair-Prozess in Bellinzona. Das Gericht will klären, ob sich die sechs angeklagten Crossair-Manager im Zusammenhang mit dem Jumbolino-Absturz bei Bassersdorf der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht haben, wie dies die Anklage behauptet.

Herr Moser, ist dieser Strafprozess am Bundesstrafgericht sinnvoll?

Sepp Moser: Ich bezweifle es. Wenn ein Bus-Chauffeur einen Unfall macht, wird doch nicht der Direktor der Verkehrsbetriebe angeklagt. Sonst hätte nach dem Absturz von Halifax wegen falschen Kabeleinbaus der Swissair-Präsident vor den Richter gehört. Nein, dieser Prozess fördert vor allem die Angstkultur in der Luftfahrt.

Wieso?

Moser: In der Fliegerei lernt man aus Fehlern, mit Unfallberichten, die international ausgetauscht werden. Was hingegen bringt die Schuldfrage, zumal in einem so unklaren Fall wie diesem?

Sie klärt ab, ob Moritz Suter und André Dosé in ihrer Crossair eine „Angstkultur“ pflegten, die eine Früherkennung von Schwächen erschwerte.

Moser: Bei über 3000 Mitarbeitern gibt es immer ein paar, die das Management kritisieren. Ein Regelverstoss muss aber nicht unbedingt ein Kapitalverbrechen sein. Die Vorschriften enthalten riesige Sicherheitsmargen.

Unglückspilot Hans Lutz flog Kloten zu tief an. Da bestand kein Spielraum.

Moser: Ohne Zweifel. Aber er stand auch unter Stress, nicht zuletzt weil die Flugsicherung ihm allein aus Lärmgründen im letzten Moment eine weniger sichere Route zuwies.

Lutz versagte bei der Umschulung auf eine grössere Maschine. Warum überwachte ihn das Crossair-Management danach nicht besser?

Moser: Jedem Piloten kann ein Entwicklungsschritt missraten, sei es wegen fehlender Fähigkeiten oder persönlicher Umstände. Aber das System hat funktioniert, die Crossair liess Lutz nicht MD80 fliegen. Wenn ein Chauffeur die Gelenkbus-Prüfung nicht besteht, kriegt er auch kein Berufsverbot, sondern er fährt einen kleineren Bus.

Die Technik soll Lutz überfordert haben. War er im Cockpit grundsätzlich am falschen Platz?

Moser: Lutz war einige Male mein Experte bei Flugprüfungen. Ich schätzte seine strenge, ruhige, kompetente und nie belehrende Art. Er konnte fliegen, schliesslich hat er später die Prüfung für den Typ Jumbolino bestanden. Warum stehen nicht die Leute vom Bundesamt vor Gericht, die ihm den Ausweis dafür ausstellten?

Safety first, lautet das oberste Gebot in der Fliegerei. Galt das auch für die Crossair?

Moser: Ja. Aber bei jeder Airline gibt es Fehler, die dann ausgemerzt werden. Flugsicherheit ist ein sehr komplexes Thema und nicht für Schlagworte geeignet.

Ging es den Crossair-Chefs vor allem um den Profit statt um die Sicherheit?

Moser: Sicher nicht. Jede Airline fliegt so sicher wie möglich, erst recht in den reichen Industriestaaten. Aber klar, es gibt wie in jeder Branche auch hier wirtschaftlichen Druck.

Man wirft den Angeklagten auch vor, Sicherheitsvorschriften nur erfüllt, aber nicht übertroffen zu haben.

Moser: Wenn das stimmt, wären die Sicherheitsvorschriften ungenügend, und nach dieser Logik gehörten die Behörden oder gar der Verkehrsminister vor Gericht.

Mit welchem Prozessausgang rechnen Sie?

Moser: Keine Ahnung. Klar ist, dass solche Verfahren Schaden anrichten. Sie fördern den Trend zu einer echten Angstkultur in der Luftfahrt. Ich weiss von einem schweren Vorfall, den die Piloten aus Angst vor solchen Konsequenzen verheimlichten. Das ist nicht gut.

Sie sind ein Freund von Moritz Suter. Können Sie neutral über die Crossair urteilen?

Moser: Sicher, ich bin mit vielen Leuten aus der Fliegerei befreundet, und anständige Kritik gehört in diesem Business zum Alltag. Suter ist ein emotionaler Mensch und braust manchmal auf. Aber ich habe die Crossair nie als eine von Angstkultur geprägte Airline erlebt. Sie hatte eine junge, dynamische und engagierte Crew.

Für Sie war die Crossair-Unfallserie von Nassenwil Anfang 2000 und Bassersdorf im Herbst 2001 einfach Pech?

Moser: Nassenwil sowieso, da haben die Piloten die räumliche Orientierung verloren. Genau das gleiche passierte 1998 zwei Luftwaffenpiloten mit einer F/A-18, und niemand machte Schuldzuweisungen. Bei Bassersdorf ist vieles falsch gelaufen, nicht nur bei den Piloten und in der Crossair. Im Interesse der Sicherheit wäre es besser, aus diesen Fehlern zu lernen, statt zwanghaft einen Grund zu suchen, jemanden zu bestrafen.


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