«Ein Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt wäre fahrlässig»
20minuten.ch (11. Juni 2009) – Laut dem Schweizer Finanzprofessor Alfred Mettler, der seit 11 Jahren in den USA lehrt, habe der Bundesrat endlich begriffen, dass die UBS-Krise von zentraler Bedeutung ist für das kleine Land. Vorderhand brauche die Bank die Politik.
Herr Mettler, Sie sind Finanzprofessor an der Georgia State University in Atlanta. Aus US-Distanz betrachtet: Wie nimmt der Bundesrat seine Aufgabe als UBS-Grossinvestor wahr?
Alfred Mettler: Im grossen Ganzen besonnen und vernünftig. Seit der Rettungsaktion vom letzten Herbst ist klar, dass die UBS zum zentralen Landesproblem geworden ist. Wenig später explodierte der Steuerstreit mit den USA, da geht es ums künftige Bankgeheimnis. Das sind gewaltige Herausforderungen für ein kleines Land, die zuerst gemeistert werden müssen, bevor man das Bankwesen restrukturiert.
Würde die UBS im Steuerstreit verurteilt, dann würde auch die Schweiz haftbar, sagt SVP-Nationalrat Hans Kaufmann und plädiert für einen schnellen Exit. Was soll falsch sein an dieser Überlegung?
Mettler: Es entspricht einer eher isolierten Denkhaltung. Die Schweiz sitzt doch längst im gleichen Boot wie die UBS. Man sieht das an der Stellungnahme des Bundesrats zugunsten der UBS vor einem US-Gericht im Steuerstreit, man sieht es an der Nationalbank, die der UBS Milliarden illiquide Papiere abgenommen hat. Nein, momentan ist ein volles Engagement des Bundesrats nötig. Ein Ausstieg der Schweiz zum jetzigen Zeitpunkt wäre fahrlässig.
Goldman Sachs und J.P. Morgan, zwei harte UBS-Konkurrenten in den USA, geben die Staatsbeteiligung zurück. Gegen sie hat die UBS jetzt einen Wettbewerbsnachteil.
Mettler: Im Investment Banking mag das zutreffen, da haben Banken ohne Staatsbeteiligung mehr Spielraum, können andere Risiken eingehen. Im Private Banking verhält es sich eher umgekehrt, da schafft der Staat auch ein Stück weit Vertrauen bei den Anlegern. Wer heute sein Geld der UBS anvertraut, tut dies auch im Wissen um den staatlichen Schutz. Das Bundes-Investment macht die UBS in der jetzigen Zeit stabiler und solider.
Aber wie wollen die neuen Chefs die Bank in eine lukrative Zukunft führen, wenn jeder Entscheid zum öffentlichen Thema und von der Politik hinterfragt wird?
Mettler: Wir sind uns einig, dass der Staat in unserem kapitalistischen System keine Banken führen soll. Letzten Herbst hatte er jedoch keine andere Wahl als einzusteigen, das ist nun halt so. Heute stellt sich lediglich die Frage nach dem richtigen Ausstiegszeitpunkt. Der ist meiner Meinung nach noch nicht gekommen.
Dass bürgerliche Politiker einen raschen Ausstieg fordern, kann nicht überraschen, das gehört zur rechten DNA.
Mettler: Ja, nur ist der Traum von einer Schweiz als Insel, die lediglich ihr Bankgeheimnis in der Verfassung verankern muss, um der UBS auf die Beine zu helfen und allen anderen Banken im Land eine goldene Zukunft zu verschaffen, vorbei. Von diesen Kräften sollte sich die Regierung nicht allzu stark beeinflussen lassen. Was der Bundesrat braucht, ist eine eigene Analyse des Gesundheitszustands der UBS. Daraus muss er seine Eigentümer-Strategie ableiten.
Wenn dereinst das UBS-Problem gelöst ist, geht der helvetische Finanzplatz dann gestärkt aus der Krise hervor?
Mettler: Davon bin ich überzeugt. Aber es stellt sich eine Kernfrage: Wie löst das Land sein Klumpenrisiko namens Grossbanken? Die Richtung mit mehr Eigenkapitalunterlegung und einem Bonus-Malus-Lohnsystem stimmt. Danach folgt die richtige Positionierung des Finanzplatzes. Die Schweiz ist ein erstklassiges Zentrum für die Vermögensverwaltung, für dieses Geschäft ist das Land mit seinem Qualitätsanspruch und Know-how prädestiniert. Dann fehlt nur noch die richtige Vermarktung. Die Selbstkritik, wie sie die Schweiz in dieser Krise übt, ist weltweit einmalig. Das grenzt schon fast an Selbstzerfleischung.