Das Wundern von Bern

20minuten.ch (26. März 2009) – Die Präsidenten von SVP und CVP knallen mit den Peitsche, statt endlich die Situation in Sachen Bankgeheimnis realistisch einzuschätzen. Das Wundern in den Berner Politkreisen dürfte umso grösser sein, wenn nicht weniger, sondern noch mehr vom alten Bankgeheimnis fällt. Eine Einschätzung.

Toni Brunner sprach in gewohnt breitem Thurgauer Dialekt ins Mikrophon von Radio DRS. «Es gibt doch nicht ein Sowohl-als-auch», meinte der SVP-Präsident in der heutigen Morgen-Nachrichtensendung. «Zinsbesteuerung oder Auskunft über Steuerhinterziehung – beides geht nicht».

Die Schweizer Banken ziehen seit ein paar Jahren auf unversteuerte ausländische Vermögen eine Steuer ein, die sukzessive auf 35 Prozent angehoben wird. Die Institute liefern das eingezogene Geld den EU-Ländern aus. Weil die Schweiz dem Ausland in Zukunft auch bei Hinterziehung und nicht mehr nur bei Betrug Kundendaten aushändigen will, fordern Helvetiens Starpolitiker das Ende dieser Zinssteuer.

Darbellay als kleiner Wilhelm Tell

Auch CVP-Präsident Christophe Darbellay. Wie einst Wilhelm Tell mag der Romand nicht vor fremden Steuervögten in die Knie gehen. «Ich will nicht mehr als Schweizer die Steuern einziehen für die Herren Steinbrück und Sarkozy», polterte Darbellay, und der Inhalt wollte gar nicht recht zur feiner Stimme mit dem leichten französischem Einschlag passen.

Diese lauten Töne sind lediglich der jüngste emotionale Ausbruch im kleinen Alpenstaat auf den steigenden Druck des Auslands auf das Bankgeheimnis. Nach Nazivergleichen und Strafanzeigen gegen den deutschen Finanzminister Peer Streinbrück glauben aufbrausende Parteibonzen, täglich auf den Putz hauen zu müssen. Sie wettern über die gestrige bundesrätliche Ankündigung, wonach die Zinsbesteuerung wie mit der EU abgemacht fortgesetzt werden soll.

Alle Grundlagen für die Steuerhinterziehung entfernen»

Dabei täten die Parteihelden gut daran, die Lage nüchtern zu analysieren. Was wir in Sachen Bankgeheimnis bisher erlebt haben, dürfte nämlich erst das Vorspiel gewesen sein. Worauf die grossen EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich mit ihren leeren Kassen hinaus wollen, machte der SPD-Abgeordnete Hans Eichel an einem gestrigen Hearing mit Schweizer Bankenbeteiligung in Berlin klar. Die Schweiz müsse «alle Grundlagen für die Steuerhinterziehung entfernen» und zum «automatischen Informationsaustausch übergehen».

Hier liegt die grosse Gefahr begraben, nicht in der Frage Zinsbesteuerung weiterführen oder nicht. Zwischen vielen EU-Staaten fliessen heute die Bankdaten der Bürger frei und ungehindert hin und her. Steuerbehörden innerhalb eines Landes haben schon bei geringsten Zweifeln an der Ehrlichkeit der Steuerpflichtigen ungehinderten Zugriff auf deren Finanzinformationen. Und selbst die Behörden fremder Staaten gelangen relativ einfach in den Besitz dieser Daten.

Wie «steuerehrlich» ist das viele Geld wirklich?

Wie die Schweiz diesen Angriff abwehren möchte – das ist die grosse Frage. Urs Roth, der Chef der Lobbyorganisation Schweizerische Bankiervereinigung, behauptete gestern in Berlin, die überwiegende Mehrheit des bei uns lagernden ausländischen Vermögens sei «steuerehrlich». Ein interessanter Begriff, der mithelfen soll, das steuerliche Alpenreduit sturmfest zu machen. Schätzungen zeichnen ein anderes Bild. Nicht der Grossteil des Auslandvermögens ist deklariert, sondern maximal die Hälfte; bei der anderen handelt es sich um Schwarzgeld.

In den USA, wo der Angriff auf die kleine Schweiz ihren Anfang nahm, sagte der demokratische Senator Carl Levi, dass sich die Eidgenossenschaft mit ihrem Festklammern am Bankgeheimnis selbst am meisten schaden wird. Ein solches Modell möge kurzfristig einen Mehrgewinn versprechen, langfristig sei es für ein Land verheerend.

Politpolterer streuen Wählern Sand in die Augen

Doch mit solch unangenehmen Einschätzungen im Ausland wollen sich Politpolterer wie Brunner und Darbellay nicht auseinandersetzen. Sie mögen in ihren Parteien auf Support stossen und kurzfristig in Form von Wahlerfolgen ebenfalls punkten, so wie der Finanzplatz und das Land jahrzehntelang dank dem strikten Bankgeheimnis einen Zusatzgewinn abschöpfen konnte.

Doch sie streuen ihren Anhängern und den Wählern vor allem Sand in die Augen. In Zeiten von Hyperverschuldung und nationalem Retrotrend lassen sich Grossmächte schweizerische Steuerschlaumeierei nicht mehr gefallen – ob uns das gefällt oder nicht.

Wie wenig laute Töne die Entwicklung aufhalten können, zeigt das Beispiel von Liechtenstein. Noch vor einem Jahr beschimpfte Erbprinz Alois die Deutschen in groben Worten. Wenige Monate später gab das Fürstentum kleinlaut sein Bankgeheimnis in alter Form preis.

«Das Schweizer Bankgeheimnis ist weg»

In einem Kommentar erklärt die Süddeutsche Zeitung denn auch die laute Aufregung in unserem Land mit einer «gewaltigen Portion Frust». «Die Schweizer können es immer noch nicht ganz wahrhaben: Ihr Bankgeheimnis, Herzstück der Alpenfestung, Sinnbild auch des Widerstands gegen eine Welt, in der Bürger und Steuerzahler nicht gefragt, sondern geschröpft werden, es ist weg».

Der Kommentator, der Anfang des Jahrhunderts Schweizer Korrespondent der Zeitung war, zeigt ein gewisses Verständnis für das laute Aufheulen. Die Schweizer würden «ja schon waidwund am Boden» liegen. «Das alles wäre leichter zu ertragen für sie, wenn der Minister sich seine Sprüche in diesem Fall versagen würde. Die Finanzminister anderer Länder schweigen und freuen sich still».

Das sind nüchterne deutsche Kommentatoren, da können die Brunners und Darbellays der Schweizer Politik noch lange Poltern. Am engen Spielraum des Landes ändern sie damit nichts.


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