Die Mondlandung
«Luna» lautete der Codename für die Lufthansa, «Solar» hiess die Swiss und «Universe» das Übernahmeprojekt. Kommt der Verkauf in den Norden zustande, wäre das ein kleiner Schritt für die Deutschen, aber ein grosser für die Schweizer Airline.
Swiss-Chef Christoph Franz griff Mittwoch vor einer Woche zu einem branchenfremden Vergleich. «Der Zug», sagte er seinen engsten Vertrauten, «ist nicht mehr aufzuhalten.» Am Tag darauf berichtete die Weltwoche als Erste über die Übernahmeverhandlungen zwischen Franz und Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber. Bis Sonntag stieg der Druck der Medien derart stark an, dass die beiden Airlines ihr Versteckspiel schliesslich beendeten und die Verkaufsgespräche öffentlich machten.
Der offiziellen Bestätigung gingen seit Oktober fünf Monate mit geheimen Gesprächen auf oberster Unternehmensebene voraus – was eine unüblich lange Zeit für einen Zusammenschluss ist. Machte man sich anfänglich zögerlich ans Werk, ging im Februar plötzlich alles sehr schnell. Die Eckdaten lauteten:
«Universe» – das war der Codename für das Projekt.
Die Namen der Mitspieler: «Luna» für Lufthansa, «Solar» für Swiss.
Der Plan: Vollständiger Verkauf der Swiss-Aktien an die Deutschen.
Die Zugeständnisse der Lufthansa: keine weitere Kapitalspritze der Swiss-Aktionäre, eine Beteiligung der Schweizer am zukünftigen Gewinn der gemeinsamen Gesellschaft sowie eine marktgerechte Abfindung der Kleinaktionäre.
Das Modell: Die Swiss bleibt eine eigenständige Airline mit Sitz in der Schweiz und mit einem ausgebauten Langstreckennetz. Der Hub Zürich ist gesichert.
Mayrhuber und Franz, der Österreicher und der Deutsche, wussten von Anfang an, dass Universe vor allem an einem scheitern konnte: am Protest gegen den «Ausverkauf der Heimat», hineingetragen in die mediale Arena. Beiden war der Sommer 2003, als ein erster Anlauf zur Übernahme missglückt war, in schlechter Erinnerung. Damals hatten die Deutschen versucht, die Schwäche der Schweizer auszunutzen, und setzten den Swiss-Eigentümern das Messer an den Hals. 700 Millionen Franken hätten die Aktionäre einschiessen müssen, unter ihnen der Bund und der Kanton Zürich als grösste Investoren der öffentlichen Hand. Und das mit dem einzigen Zweck, ihre Aktienmehrheit einer ausländischen Gesellschaft andienen zu dürfen. Die Medien malten den Zusammenbruch der Langstreckenverbindungen aus der Schweiz an die Wand, die Umsetzung des Vorhabens wurde unmöglich gemacht: Die Übernahme scheiterte, und die Swiss trat im Oktober 2003 der Allianz der British Airways bei.
Ein Jahr später, im Herbst 2004, steht Swiss-Präsident Pieter Bouw vor einer fast ausweglosen Situation. Die drei Milliarden Franken, welche Bund, Kantone und grosse Schweizer Firmen aufgeworfen hatten, neigen sich dem Ende zu. Das Management unter CEO André Dosé war seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen, Dosé selbst hatte ein halbes Jahr zuvor seinen Posten aufgegeben, weil der Verwaltungsrat an ihm zu zweifeln begann.
Am schwersten wiegt, dass die Swiss als einzige grosse Airline allein in der europäischen Landschaft dasteht, ohne Verbündete, ohne Allianz, ohne gemeinsames Netzwerk, ohne Anschluss an ein globales Vielfliegerprogramm und ohne weltweite Verkaufsorganisation. Das Zusammengehen mit den Briten entpuppte sich bald als unglücklicher Entscheid, weil es die British Airways in den Augen der Schweizer einzig auf die Stammkunden der Swiss abgesehen hatte – die Allianz wurde ernüchtert aufgelöst. Wer dermassen allein auf sich gestellt ist in einer Branche, in der die Preise zuletzt im Jahresschnitt um 6 bis 14 Prozent sanken und sich die Treibstoffpreise mehr als verdoppelten, der darf nicht mehr vom langen Leben träumen.
Letzter Ausweg
Vergangenen Oktober präsentiert der vielgeschmähte Pieter Bouw dem Verwaltungsrat eine strategische Auslegeordnung. Sie fällt düster aus: Die Air France hat im Frühsommer die KLM erworben und ist mit der Integration der Niederländer beschäftigt, die British Airways ist nach dem Fiasko vom Frühling kein Thema mehr. Es bleibt allein die Lufthansa, obwohl man deren Heiratsantrag nur zwölf Monate zuvor abgelehnt hat. Und so kommt es, dass Bouw an der Tür, die er damals selber zugeschlagen hat – die aber von der Lufthansa, wie sie stets sagte, «nicht abgeschlossen» wurde –, erneut anklopft. Sie öffnet sich, und diesmal nicht nur einen Spaltbreit.
Der Niederländer in Schweizer Diensten ist seit langem ein Anhänger der Lufthansa. Ihm macht Eindruck, wie die Deutschen die Stürme der europäischen Airlinebranche gemeistert haben und sich heute als kerngesundes Unternehmen präsentieren können. Noch in der Krise rund um den Golfkrieg 1991 brauchte die Lufthansa-Crew neun Monate, ehe sie wusste, welche Kapazitäten sie aus ihrem Netz zu nehmen hatte. Aber nach den Anschlägen vom 11.September 2001 dauerte es gerade noch neun Wochen, bis die Airline ihr Sitzangebot radikal der eingebrochenen Nachfrage angepasst hatte. Und ebenso rasch hob sie es wieder auf den früheren Stand an, als die Passagiere in Scharen zurückkehrten. Zudem schätzt Pieter Bouw die Lufthansa-Manager, anders als die Briten, als verlässliche Partner ein.
Noch im Oktober 2004 geben die Kollegen im Swiss-Verwaltungsrat Bouw grünes Licht für eine Wiederaufnahme der Verkaufsverhandlungen mit der Lufthansa. Der Swiss-Präsident, der in der öffentlichen Wahrnehmung unterschätzt wird, könnte dereinst in die Geschichte der Schweizer Aviatik eingehen. Er, der bei öffentlichen Auftritten wegen seines Stotterns oft bemitleidet wird, packt die vermutlich letzte Chance für ein Überleben der Swiss.
Von Oktober bis Ende November ist es Bouw persönlich, der die Gespräche mit Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber führt. Er erklärt Mayrhuber die Gründe für das Scheitern im Spätsommer 2003 (die von den Deutschen geforderte Kapitalspritze vor allem) und die Chancen für einen zweiten Anlauf, sofern die richtigen Lehren gezogen würden. Mayrhuber zeigt sich interessiert und bietet den Schweizern konkrete Übernahmeverhandlungen an. Im Dezember zieht der Verwaltungsrat unter Pieter Bouw den erst vor wenigen Monaten verpflichteten CEO Christoph Franz ins Vertrauen. Der Auftrag des Verwaltungsrats an den neuen Swiss-Chef: Geh den Weg bis zum Ende, dann entscheiden wir.
Vor dem nächsten Schritt informieren Franz und Bouw die wichtigsten Swiss-Aktionäre: Neben Bund und Kanton Zürich sind das die beiden Grossbanken Credit Suisse und UBS. Alle unterstützen den Plan. Franz zeigt sich erfreut über die Aussicht, mit der grossen Lufthansa zusammenzuspannen, seinem ehemaligen Arbeitgeber. In seinen ersten hundert Tagen als Swiss-CEO war Franz, unabhängig von seinem Vorgesetzten, zum gleichen Schluss wie Pieter Bouw gekommen. Viele Swiss-Angestellte sind von ihm begeistert. Er sei «kein typischer Deutscher», weder arrogant noch mühsam bürokratisch. Im Gegenteil, er könne gut zuhören und versprühe viel Charme. Vielleicht, so heisst es wohlwollend, habe die Art seiner französischen Ehefrau auf ihn abgefärbt.
So viel Durchblick hatten ihm nur wenige zugetraut, als er am 1. Juli 2004 seine neue Stelle antrat. Mehrheitlich wurde er als naiver Manager wahrgenommen, dem die Schwere der Swiss-Krise nicht bewusst schien. Aber das änderte sich rasch. Im engen Kreis beschwerte sich Franz über das fehlende Können des Managements, das aus Dosés Zeiten stammte. Innert kurzer Zeit baute der Swiss-CEO sein Team um. Von der deutschen Condor-Airline verpflichtete er einen ausgewiesenen Netzwerkspezialisten, und zum neuen Strategiechef machte er seinen ehemaligen Arbeitskollegen bei der Deutschen Bahn, Christoph Beckmann.
Der 41-jährige Beckmann spielt im Dezember und Januar eine Hauptrolle im Stück «Swiss-Übernahme». Er und Swiss-Finanzchef Ulrik Svensson sind auf Schweizer Seite die wichtigsten Figuren im Projekt Universe. Ausser ihnen sind nur wenige eingeweiht. Die verschwiegene Art des neuen CEOs und seiner Teams, vermutet ein Verwaltungsrat, sei der Grund dafür, dass die Verhandlungen mit der Lufthansa erfolgreich verlaufen. Sein Vorgänger Dosé dagegen war wiederholt über Kommunikationsflops gestolpert, die Energie, Zeit und Glaubwürdigkeit kosteten.
Mehrmals treffen sich Strategiechef Beckmann und Finanzleiter Svensson im 8. Stock des Konferenzzentrums des Zürcher Flughafens mit ihren Pendants, den Projektverantwortlichen der Lufthansa. Deren Leiter ist Konzernstratege Holger Hätty, unterstützt wird er vom Lufthansa-Netzwerkchef. Im Unterschied zu den gescheiterten Verhandlungen von 2003 zeigt sich auch der Lufthansa-Finanzchef Karl Ludwig Kley einverstanden mit dem geplanten Deal.
Es ist aber auch eine veränderte personelle Zusammensetzung bei der Lufthansa, die eine positive Wirkung zeigt. Beim missratenen ersten Versuch unter dem Namen Skylight war noch Ralf Teckentrup zuständig, der Bereichsvorstand der Passagierdienste. Er wird von vielen als «kaltschnäuziger Manager» beschrieben, der auf der Schweizer Seite die Vorurteile vom arroganten Deutschen verstärkt haben soll. Teckentrup hat seinen Sitz in der Lufthansa-Leitung inzwischen geräumt, ein entscheidender Personalwechsel für den zweiten Anlauf.
Erste Einigung
Den ganzen Januar über verhandeln das Solar- und das Luna-Projektteam im Verborgenen. Am Swiss-Hauptsitz in Zürich Kloten machen erste Gerüchte über Geheimverhandlungen die Runde. Im Unterschied zu anderen Geschäften dieser Dimension wird keine Armada mit Beratern zugezogen. Aus einem einfachen Grund: Die Swiss kann sich die teuren Anwälte und Banker nicht leisten, die Lufthanseaten entpuppen sich als sparsame Manager, für die jeder Investmentbanker vor allem kostet und nur wenig bringt. «Manchmal kam mir die Arbeit in den Projektteams ein bisschen handgestrickt vor», sagt einer der Beteiligten.
Weder die involvierten Lufthansa- noch die Swiss-Leute haben Erfahrung im Geschäft mit Übernahmen. Sie wissen wenig über juristische Fallstricke und kommunikative Hürden. Lange Zeit wird ohne ein solides Kommunikationskonzept gearbeitet. Wäre in dieser Phase im Januar ein Informationsleck aufgetreten, hätte das den ganzen Plan ins Wanken bringen können. Wie 1993, als die visionär angedachte Fusion von vier europäischen Linien (der Swissair, der niederländischen KLM, der Scandinavian Airlines und der österreichischen AUA) torpediert worden war. Die Presse publizierte zum damaligen Projekt Alcazar Fusionspapiere, die ihr von Swissair-Kreisen zugespielt worden waren. Diesmal drang nichts nach aussen.
Im Januar kursiert das erste sogenannte White Paper, das die Grundzüge des Deals festhält und von den Investmentbankern der Deutschen Bank stammt, die auf Seiten der Lufthansa tätig sind. Die Deutsche Bank agiert schon lange als Beraterin der deutschen Airline und war auch beim ersten Übernahmeversuch im Jahr 2003 aktiv, damals von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ins Spiel gebracht, der im Aufsichtsrat der Lufthansa sitzt. Beim Projekt Universe soll der Schweizer keine Rolle mehr gespielt haben.
Anfang Februar sind sich die Parteien einig. Die Kommunikationsabteilungen werden informiert, eine PR-Agentur erstellt ein Konzept, wie das emotionsgeladene Thema den verschiedenen Interessengruppen mitgeteilt werden soll. Das Ziel lautet, Anfang März die Verträge zu unterschreiben und die Öffentlichkeit zu informieren. Der Fahrplan erweist sich als zu ambitiös, zu viele Fragen sind noch offen: Konstrukt der Beteiligung, ohne die interkontinentalen Streckenrechte zu verlieren; die Abgeltung der Schweizer Grossaktionäre; die Rolle des Flughafens Zürich; die Überzeugungsarbeit der politischen Schlüsselfiguren.
Der aktuelle Fahrplan sieht nun vor, dass die Swiss-Grossaktionäre bis nächsten Montag den Verkauf ihrer Titel an die Lufthansa akzeptieren. Am Tag darauf befindet der Aufsichtsrat der deutschen Airline, und zwar unter dem Vorbehalt, dass der Bundesrat als entscheidende Instanz am nächsten Mittwoch seinen Segen erteilt. Dass der Verwaltungsrat der Swiss ja sagt, gilt als Formsache.
Auch im Bundesrat zeichnet sich derzeit eine Zustimmung ab. Justizminister Christoph Blocher (SVP) und Finanzminister Hans-Rudolf Merz (FDP) befürworten den Verkauf, auch Pascal Couchepin (FDP) tendiert zu einem Ja. Über die Meinungen von Verteidigungschef Samuel Schmid (SVP) und Wirtschaftsminister Joseph Deiss (CVP) ist nichts bekannt. Aussenministerin Micheline Calmy-Rey dürfte gleich stimmen wie ihr SP-Kollege Moritz Leuenberger.
Dem Verkehrsminister kommt somit eine entscheidende Bedeutung zu, falls das Geschäft doch noch zum Scheitern gebracht werden sollte. Leuenberger lässt sich in dieser Frage vor allem von seinem Freund Walter Bosch beraten, der als Vizepräsident im Verwaltungsrat der Swiss sitzt. Bosch ist gegen einen Verkauf an die Lufthansa, wie aus seinem Umfeld zu hören ist. Seine Bedenken seien: Auf die Garantien der Deutschen sei nur so lange Verlass, wie es der Airline-Branche gut gehe. Beim nächsten Sturm würden die Swiss-Langstreckenflotte verkleinert und damit dem Flughafen Zürich die Federn gerupft.
Dem widersprechen beteiligte Lufthansa-Manager. «Nur wenn wir nicht als die grosse Lufthansa mit ihren dicken Flugzeugen wahrgenommen werden, können wir mit der Swiss erfolgreich sein», sagt ein Beteiligter auf deutscher Seite; er verspricht ein «partnerschaftliches Verhältnis». Alle bestehenden Verträge würden eingehalten. Wenn allerdings ein Ereignis von den Dimensionen des 11. September die Branche träfe, wären die Versprechen wohl Makulatur. Dann aber müsste auch die Lufthansa selbst saniert werden.
Die grossen Swiss-Aktionäre schliesslich wurden am Montag dieser Woche über die Hintergründe informiert. Die Swiss-Chefs Pieter Bouw und Christoph Franz erläuterten ihnen in der Wirtschaftsanwaltskanzlei Niederer, Kraft & Frey an der Zürcher Bahnhofstrasse die missliche Finanzlage der Airline. Und sie erklärten das komplizierte Konstrukt, das den Sitz der Swiss weiterhin in der Schweiz vorsieht, damit die bilateral ausgehandelten Streckenrechte nicht verloren gehen.
«Die Investoren waren sich einig», fasst ein Teilnehmer die Stimmung dieses vorentscheidenden Treffens zusammen. «Alle sind dafür.»