Ein selbst verschuldeter Absturz
Zeit Online (19. September 2011) – Obwohl die UBS in der Finanzkrise beinahe kollabiert ist, setzte Vorstandschef Grübel weiter auf riskante Geschäfte. Jetzt wird er sein Amt aufgeben müssen.
In der Tagesschau des Schweizer Fernsehens blickte den Zuschauern am Sonntag Abend ein müder, abgekämpft wirkender UBS-Chef entgegen. Auf die Frage, wer denn für den Verlust von 2,3 Milliarden Dollar (rund 1,7 Milliarden Euro) die Verantwortung zu übernehmen habe, sagte Oswald Grübel: „Nun, die Verantwortung trägt der CEO.“ Wenn es um Größenordnungen von nahezu zwei Milliarden Franken gehe, bleibe niemand anderes übrig als der CEO.
In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass der 31-jährige UBS-Händler Kweku Adoboli mit unautorisierten, spekulativen Geschäften einen Milliarden-Verlust angehäuft hat. Er wurde am Freitag wegen Verdachts des Betrugs und der Bilanzfälschung dem Haftrichter vorgeführt.
Als Banker der alten Schule weiß Grübel natürlich, ab welcher Summe sich die Rücktrittsfrage für den Vorstandsvorsitzenden stellt. „Das ist ein herber Rückschlag. Wir sind ja gerade angetreten, um das Vertrauen in die UBS wieder zurückzugewinnen“, wich der UBS-Chef darauf angesprochen aus. Über seine Zukunft entscheide er aber nicht allein.
Grübels Äußerungen legen nahe, dass sein Abgang nur noch eine Frage der Zeit ist. Der Verwaltungsrat als übergeordnetes Gremium, das für die Festlegung der Strategie und die Bestellung der Geschäftsleitung zuständig ist, hat ihn anscheinend gebeten, die Bank nicht im Moment der neuerlichen Krise zu verlassen. „Eine Führungskrise ist das Letzte, was wir derzeit gebrauchen können“, sagte ein hoher UBS-Manager, der Grübel nahe steht. Er werde bis November die Strategie der Bank anpassen, erst dann werde über seinen Rücktritt entschieden. „Dann ist er 68, ein Rücktritt wäre dann eh an der Zeit“, so der Manager.
Im Interview mit der Schweizer Tagesschau war Grübels Enttäuschung über einen bevorstehenden Abgang als Verlierer deutlich spürbar. Er wirkte verbittert und müde. Seinen jähen Absturz muss sich Grübel allerdings selbst zuschreiben. Obwohl die UBS in der Finanzkrise beinahe kollabiert war, setzte der als Retter in der Not geholte Grübel weiter auf hoch riskante Geschäfte.
Dieser Glaube an sich und seine unerschütterliche Kraft zeichnete Grübel von klein auf aus. Als Jugendlicher flüchtete er über die innerdeutsche Grenze und machte schnell Karriere in der Finanzindustrie. Nach ersten Lehrjahren bei der Deutschen Bank ging er zur Credit Suisse und stieg dort die Leiter hoch. Ihm eilte der Ruf voraus, wie kaum ein Zweiter im undurchsichtigen Handelsgeschäft mit der übermächtigen angelsächsischen Konkurrenz mithalten zu können.
Grübels steile Karriere prägte den Ostdeutschen. Er entwickelte eine fast schon übernatürliche Härte, schwierige Entscheidungen zu fällen. Ob es um Verlustpositionen ging, die es zu bereinigen galt, oder um Manager, von denen er sich trennen wollte – nie musste Grübel lange nachdenken, bis er eine Entscheidung traf. „Er ist ein Trader – in jeder Lebenssituation“, sagen Menschen, die ihn als Handelschef bei der Credit Suisse erlebt und seinen Weg an die Spitze von außen verfolgt haben.
Grübels endgültiger Aufstieg begann, nachdem sich der langjährige Präsident der Credit-Suisse-Holding mit Josef Ackermann, der damals Chef der Mutterbank Kreditanstalt war, überworfen hatte, worauf Letzterer seine Karriere bei der Deutschen Bank fortsetzte. Nach einigen Führungswirren wurde Grübel 2002 zum Chef der Credit Suisse berufen. Die Bank war zuvor nach großen Verlusten im In- und Ausland in eine Schieflage geraten.
Grübel scharte eine loyale Truppe um sich, entmachtete Wallstreet-Manager John Mack an der Spitze des Investmentbankingarms der Credit Suisse und war danach alleiniger Herrscher des Finanzmultis. Gerade noch rechtzeitig vor Ausbruch der Finanzkrise ging Grübel in Frühpension, von wo aus er seine Nachfolger in Zeitungsartikeln mit Kritik übergoss.
Im Frühling 2009 holten ihn die überforderten Verantwortlichen des Erzrivalen UBS aus der Rente und gaben ihm einen Blankoschein für den Neuaufbau der Bank. Diese hatte im US-Hypothekengeschäft über 50 Milliarden Dollar Verlust gemacht und musste mit Milliarden von Steuergeldern vor der Zahlungsunfähigkeit gerettet werden. Grübel trat damals mit dem Versprechen an, die wichtige Position der UBS im globalen Investmentbanking zu erhalten. Und: Unter seiner Ägide werde die Risikokontrolle funktionieren. Er hat sein Versprechen nicht halten können. Kweku Adoboli hat mit seinem laut UBS „unautorisierten, spekulativen Handel“ die Bank in eine neue, tiefe Krise gestoßen.
Innerhalb des Unternehmens mit seinen rund 65.000 Mitarbeitern brodelt es seitdem gewaltig. Rund ein Drittel der Belegschaft arbeitet im Heimatland Schweiz. In den zweieinhalb Jahren unter Grübels Herrschaft haben vor allen sie sich benachteiligt gefühlt. Sie mussten harte Sparprogramme umsetzen, um die Bank nach ihren irrwitzigen Verlusten in der Finanzkrise wieder in die Gewinnzone zu bringen. Erst vor Monatsfrist verkündete Grübel einen neuerlichen Abbau von 3.500 Stellen, davon ein guter Teil im Schweizer Heimatmarkt. Und auch diesmal wird es die einfachen Mitarbeiter am härtesten treffen. Sie sollen nun auch noch die Verluste aus Adobolis Spekulationen in den kommenden zwei Jahren durch Lohn- und Ausgabenkürzungen einsparen.
Mit Grübels bevorstehendem Abgang als Chef der größten Schweizer Bank geht eine Epoche zu Ende. Sie war geprägt vom Aufstieg der Credit Suisse und der UBS im globalen Investmentbanking. Grübel verkörperte diesen Aufstieg wie kein Zweiter.
Nun will die UBS – offenbar noch unter Grübel – bis November eine neue Strategie vorstellen. Wie zu hören ist, werden die Investmentbanking-Aktivitäten zurückgefahren. Insbesondere das Geschäft mit festverzinslichen Papieren, das die UBS in der Subprime-Krise an den Rand des Abgrunds geführt hatte und das für die Deutsche Bank nach wie vor von großer Bedeutung ist, könnte deutlich verkleinert werden. Der von Linken und Teilen der rechten Volkspartei geforderte komplette Ausstieg aus dem Investmentbanking ist hingegen unwahrscheinlich. Dadurch würde die UBS in ihrer Kerndisziplin, der globalen Vermögensverwaltung, als nicht mehr wettbewerbsfähig erachtet.
Trotz seines unschönen Karriereendes muss man sich um Oswald Grübel keine allzu großen Sorgen machen. Der Deutsche dürfte nach seiner zweiten Pensionierung weiterhin das Geschehen von außen kommentieren und Noten verteilen. Daneben wird er wohl, wie während seiner zweijährigen Auszeit nach dem Ausstieg bei der Credit Suisse, im exklusiven Marbella in Südspanien dem Golfspiel frönen und zigarrenrauchend Formel-1-Rennen besuchen.
Ein Ziel wird Grübel nach dem Zwei-Milliarden-Debakel aber nicht mehr erreichen: Als zweifacher Retter der Großbanken in die Schweizer Geschichte eingehen.