IWF-Chefposten Wer folgt auf Strauss-Kahn?

20minuten.ch (19. Mai 2011) – Nach dem unschönen Abgang von Dominique Strauss-Kahn als IWF-Chef beginnt das Feilschen um seine Nachfolge. Im Rennen sind auch zwei Schweizer.

Kaum warf Dominique Strauss-Kahn das Handtuch, preschten EU, China und weitere mit Ansprüchen vor. Favoritin bleibt aber Christine Lagarde aus Frankreich.

Frau, Politikerin, Bankenkritikerin – Christine Lagarde könnte vor ihrem grössten Karrieresprung stehen und in den erlauchten Kreis der Weltherrscher aufsteigen. Ihr grösster Nachteil im Wettbewerb um den Chefposten beim Internationalen Währungsfonds (IWF) ist – ihr Pass.

Selbstbewusste Wachstumsländer

Nicht weil sie Landsfrau des gestürzten Vorgängers Domique Strauss-Kahn ist. Nationenhaftung betreibt derzeit niemand. Aber Lagarde gehört als französische Finanzministerin zur EU-Führungsgilde. Deren jahrzehntealter IWF-Machtanspruch wird bestritten.

Ins Spiel bringen sich China, Türkei und Brasilien. «Europa ernennt den IWF-Chef. Das muss sich ändern», stösst bemerkenswerterweise der türkische Finanzminister als Vertreter eines Landes vor, das einen Fuss in Old Europe hat. EU-Chef Barroso als formell oberster Kopf der alten europäischen Kaste hält mit Blick auf den hohen IWF-Beitrag der Europäer dagegen.

Hildebrand und DSK im Baur au Lac

Von der Schweiz spricht niemand. Dabei hörte man noch vor kurzem aus dem Umfeld der Nationalbank immer wieder, dass SNB-Präsident Philipp Hildebrand mit dem IWF-Chefposten liebäugeln würde. Ein Szenario, das ein hoher Vertreter des Bankenplatzes in einem Hintergrundgespräch vor einigen Wochen erläuterte, basierte auf einem baldigen Wechsel von «DSK» (Dominique Strauss-Kahn) in die Politik als französischer Präsidentschaftskandidat der Sozialisten. Dann, so die Quelle, könnte Hildebrand versuchen, den verwaisten IWF-Stuhl zu ergattern.

Dass sich Hildebrand ins Spiel zu bringen versuchte, könnte auch aus seinen jüngsten Aktivitäten herausgelesen werden. Vor Wochenfrist führte der SNB-Chef zum zweiten Mal innert Jahresfrist ein hochkarätiges Expertentreffen in Zürich durch, zusammen mit DSK und dem IWF als Partner.

Im Nobelhotel Baur au Lac debattierten Notenbanker, Wissenschaftler, Politiker, Regulatoren, Spitzenbanker und ausgesuchte Journalisten über Massnahmen, um das globale Finanzsystem krisenresistenter zu machen. Hildebrand und DSK führten gemeinsam durchs Programm.

DSKs verkleinern Hildebrands Chancen

Drei Tage nach dem Zürcher Anlass hatte DSK seinen Ausraster im New Yorker Sofitel-Hotel. Was genau am letzten Samstag um die Mittagszeit in der 3000-Dollar-Suite passierte, ist juristisch offen. Dass sich aber DSK in eine unmögliche Lage hineinmanövriert hat, die am Donnerstag zu seinem raschen und folgenschweren Abgang geführt hat, steht längst ausser Frage.

Sollte SNB-Chef Philipp Hildebrand je Überlegungen in Richtung IWF-Spitzenposition angestellt haben, hätten sich diese wohl fürs Erste erledigt. Seit dem tiefen Fall von DSK überschlagen sich nämlich die Ereignisse um dessen Nachfolge.

Schweizer bleiben wohl aussen vor

Aus Sicht der EU, die auf weitere Hilfe des IWF bei der Rettung maroder Mitgliedsländer hofft, steht die Sicherung von Einfluss und Macht in einer schwierigen Phase auf dem Spiel. Hildebrand als respektierter, gut vernetzter Notenbanker kann in diesem Spiel vermutlich nur eine Randfigur sein. Schliesslich ist er Schweizer und damit nicht direkt in die grossen aktuellen Fragen involviert.

Ein anderer immer wieder genannter Schweizer hat wohl nur leicht bessere Chancen. Josef Ackermann, Ex-CS-Spitzenmann und seit Jahren Deutsche-Bank-Chef, wurde kürzlich vom früheren IWF-Chefökonomen als «einen der gefährlichsten Bankmanager» abgekanzelt. Ackermann propagiere Gewinnziele für die Aktionäre wie vor der Finanzkrise. Das führe zu hohen Risiken.

Lagarde kommt an

Wer bleibt, wenn Ackermann und andere Spitzenbanker durchfallen, weil sie zu wenig der Res publica verpflichtet scheinen? Gordon Brown, Ex-UK-Premier von Labour, und Axel Weber, der bis vor kurzem die deutsche Bundesbank geleitet hat, werden von europäischer Seite ins Spiel gebracht.

Das wahrscheinlichste Szenario ist aber Christine Lagarde. Die Französin kriegte heute von der Financial Times und der New York Times (NYT) gute Noten. Sie sei eine Politikerin mit Rückgrat, würde das Finanzsystem kennen und habe den Mut, den Topbankern die Stirn zu bieten.

Weise Entscheidungen nötig

Die NYT schilderte eine Episode des diesjährigen WEFs in Davos. Lagarde habe Barclays-CEO Robert Diamond nach dessen Dank für die Staatsrettungen des überschuldeten Bankensystems geantwortet: «Die beste Art für die Bankenindustrie, sich zu bedanken, sind eine gute Finanzierung der Volkswirtschaft, vernünftige Entschädigungen und eine Verstärkung des Eigenkapitals.»

Das WEF-Publikum klatschte lauten Beifall. Vielleicht kriegt die Welt dank dem Absturz des hochgelobten DSK mit Christine Lagarde eine Person an eine der wichtigsten Stellhebeln des globalen Finanzsystems zu einem Zeitpunkt, in dem weise Entscheide dringend nötig sind.


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