Stiglitz sprach – und 500 Zürcher Banker kamen

20minuten.ch (20. September 2010) – Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ist ein Publikumsmagnet. In Zürich kritisierte er die Fed und dass noch keine Lehren aus der Finanzkrise gezogen seien.

Der grosse Saal des Zürcher Kongresshauses war am Montag rappelvoll – und das um 8.30 Uhr in der früh. Geschätzte 500 Gäste, darunter viele Zürcher Banker, quetschten sich in die engbestuhlten Reihen, um an den Lippen von US-Ökonom und Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zu hängen. Stiglitz war vom Swiss Finance Institute eingeladen worden.

Und der Aufwand hat sich gelohnt. Stiglitz, in seiner Lieblingsrobe mit dunklem Anzug, weissem Hemd und bordauxroter Krawatte, zog die Anwesenden durch seine präzise und gleichzeitig verständliche Analyse in den Bann.

Fed hat Krise nie kommen gesehen

In seinem Zürcher Referat rechnete Stiglitz vor allem mit der Politik der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) ab. Deren verantwortliche Chefs, darunter Fed-Chef Ben Bernanke, dem Stiglitz mit seinem grau melierten Vollbart gleicht, hätten die Krise nie kommen sehen und danach erst noch falsch reagiert.

Schuld am schwerwiegenden Versäumnis ist laut Stiglitz die Überzeugung der US-Notenbanker, die beste Politik sei den Markt spielen zu lassen, ganz nach dem Begründer der freien Marktwirtschaftslehre, Englands berühmtem Ökonomen Adam Smith. «Das Problem mit Adam Smith’s unsichtbarer Hand („Invisible Hand“) ist, dass sie in der Krise oft unsichtbar blieb», sorgte Stiglitz für Gelächter.

Die Märkte seien weniger effizient und stabil, als die Lehre der reinen Marktwirtschaft suggeriere. Das Problem: Jeder Marktteilnehmer denkt von sich, dass seine Handlungen rational sind, was aber für die übrigen Akteure nicht zutreffen muss. Weil diese subjektive Sicht typisch sei, könne eine Wirtschaft, die nicht durch Leitplanken gelenkt würde, ausser Rand und Band geraten, gab Stiglitz zu verstehen.

Greenspann: Kein Bubble, höchstens ein Bläschen

Die verantwortlichen Fed-Akteure hätten diese subjektive «Rationalität» noch immer viel zu wenig studiert. Besonders hart ins Gericht ging Stiglitz mit dem früheren Fed-Präsidenten Alan Greenspan. «Als Greenspan vor dem Kongressausschuss gefragt wurde, ob es in den USA einen Immobilienbubble geben würde, meinte der: <Kein Bubble, höchstens ein Bläschen>», mokierte sich Stiglitz über jenen Notenbanker, der mit seinen Zinssenkungen zwei Jahrzehntelang die Börsen bei Laune hielt und heute den Übernahmen «Bubble-Alan» trägt.

«Aus der Überlegung, dass der Markt alles ins Lot bringt, resultierte die Politik des Abseitsstehens», führte Stiglitz aus. «Darin waren die Fed-Leute sehr gut.» Und weiter: «Greenspan führte bei seiner Anhörung (im Nachgang zur Krise) aus, er sei überrascht gewesen, welche Risiken die Banken eingegangen seien. Mich überrascht allein Greenspans Überraschung.»

Überraschend wäre allein gewesen, wenn sich die Banken angesichts der grossen regulatorischen Freiheiten anders verhalten hätten. «Immerhin das sind : Wir brauchen die Lehrbücher nicht neu zu schreiben.»

Geld ohne Auflagen statt Infrastrukturprogramme

Als die US-Immobilienblase platzte, machten die Notenbanker vom Fed gleich nochmals schwerwiegende Fehler, meinte Stiglitz in seinem Referat. Sie hätten die Banken mit Geld vollgepumpt, ohne Bedingungen an sie zu stellen. Viel sinnvoller wäre es gewesen, ein grosses Infrastrukturprogramm auszulösen, mit Investitionen in Bildung, Verkehr, Telekommunikation etc.

Trotz Jahrhundertkrise würden die Verantwortlichen erst allmählich begreifen, wie gefährlich das Schatten-Bankensystem der Vor-Krisenzeit gewesen sei, sagte Stiglitz. Die Banken konnten mit Erlaubnis der Regulatoren grosse Teile ihrer Risiken in vermeintlich weit entferne Vehikel auslagern, um beim Crash zu erkennen, dass sie die Risiken damit keineswegs aus der Welt geschaffen haben, sondern dass diese mit grosser Wucht auf ihre eigene Bilanz zurückfallen.

Weil sich viele Banken gleich verhielten, drohte der Ausfall einer wichtigen Gegenpartei das ganze System zum Einsturz zu bringen. Stiglitz: «Die Banken und die Regulatoren dachten nur an die Vorteile der Globalisierung, nicht aber an die Risiken einer Ansteckung.»

Glass Steagall reicht nicht mehr

Als Fazit sei die Lehre zu ziehen, dass eine Rückkehr zum früheren Trennbankensystem namens Glass Steagall nicht genüge, führte Stiglitz aus. Reine Investmentbanken, die in einem solchem Setup grosse Risiken eingehen dürften, seien inzwischen ebenfalls systemrelevant geworden. Es brauche mehr, meinte der US-Starökonom. «Die Notenbanker müssen das Zusammenspiel ihrer Geldpolitik mit dem Kreditverhalten der Geschäftsbanken minutiös studieren. Und sie müssen sich auf das Wesentliche konzentrieren, statt jedes kleine Detail regeln zu wollen.»


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