Wie weiter mit Swatch?

20minuten.ch (29. Juni 2010) – Der König der Uhrenindustrie ist tot, es lebe der König. Nur: Wer soll das sein? Hat Nicolas Hayek sein Erbe so geregelt, dass die Swatch-Gruppe ungestört in die Zukunft gehen kann? Es bestehen Zweifel.

Die Würdigungen kommen nur im Superlativ daher. Zu recht. Nicolas G. Hayek war einer der grössten Schweizer Unternehmerpersönlichkeiten. Ein Brocken in der Landschaft. Ein Gigant. Ein Dürrenmatt und Frisch der Wirtschaft.

Seine grösste Leistung, die Rettung der Schweizer Uhrenindustrie und der Aufbau eines weltumspannenden Uhren-Imperiums mit Marken wie Swatch, Omega, Tissot, Longines, Blancpain und Tiffany ist das Eine.

Das Andere ist der Mythos. Hayek verstand es, mit seinen Auftritten nicht nur sein Unternehmen in Szene zu setzen, sondern vor allem auch sich selbst.

Swatch hat viele Väter

So gilt für die meisten Schweizer Hayek als Begründer der Erfolgsmarke Swatch, dieser batteriegetriebenen Plastikuhr, die in den 80er Jahren für 50 Franken zu haben war und die helvetische Uhrenindustrie möglicherweise vor dem Kollaps bewahrte. Heute sagt ihm das ganze Land danke für seine Leistungen rund um die Uhrenindustrie.

Doch die Swatch hat viele Väter. Das Projekt der Ur-Swatch wurde bereits vor Hayeks Engagement als Strategischer Berater für die Uhrenfirmen ASUAG und SSIH 1980 von der Grenchner ASUAG-Tocher ETA AG lanciert. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde die erste Swatch am 1. März 1983 in Zürich.

Hayek war sein Leben lang vor allem ein genialer Vermarkter. Nicht die Fakten waren entscheidend, sondern die Perzeption, die Wahrnehmung des Gegenübers: des Kunden, des Mitarbeiters, des Politikers, des Journalisten, des Bürgers.

Geboren 1927, nicht 1928

Die Anpassung der Realität an den Traum ging so weit, dass sich Hayek ein Jahr jünger machte, als er effektiv war. Dem kam das damalige Schweizer Nachrichtenmagazin «Facts» in einer ausführlichen Artikelserie über den Uhrenkönig im September 1997 auf die Spur.

«Seine Wurzeln hat der erfolgreiche Unternehmer in der nahöstlichen Metropole Beirut, wo sein Vater, der Amerikaner Georges N. Hayek, im Stadtzentrum eine Zahnarztpraxis betrieb», schrieb «Facts», und hielt kurz darauf fest: «Die Primar- und Sekundarschulzeit verbrachte Hayek an der Jesuitenschule in Beirut, dem Gymnasium der französischen Sektion der amerikanischen Universität. Vor dem Zweiten Weltkrieg reiste er mit den Eltern in den Sommerferien erstmals in die Schweiz. 1947 machte er in Beirut die französische Matura mit Schwerpunkt Mathematik. Auf seiner Schülerkarte, die noch heute im Archiv des Gymnasiums aufbewahrt wird, ist neben Adresse und Religion (griechisch-orthodox) auch das Geburtsjahr (1927) notiert. Ein Widerspruch: Heute gilt 1928 als offizielles Datum.»

19. Februar 1928, wie die offizielle Todesanzeige von Hayeks Swatch Group in der heutigen «NZZ» zeigt. Laut Weggefährten soll der untersetzte Hayek gerne hohe Schuhe mit versteckten Absätzen getragen haben. Und er sprach von sich als «Physiker, Chemiker und Mathematiker», vermutlich um sich den Anstrich eines Gelehrten zu geben.

Dabei war seine Stärke eine andere. Der begnadete Restrukturierer konnte die Kosten drücken wie kaum ein Zweiter. Das und das Visionäre als Unternehmer machten ihn unsterblich.

Ein brodelnder Vulkan

Hayek wollte jünger, grösser und gebildeter sein, als er war. In ihm brodelte es wie in einem Vulkan, was zu äusseren Eruptionen an Tatendrang und Schaffenskraft führte. Das Resultat besticht durch Grösse und Erfolg. Unter Hayek hat sich die Schweizer Uhrenindustrie innert knapp 30 Jahren aufgerappelt und es zu Glanz und Macht gebracht. 5,4 Milliarden Franken Umsatz und 760 Millionen Reingewinn resultierten 2009, Hayek gab 24 000 Menschen in über 50 Ländern Arbeit.

Doch sobald die Nachrufe geschrieben sind und die Trauerarbeit geleistet ist, wird sich die Frage stellen, wie die Swatch-Gruppe in die Zukunft gehen soll. Oder genauer: Wer soll das Uhrenimperium führen? Denn neben all seiner Kreativität, Kostendisziplin und dem unternehmerischen Spirit hat «der Alte», wie ihn frühere Weggefährten nennen, eines nie gekonnt: loslassen.

Zwar zog sich Hayek Senior 2003 auf den Stuhl des VR-Präsidenten zurück. Doch statt externen, unabhängigen Kräften Platz zu machen, kürte er seinen Sohn Nick zum CEO der Swatch-Gruppe, also der Obergesellschaft aller Aktivitäten, und machte seine Tochter Nayla zur Vizepräsidentin des VR. Deren Sohn Marc Alexander sitzt als Vertreter der dritten Generation in der Konzernleitung.

Gibt es einen Aktionärsbindungsvertrag?

Einzige Outsiderin im innersten Zirkel des Hayek-Clans ist Arlette Emch. Die ehemalige Journalistin wurde von Hayek Senior als Pressesprecherin angeheuert und konnte später eine steile Karriere im Uhrenkonzern machen. Heute ist Emch operative Leiterin von Swatch, jener Marke, die einst den Umschwung gebracht hatte und heute der ganzen Gruppe den Namen gibt. Emch gilt als sehr enge Vertraute von Hayek Senior, der ihren Aufstieg gefördert hatte.

Die starke Präsenz von Familienmitgliedern und persönlichen Vertrauten kontrastiert mit dem effektiven Aktienanteil. Hayek Senior kontrollierte die Swatch-Gruppe – und damit faktisch die Schweizer Uhrenindustrie – mit einer Minderheit. Die grosse Mehrheit war stille Finanzmasse.

Aus diesem Umstand ergeben sich die entscheidenden Probleme. Wer übernimmt Hayeks Aktien? Gibt es einen Pool von Aktionären der Familie Hayek, die für eine bestimmte Zeit eine Abmachung haben, die Anteile nicht Dritten zu verkaufen? Wer würde zum tonangebenden Mitglied eines solchen Aktionärspools? Liebäugeln einzelne Erben mit einem Verkauf ihrer Anteile, um persönliche Interessen zu verfolgen, statt dem Unternehmen des Seniors verbunden zu bleiben?

Hayek Senior hat es zu Lebzeiten verpasst, die Öffentlichkeit über die Zeit nach ihm zu informieren. Möglicherweise hinterlässt er ein Testament, das sein Erbe regelt und das Unternehmen frei von Kämpfen der Nachkommen die Zukunft gestalten lässt. Hayeks berühmte, produktive Egozentrik lässt jedoch befürchten, dass er seine Nachfolge nicht konsequent geregelt hat. Dann könnten dem Erfolgsunternehmen Swatch turbulente Zeiten bevorstehen.


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