Die wahre Schlacht steht erst bevor
20minuten.ch (25. September 2009) – Die Schweiz hat sich von der Grauen Liste der OECD katapultiert. Doch mit den 12 Doppelbesteuerungsabkommen ist die Schlacht nicht gewonnen.
Katar war das Ziel. Mit dem Wüstenstaat hat die Schweiz das 12. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) nach dem neuen Standard abgeschlossen. Klopfen die Scheichs in Zukunft in Bern an, geben die Schweizer Banken auch bei Steuer-Hinterziehung Auskunft. Ob vom Ölstaat viele Anfragen kommen werden, wird sich weisen.
Doch das ist nicht die Frage. Sondern: Ist die Schweiz mit ihrem DBA-Zwischenspurt aus dem Schneider? Hört man den offiziellen Lobgesängen zu, könnte man dies glauben. OECD-Direktor Angel Gurría gratuliert und verspricht, die Schweiz von seiner Grauen Liste zu streichen, die Bankiervereinigung lobt den Bundesrat für gutes Verhandeln.
EU will volle Transparenz
Die netten Worte lenken von der wahren Lage ab. Hinter den Kulissen wetzt die Europäische Union (EU) das Messer. Die Regierungen der starken EU-Länder streben den automatischen Informationsaustausch an. Sprich: Jedes Steueramt erhält auf etabliertem Weg vollen Einblick in die Finanzgeschäfte ihrer Bürger.
Damit würde nach dem Sonderweg bei der Steuerhinterziehung die zweite Säule des Schweizer Bankgeheimnisses einbrechen: die Privatsphäre. Dieses ist den Schweizern besonders lieb. 91 Prozent wollen daran festhalten, wie eine Umfrage der Bankiervereinigung vor kurzem zeigte.
Erstmals hat nun Finanzminister Hans-Rudolf Merz deutlich gemacht, dass die Privatsphäre unter Druck gerät. Ob mit der Streichung auf der OECD-Sünderliste das Problem vom Tisch sei, wollte Radio DRS vom Finanzminister wissen. «Wir haben eine Ruhepause bekommen, aber aus dem Schussfeld sind wir nicht», antwortete Merz. Und fuhr fort: «In der EU gibt es Tendenzen Richtung automatischem Informationsaustausch».
Automatischer Informationsaustausch wäre das zweite Waterloo
Der zuständige Finanzminister spricht nach dem Intermezzo mit dem DBA-Unterschriftenmarathon aus, was die Schweizer Verantwortlichen längst erkannt haben. In Arbeitsgruppen suchen sie eine Gegenstrategie. Nachdem das Land von den USA im UBS-Steuerstreit in die Knie gezwungen wurde, soll ein zweites Waterloo gegen die EU verhindert werden.
Die bekannteste Expertengruppe von Botschafter Manuel Sager umfasst Spitzenleute aus Verwaltung, Nationalbank, Universitätswelt und Bankiervereinigung. Seit März stecken 13 hochkarätige Leute ihre Köpfe zusammen, um dem Bundesrat einen Weg aus der Sackgasse zu weisen. Dabei kommt sie immer zu spät. Wenige Tage nach Einberufung machte die Regierung ihren 180-Grad-Schwenker Richtung OECD-Steuerregelung.
Seither blieb kein Stein auf dem anderen: Im UBS-Streit muss der Bundesrat ein Debakel schönreden, in den DBA-Verhandlungen bleiben eigene Anliegen auf der Strecke, selbst die «Betonköpfe» der Bankiervereinigung zeigen sich flexibel und bieten dem Ausland aus heiterem Himmel eine Pauschalabgeltung an. Während all diesen Umwälzungen berät sich die Gruppe Sager, beschliesst gemeinsame Positionen, schickt dem Bundesrat Empfehlungen – und muss zuschauen, wie die Welt bei jedem Treffen bereits eine andere ist.
Und noch ein Grüppchen
Parallel dazu hat die Landesregierung ein zweites Strategiegremium ins Leben gerufen. Unter der Führung von Peter Siegenthaler, dem Chef der eidgenössischen Finanzverwaltung, suchen Spitzenkräfte von Verwaltung, Aufsicht, Nationalbank, Bankiervereinigung und Börse ebenfalls nach einem Weg in die Zukunft. Wie soll sich der Finanzplatz Schweiz in der neuen Finanzlandschaft positionieren? Welches sind seine Stärken, um nach der grossen Krise und dem Fall des klassischen Bankgeheimnisses weiterhin eine bedeutende Rolle zu spielen?
Neben den beiden High-level-Arbeitsgruppen sind weitere Köche mit ihrem eigenen Süppchen beschäftigt. Die Bankiervereinigung gibt Studien in Auftrag, die Grossbanken legen ihre Strategien auf den Prüfstand, der oberste Privatbankier Konrad Hummler ruft zum Widerstand auf, die Börse erfindet sich im Jahrestakt neu. Alle sind am Prüfen, Denken, Verwerfen, Vorschlagen. Nur eines fehlt: eine klare Richtung, eine abgestimmte Strategie. Viel Kakophonie, wenig Harmonie.
Vielleicht hat sich die Welt zu rasch verändert, um schon heute eine Unité de doctrine haben zu können. Doch am Zwischenbefund ändert die schwierige Grosswetterlage nichts: Solange die oberste politische Behörde im Land keinen Führungsentscheid fällt, bleibt die zukünftige Finanzplatzstrategie Stückwerk. Wann bringt der Bundesrat den Mut auf, Farbe zu bekennen?