Big Banking im grossen Service
20minuten.ch (19. Dezember 2008) – Im auslaufenden Jahr stand das weltweite Finanzsystem mehrmals vor dem Kollaps. Neue Vorschriften sollen das Problem lösen. Nur: Mit welchem Rezept kann man der Krise wirklich Herr werden?
Fast auf den Tag genau ein halbes Jahr später, am 15. September, lässt die gleiche Fed zusammen mit der US-Regierung Lehman Brothers, eine andere grosse und traditionsreiche Investmentbank, fallen. Im Unterschied zu Bear Stearns schien Lehman mit dem weltweiten Finanzsystem weniger stark vernetzt zu sein.
Lehman-Konkurs bringt System zum Kollabieren
Die Verantwortlichen sollten sich täuschen: Der Lehman-Konkurs geht als grösster Fehler der Behörden in die Finanzgeschichte dieses Jahres ein. Der 600-Milliarden-Bankrott von Lehman Brothers schickt Schockwellen durch das System und bringt im «Schwarzen Oktober» einst als unerschütterlich geltende Bankhäuser zum Einsturz.
Zuerst wird das Modell der Investmentbanken nach amerikanischem Zuschnitt begraben: Die Nummer drei, Merrill Lynch, schlüpft bei der grossen Bank of America unter, die führenden Goldman Sachs und Morgan Stanley verwandeln sich in normale Geschäftsbanken und stärken mit Kapitalinfusionen ihre Bilanz.
Danach brechen grosse US-Geschäftsbanken ein. Washington Mutual, eine der grössten Sparkassen des Landes, geht ein, die Bank Wachovia mit rund 120 000 Angestellten, das sind 50 Prozent mehr als bei der UBS, gelangt unter die Fittiche von Wells Fargo.
Schliesslich schwappt die Pleitewelle zwei Wochen nach dem Lehmann-Beben auch auf Europas Finanzindustrie über. Die holländisch-belgische Fortis wird zerlegt und von den jeweiligen Heimstaaten mit Milliardenhilfen gestützt, die belgische Dexia erhält eine Staatsgarantie, England, Deutschland, Frankreich und weitere EU-Staaten schnüren Rettungspakete für ihre schlingernden Banken mit Hunderten von Milliarden Euro.
Ein Staat geht pleite
Den Banken folgt die erste Nation. Island verstaatlicht Anfang Oktober seine drei grossen Banken und erklärt sich kurz darauf ausserstande, eine Anleihe zurückzuzahlen. Der Inselstaat am Polarkreis ist faktisch bankrott, der Währungsfonds hält das Land über Wasser.
Am Ende trifft die grosse Welle auch die Schweiz mit voller Wucht. In den frühen Morgenstunden des 16. Oktobers geben Bundesrat, Nationalbank und UBS die grösste Rettungsaktion der Geschichte bekannt. 68 Milliarden Franken setzt das Land aufs Spiel, um seine grösste Bank – das Aushängeschild von Swiss Banking – vor der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu bewahren.
Die gigantische Nothilfe wird im Hinterzimmer der ältesten Demokratie des Kontinents ausgeheckt. Drei Leute – die führenden Köpfe der Nationalbank – beschliessen faktisch im Alleingang, die UBS zu retten. Sie tun dies mit Berufung auf ihre Pflicht, die Stabilität des Finanzsystems zu garantieren. Bundesrat und Spitzenbeamte führen aus, und das Parlament erteilt zwei Monate später den Segen, auf den man notfalls verzichten könnte.
Ende gut, alles gut? Mitnichten!
Erstens ist das Schicksal der Schweiz nun mit jenem der UBS verknüpft. Mit ihrer Intervention macht die Regierung klar, dass die Grossbank zu wichtig für das Land ist, um fallen gelassen zu werden. Braucht die UBS eine zweite, dritte oder vierte Kapitalinfusion, kann der Bund gemäss dieser Logik nicht kneifen, sondern muss weitere Steuermilliarden in ein Fass ohne Boden werfen.
Ein Verlust in Neat-Höhe droht
Zweitens sitzen Herr und Frau Schweizer mit ihrer Beteiligung an der Nationalbank nun auf einem Berg maroder Wertschriften, die derzeit kaum das Papier Wert sind, auf dem die Forderungen stehen. Aus heutiger Sicht sind zweistellige Milliardenverluste auf das Paket, das die Notenbank der UBS abgenommen hat, nicht auszuschliessen. Ein Loch von 24 Milliarden Franken – in etwa die Schlusskosten der Neat – könnte durchaus realistisch sein.
Drittens bleibt die Zukunft der UBS trotz Multi-Milliardenhilfe in der Schwebe. Für das laufende vierte Quartal ist mit weiteren Grossverlusten zu rechnen, die heutige Spitze unter Präsident Peter Kurer und CEO Marcel Rohner hat das verlorene Vertrauen nicht zurückgewonnen, als teilverstaatlichte Bank verfügt die Bank über kürzere Spiesse im Konkurrenzkampf.
Wenn die Verantwortlichen trotzdem die UBS retten – koste es, was es wolle – hängt dies mit der vermuteten Gefährdung der Schweizer Wirtschaft zusammen. Für das viele Steuergeld kaufen sich die Behörden vor allem eines: Zeit, um die Grossbank schrumpfen zu lassen.
Kleinere Bilanzen, weniger Risiken
Zusammen mit der Credit Suisse kontrolliert die UBS rund einen Drittel des inländischen Bankenmarkts; fast drei Millionen Kunden haben in der Schweiz ein Konto bei der UBS; rund 130 000 Firmen bezahlen ihre Löhne über die Bank; jeder dritte inländische Kredit wird von der UBS finanziert. Ein unkontrollierter Stillstand könnte die Schweiz teilweise lahmlegen.
Nie mehr ein Grossbankenkollaps, lautet die Maxime der Behörden. Unter der Aufsicht der Nationalbank fahren die UBS und in kleinerem Umfang die Credit Suisse ihr Geschäft herunter. Derweil verschärft die Eidgenössische Bankenaufsicht (EBK) ihr Regelwerk, um zukünftige Debakel zu verhindern. Die Grossbanken können sich in Zukunft höchstens noch mit dem 25-fachen verschulden und nicht mehr wie die UBS bisher mit dem 50-fachen.
Weniger Verschuldung heisst kleineres Investmentbanking. Dort gingen die globalen Finanzhäuser spektakuläre Wetten ein, die sie grösstenteils mit fremden Geld finanzierten. Der so genannte Eigenhandel führte zum Fiasko und fristet heute nur noch ein Schattendasein. Ohne die riesigen Wetten mit dem eigenen Vermögen sinkt das Risiko zukünftiger Verluste massiv.
Politiker müssen Aufsicht verstärken
Solche Vorschriften sollen neues Vertrauen schaffen. Doch die Frage bleibt: Sind die Schweizer Überwacher in der Lage, den Topmanagern der beiden global ausgerichteten Grossbanken auf gleicher Augenhöhe entgegen zu treten und ihre Bedenken frühzeitig anzumelden? Zweifel machen sich breit. «Banken und Bankenaufsicht sind ein verflochtenes, selbstreferenzielles System, in dem man sich die gegenseitig die Wichtigkeit bestätigt und mangels wirklich externer Kräfte auch mit gleicher Denklogik an die gleiche Wand fährt», schreibt Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm am Dienstag im Tages-Anzeiger.
Die Politik müsse jetzt das Heft in die Hand nehmen und «das Versagen der EBK seriös und ohne Zeitdruck aufarbeiten», meint Strahm in seinem kritischen Essay. Warum die EBK von öffentlicher Kritik weitgehend verschont blieb, hat Gründe. Ihr Chef Daniel Zuberbühler redete die Krise anfänglich schön, später nutzte er den Abgang von UBS-Präsident Marcel Ospel, sich öffentlich als harter «Watchdog» zu gebärden. Zuvor schaute die Aufsicht allerdings jahrelang tatenlos zu, wie sich die UBS in ein überdimensioniertes Wettbüro verwandelte. Statt kritische Fragen zu stellen, wie dies die Nationalbank getan hatte, stellte sich die EBK in den Dienst der Grossbanken, wenn es um die Aufweichung von Risikolimiten ging.
Rudolf Strahm plädiert für eine Stärkung der Nationalbank zulasten der EBK. Sein Vorschlag leuchtet vor dem Hintergrund des Versagens der Aufsicht ein. «Für ein führungsstarkes Parlament beginnt die Arbeit zur Verhütung zukünftiger Brände jetzt erst richtig», folgert Strahm zu Recht.