Die Krise macht mal Pause

20minuten.ch (6. Juni 2008) – Top-Banker sehen Licht am Ende des Tunnels, neueste Zahlen zeigen aber wieder nach unten. Die Zukunft der Finanzbranche bleibt in der Schwebe.

Die Krise des globalen Finanzsystems steht und fällt mit dem Gesundheitszustand des US-Häusermarkts. Auf diesem lasten immer noch Abermilliarden Zweitklass-Kredite, so genannte Subprime- und Alternative-A-Hypotheken, welche die Banken in ihren Büchern halten. Geraten die Preise im US-Immobilienmarkt erneut ins Rutschen, wanken auch die Banken wieder.

Wo stehen wir heute, nachdem die globalen Banken in den letzten Monaten Hunderte von Milliarden Dollar abgeschrieben haben, allen voran die UBS mit 37 Milliarden in drei Tranchen?

Nach einer Erholung im April und Anfang Mai atmeten erste Bankenvertreter hörbar auf. John Mack, Chef der US-Bank Morgan Stanley und ehemaliger Topmann bei der Credit Suisse, sagte vor zwei Monaten, dass sich die Subprime-Krise in den USA ihrem Ende nähern würde. Lloyd Blankfein, Chef der krisenresistenten Goldman Sachs, doppelte nach. «Wir sind näher am Ende als am Anfang», sagte er im April.

SNB: «Wir sind in der zweiten Halbzeit»

Selbst naturgemäss vorsichtige Notenbank-Vertreter zeigten sich erstmals zuversichtlich. «Wir sind in der zweiten Halbzeit», sagte Nationalbank-Direktoriumsmitglied Philipp Hildebrand Mitte Mai.

Die Entwarnungen sind wohl zu früh erfolgt. Denn in der zweiten Mai-Hälfte begannen die Kurse der undurchsichtigen Hypothekenprodukte wieder zu bröckeln. Entsprechend drohen den Banken weitere Milliarden-Abschreibungen auf ihren Beständen.

Aussagekräftige Messgrössen liefert die Firma Markit. Ihr Index für Produkte der höchsten Sicherheitsstufe, also AAA-Wertpapiere, ist nach einem Anstieg auf 60 Punkte erneut stark gefallen (siehe Grafik). Derzeit liegt der Wert bei 52,50 Punkten, nur noch unwesentlich über dem Tiefststand von Mitte März, als die US-Notenbank die zahlungsunfähige Bank Bear Stearns rettete und damit möglicherweise ein Kollabieren des Finanzsystems verhinderte.

Der Case-Shiller-Index passt ins Bild anhaltend schwerer Zeiten. Er misst den Verlauf der Häuserpreise in grossen US-Städten und ist benannt nach seinen Erfindern, den Ökonomen Karl Case and Robert Shiller. Im ersten Quartal sank der Indikator um 14 Prozent, deutlich stärker als im vierten Quartal 2007, als das Minus ebenfalls hohe 9 Prozent betragen hatte.

Die Unsicherheit bleibt vorerst gross

Die US-Bank JP Morgan rechnete diese Woche aus, wie stark die sinkenden Häuserpreise in den USA auf die Banken-Bilanzen durchschlagen könnten. Den wichtigsten europäischen Geldhäusern prognostizieren die JP-Morgan-Analysten weitere 16 Milliarden Franken Abschreibungen. Die Schweizer Kreditanalysefirma Credit View sieht in einer Studie ebenfalls düster. Die 20 weltgrössten Banken könnten bis 2009 noch 100 Milliarden Dollar verlieren, falls die Preise der Immobilienprodukte weiter erodieren.

Die widersprüchlichen Signale zeigen vor allem eines: Die Unsicherheit bleibt vorerst gross. Offenbar sind sich selbst Kollegen an Bankenspitzen nicht immer einig, wohin die Reise in den nächsten Monaten geht. Deutsche-Bank-CEO Josef Ackermann verkündete jedenfalls vor Wochenfrist an der Generalversammlung seines Instituts: «Wir sind am Beginn des Endes der Krise.» Diese Woche nun sprach Ackermanns Investmentbanking-Co-Chef Anshu Jain von einer Phase der Normalisierung. Von einem Ende der Krise war hingegen keine Rede mehr.


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