Zwinglis Masters of the Universe
Simon Biner ist erst 36 Jahre alt und führt nur eine Handvoll Leute. Aber er verdient viel mehr als gleichaltrige Banker und übertrumpft auch die meisten seiner Chefs, die Tausenden von Angestellten vorstehen. 8 Millionen Franken für zwei Jahre soll der Derivatespezialist von der Deutschen Bank erhalten haben, die den Walliser mitsamt seinen Weggefährten vor Jahresfrist von der Zürcher Kantonalbank (ZKB) abgeworben hat, sagen Kenner der Zürcher Finanzszene. Das sind Verhältnisse wie im europäischen Spitzenfussball: Sein Ex-Chef bei der ZKB, Hans Vögeli, verdiente 2006 lediglich 1,7 Millionen Franken.
Erinnerungen an die Masters of the Universe im Bestsellerroman „The Bonfire of the Vanities“ des US-Erfolgsautors Tom Wolfe werden wach. Im New York der 80er Jahre glaubt ein junger Obligationenhändler, zur auserwählten Spezie zu zählen, bevor er einen schwarzen Jungen überfährt und im Justizabgrund landet. Der Zermatter Biner, der im Matterhorn-Ferienort ein Hotel besitzt, gehört zur neuen Brut von Börsenstars. Smarte junge Bankleute, die zusammen mit hochgezüchteten Ökonomen explosive Finanzcocktails mischen.
Über sein Salär will Biner nicht sprechen. Dass seine Arbeit derart hoch bewertet wird, sei das Verdienst eines „eingespielten Teams“. Bei der Deutschen Bank in Zürich ist Biner Chef von 3 Aktien- und 6 Derivate-Händlern und rapportiert nach London in den Bereich von Investment-Banking-Chef Anshu Jain, der als Nachfolger von Josef Ackermann gehandelt wird. Biner wohnt auf einem grossen Anwesen über dem Zürcher Nobelseeort Erlenbach. „Ich kenne die Bedürfnisse des Marktes“, erklärt er auf Anfrage das Geheimis seines Erfolgs.
Bei der ZKB konstruierten Biner & Co. in achtjähriger Arbeit eine finanzielle Hightechmaschine, die immer höhere Erträge ausspukte. Mit ihr schwang sich die einst biedere Kantonalbank innert kurzer Zeit zum führenden Derivatehaus der Schweiz mit einem Marktanteil von über 20 Prozent auf. Statt wie früher Aktien mit ein paar Franken Kursgewinn zu verkaufen, schneidert Biners Team komplexe strukturierte Produkte, mit denen die Bank eine goldene Nase verdient. Ist die Maschine einmal in Form von Computerprogrammen gebaut, lässt sie sich von fast jedem bedienen. Das erklärt, warum die ZKB auch nach Biners Abgang führend geblieben ist.
Die Risiken der hochgezüchteten Derivatevehikel liegen in der Reputation. Können sich Firmenjäger wie der Österreicher Ronny Pecik nur dank massgeschneiderten Optionen unerkannt an Sulzer heranschleichen, dann geraten die mithelfenden Banken in den Ruf von Kriegsgewinnler. Ist wie bei Sulzer mit der ZKB sogar die Hausbank zuvorderst dabei, kommt es zum Eklat. Für das Image verantwortlich sind nicht die Händler. „Für die Reputationsrisiken sind separate Stellen zuständig“, sagt Optionenspezialist Biner.
Bei der Staatsbank versagt haben die Chefs im Riskmanagement. Vor allem Finanzchef Philipp Halbherr muss sich Fragen gefallen lassen. Vor 18 Jahren stiess er direkt ab Universitätspresse in die Volkswirtschaftsabteilung der ZKB. Von 1995 bis 2000 war Halbherr zuständig für das Riskcontrolling, seit 2005 ist er Finanzchef und Mitglied der sechsköpfigen Geschäftsleitung. Der heutige oberste Riskcontroller ist ihm unterstellt.
Halbherrs Karriere ist jene eines Theoretikers. Er war nie im Handels- und Kreditgeschäft an der Front und hat somit moderne Optionsmodelle und die mit ihnen verbunden Risiken nicht in der Praxis erlebt. Vor allem ist sich der Finanzchef offenbar zu wenig bewusst, dass eine Bank durch blindes Gewinnstreben ihren Ruf aufs Spiel setzt. Sonst hätte Halbherr die Notbremse gezogen. Die Sulzer-Position, die das ZKB-Derivateteam über Monate aufgebaut hatte, muss täglich auf dem Radarschirm des CFOs auftauchen. Tut sie das nicht, hat die ZKB kein Riskmanagement, das diesen Namen verdient, und die Überwachungsstelle EBK müsste sofort einschreiten. Wusste Halbherr hingegen von der Sulzer-Position, hätte er sie in der Geschäftsleitung zur Sprache bringen müssen. Davon ist bis heute nichts bekannt.
Statt das ungenügende Riskcontrolling zu thematisieren, schiebt die ZKB-Chefetage ihrem erfolgreichen Derivateteam die Schuld in die Schuhe. Händler hätten trotz „klaren Vorgaben“ beim Sulzer-Angriff mitgeholfen, wofür er die „formelle Verantwortung“ übernehme, sagte CEO Hans Vögeli am Montag bei seinem Rücktritt. Die Botschaft ist unmissverständlich: Das Management wurde von ehrgeizigen Jungtürken mit grenzenloser Gier hintergangen.
Doch Vögelis wilde Händler sind alles andere als ein paar unguided missiles. Luigi Vignola, 37, Doktor der Ökonomie, wird von einem Studienfreund als charmant, neugierig, überdurchschnittlich intelligent und mit einer gesunden Portion Selbstbewusstsein beschrieben. „Ein Traum-Schwiegersohn“, sagt der Derivatespezialist, der nicht genannt sein will. Vignola gehört zur schmalen Spitze der Schweizer Derivateszene, die aus ein paar Dutzend Topshots besteht und nichts mit einstigen Börsenringhändlern gemein haben. Viele schlossen Mitte der 90er Jahre ihr Studium bei Finanzmarktprofessor Martin Janssen an der Universität Zürich ab. Nun sitzen sie an den Hebeln ihrer Finanz-Höllenmaschinen, und in 10 Jahren könnten sie als Chefs des Investment Bankings in den Konzernleitungen auftauchen.
„Das sind hoch intelligente, sehr gut ausgebildete Leute“, sagt Martin Janssen. „Luigi Vignola, der mehrere Semester Mathematik studierte, ist ein anständiger, liebenswürdiger Mensch, den man beauftragte, Geld zu verdienen. Nicht Vignola ist das Problem, sondern es sind jene, welche die Leitplanken vorgeben und deren Einhaltung kontrollieren müssen.“
Vignola und Simon Biner, das Zürcher Derivate-Traumteam, verwandelten Zwinglis Heimat in einen modernen Finanzplatz. Vor den vermeintlich überlegenen Konkurrenten der Londoner City brauchen sie sich nicht zu verstecken. Insbesondere Vignola hat mit seinem mathematischen Hochleistungshirn Modelle entwickelt, die es erlauben, Optionen auf wenig gehandelte Aktien zu kreieren. Dies ist besonders schwierig, weil illiquide Märkte durch die Optionen selbst beeinflusst werden. Nur dank Vignolas Knowhow war es dem österreichischen Financier Ronny Pecik möglich, einen Grossteil des Industriekonzerns Oerlikon, vormals Unaxis, zu erwerben. Interne Vorschriften oder gar Gesetze verletzte er keine, dafür verdiente er Unsummen von Geld für seine Arbeitgeberin und euphorisierte seine Chefs. Vögeli musste bei seinem Rücktritt eingestehen, dass die Geschäfte „technisch korrekt innerhalb der internen Vorschriften“ abgewickelt worden seinen. Als Sündenböcke taugen die neuen Masters of the Universe nicht.