Sechs Milliarden für ein bisschen Frieden
20minuten.ch (29. Oktober 2010) – Das Siegesgeheul zum Steuerdeal mit Deutschland und England lenkt von der Realität ab. Die verwalteten Vermögen aus dem Ausland könnten sich halbieren.
Freude herrscht in der Woche, in der die Schweiz mit wichtigen Steuerabkommen mit London und Berlin einen Rest des Bankgeheimnisses retten konnte. Tatsächlich akzeptieren die beiden EU-Mächte die Schweizer Eigenart einer Privatsphäre in Vermögensdingen. Das ist ein Erfolg.
Weniger gern reden die Exponenten über den Preis, den die Schweiz dafür zahlt. Der wird letztendlich den Ausschlag darüber geben, wie viel Gelder vermögende Privatausländer abziehen und wie stark die bisherigen rekordhohen Gebühren sinken, von denen nicht nur die Banken, sondern auch ihre Anwälte, Berater, IT-Zulieferer, die Restaurants und Shops in den Finanzzentren und auch die Medien in Form von Inseraten jahrzehntelang gut gelebt haben.
Offiziell werden zwar erst die konkreten Verhandlungen zu Zahlen führen. Doch zumindest das Deutschland-Abkommen, dem für Zürich, den wichtigsten Finanzplatz der Schweiz, die weitaus grösste Bedeutung zukommt, lässt plausible Schätzungen zu.
Vermögen halbiert sich
Im Zentrum steht dabei nicht die zukünftige Abgeltungssteuer auf Vermögenserträgen und Kapitalgewinnen, sondern die Legalisierung bisher hinterzogenen Gelder. Dieser einmalig zu leistende «Ablass» reduziert das auf den Schweizer Bankkonten liegende ausländische Geld auf einen Schlag um einen hohen Prozentsatz. Gemäss Schweiz-Deutschland-Grundsatzvereinbarung sieht die Rechnung wie folgt aus:
In einem ersten Anlauf wird das zu besteuernde Vermögen für maximal 10 zurückliegende Jahre bestimmt. Frühere Schulden sind verjährt. Entweder wird der Durchschnitt aller hinterzogenen Jahre genommen, oder dann der höchste Vermögensbestand der Periode.
Darauf wird ein bestimmter Steuersatz erhoben. Gemäss Kleingedrucktem im schweizerisch-deutschen Vorvertrag «orientieren» sich die Verhandlungspartner an der deutschen Abgeltungssteuer. Diese beträgt rund 25 Prozent und dürfte der maximale Satz sein. Er reduziert sich rechnerisch bei sinkender Anzahl Jahre, für die Nachsteuern zu bezahlen sind. Nimmt man 8 Jahre als Schnitt, reduziert sich der Satz auf 20 Prozent. Das ist im Folgenden unsere Zahl.
Wie reagieren die deutschen Bankkunden? Ein Drittel der verwalteten Vermögen könnte abfliessen, sei es durch Flucht in ein Steuerparadies, das vorerst noch Gratis-Schutz verspricht, sei es durch Selbstanzeige in Deutschland. Die verbleibenden zwei Drittel werden mit 20 Prozent abgegolten. In der Summe halbiert sich das bisherige verwaltete Vermögen.
Gemäss einer dieser Tage breit zitierten Studie des Finanzbrokers Helvea von 2009 liegen knapp 200 unversteuerte Milliarden Franken aus Deutschland in der Schweiz. Diese würden in diesem Szenario auf 100 Milliarden sinken, die (vorerst) bei den Banken verbleiben würden.
Erträge sinken um 60 Prozent
Doch nun kommt der Knackpunkt. Selbstverständlich bedeutet eine sinkende Vermögensbasis auch sinkende Erträge in Form von fixen Verwaltungsgebühren und variablen Transaktionsgebühren wie Börsenabgaben. Beides hängt direkt von der Höhe der Vermögen ab.
Aber nicht nur das. Der Wegfall des Steuervorteils wird zu verschärftem Preiskampf unter den Banken führen. Sinken die Gebühren um 20 Prozent, reduzieren sich die gesamten Erträge der Banken weiter. Das Minus von 50 Prozent würde sich dann auf 60 Prozent erhöhen.
Milliarden von Offshore-Einnahmen brechen weg
Was bedeutet das konkret für den Finanzplatz? Dazu rechnen wir die aktuellen Erträge der Banken im Geschäft mit den vermögenden Auslandkunden hoch, dem sogenannten Offshore-Banking.
Die UBS weist für die ersten 9 Monate 4,4 Milliarden Offshore-Bruttoeinkommen aus. Aufs Jahr hochgerechnet ergibt das rund 6 Milliarden. Bei der CS waren es bis September 7,4 Milliarden, davon stammt schätzungsweise ein Viertel von vermögenden Schweizer Kunden. Ohne diese kommt man aufs Jahr gerechnet auf rund 8,5 Milliarden.
Zusammen erwirtschaften die beiden Grossbanken in ihrem Offshore-Geschäft demnach rund 15 Milliarden. Wie viel von allen übrigen im Offshore-Geschäft verankerten Banken, also von Julius Bär, Sarasin, den Genfer Privatbanken und den vielen kleineren und grösseren Vermögensverwaltern dazukommt, ist offen. Der Einfachheit halber verdoppeln wir die Summe.
Damit haben wir eine Zahl, von der aus wir ein Szenario zeichnen können. 30 Milliarden jährliche Einnahmen durch die Verwaltung ausländischer Privatkundenvermögen erzielen die Schweizer Banken heute, am Ende der alten Bankgeheimnis-Ära. Ausgehend vom oben geschätzten Vermögensabfluss, der Einmal-Abgeltung und dem Preisdruck auf die Gebühren sinken diese Erträge in einem harten Szenario auf noch 40 Prozent, also 12 Milliarden.
Hohe Kosten
Welche Kosten stehen dem gegenüber? Bei den beiden Grossbanken fallen derzeit auf jeden Franken Ertrag 70 Rappen Kosten an. Das ist viel im historischen Vergleich. Gehen wir vorsichtshalber von 60 Rappen aus, entsprechend 60 Prozent der erzielten Erträge. Bezogen auf die 30 Milliarden Bruttoerträge macht das 18 Milliarden.
Wir landen bei einer Einnahmelücke von 6 Milliarden. Zugegeben, dies ist eine Milchbüchleinrechung, die Gesamterträge könnten höher oder tiefer sein, die Abflüsse grösser oder kleiner. Doch der Trend ist eindeutig und heisst für die Vermögensverwalter: Sie müssen ihre Kosten in jenem Geschäft, in dem sich leicht viel Geld verdienen liess, radikal kürzen.
Die Grossen suchen Kompensation durch Wachstum vor Ort im Ausland, bisher mit überschaubarem Erfolg. Privatbanken wie Julius Bär und Sarasin setzen auf Asien, auch diese Strategie hat ihre Feuerprobe angesichts explodierender Kosten noch nicht bestanden.
Was aber passiert mit den vielen Kleinbanken und Vermögensverwaltern, die heute zu 70, 80 oder 90 Prozent vom Schwarzgeld leben? Welche Zukunft haben all die Steueranwälte, Treuhänder, Revisoren und Liegenschaftenhändler, die an der Verwaltung der Schwarzgelder mitverdienen?
Noch herrscht Sonnenschein, und steigende Häuserpreise deuten auf weiterhin paradiesische Zustände hin. Doch das Ende des Schwarzgeld-Zeitalters könnte weite Kreise ziehen, und für viele Branchen und deren Mitarbeiter könnte das heissen, den Gürtel enger zu schnallen.