Entlassene Finanzexpertin nimmt sich das Leben

20minuten.ch (30. April 2009) – Eine renommierte Julius-Bär-Analystin nahm sich vor zwei Tagen das Leben. Die Bank hatte die Angestellte am Tag davor entlassen. Im letzten Dezember wurde Julius Bär durch den Suizid ihres CEOs Alex Widmer belastet.

Die Mitteilung ans Personal kam gestern Mittag. H.* sei verstorben, hiess es lediglich. Heute Mittag bestätigte ein Sprecher von Julius Bär die Tragödie gegenüber 20 Minuten Online. «Frau H. wurde vor drei Tagen die Kündigung eröffnet. Danach haben wir gestern von ihrem Suizid erfahren und sofort intern über ihr Ableben informiert.»

Kündigung verlief korrekt, sagt ein Julius-Bär-Sprecher

Wegen der zeitlichen Nähe sei die Entlassung untersucht worden, sagt der Bär-Sprecher weiter. «Selbstverständlich wollten wir wissen, ob diese Kündigung, wie andere, die wir in diesen Tagen leider aussprechen mussten, korrekt abgelaufen sei.» Die Untersuchung habe keine Pflichtverletzungen zu Tage gefördert.

Der Suizid von H. gibt aus zwei Gründen zu reden. Einerseits handelt es sich bereits um den zweiten Freitod einer bekannten Person der Bank innert kurzer Zeit. Letzten Dezember entschloss sich der Chef von Julius Bär, Alex Widmer, aus dem Leben zu scheiden. Widmer hinterliess an der Spitze ein Vakuum, das erst vor kurzem mit der Wahl seines früheren Stabschefs Boris Collardi gefüllt wurde.

Collardi hat nun die Aufgabe, die von Widmer vorangetriebene und von Collardi selbst lange unterstützte Expansion teilweise rückgängig zu machen. Zu diesem Zweck werden Abteilungen reduziert, verschoben, verkauft oder aufgelöst. Es kommt zu Stellenabbau und Entlassungen. Die Höhe des Personalabbaus ist offen, Julius-Bär-Finanzchef Dieter Enkelmann sagte aber kürzlich, bis Ende 2009 würden die Kosten um 10 bis 15 Prozent reduziert.

Die Bankenanalystin war kritisch und präzis

Der Tod von Frau H. gibt in Zürcher Finanzkreisen aus einem zweiten Grund zu reden. Seit Jahren galt sie als renommierte und versierte Beobachterin von Banken. Insbesondere hatte sie seit Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2007 die Entwicklung von UBS und CS gegenüber den Bär-Kunden und via Medien gegenüber der Öffentlichkeit kommentiert und oft treffsicher analysiert.

Noch in den letzten Wochen wurde sie von Fernsehstationen interviewt und von Zeitungen zum Gesundheitszustand der Grossbanken befragt. H. gab oft kurze, aber treffsichere Antworten und zeigte sich in der Kritik schonungslos, malte aber auch nicht unnötig schwarz.

Während viele Bankanalysten von ihren Arbeitgebern einen Maulkorb verpasst erhielten, exponierte sich Frau H. mit aufschlussreichen Einschätzungen. Sie wurde zunehmend zur begehrten Spezialistin, auch von ausländischen Medien, beispielsweise des amerikanischen Wirtschafts-TV-Senders CNBC. Einen ihrer letzten Auftritte hatte H. im Internet-Fernsehen der «NZZ».

Schock fürs Bär-Personal

Frau H. lebte allein in einer Zürcher Vorortsgemeinde. In ihrem Wohnhaus wusste eine Nachbarin heute Morgen noch nichts vom tragischen Ableben Hs. Die Analystin arbeitete bis 2002 für die Grossbank Credit Suisse, bevor sie zur kleineren Julius Bär wechselte, wo sie sich um Finanzunternehmen kümmerte.

Ob weiteren Personen in der Analyseabteilung gekündigt wird, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass die Restrukturierung der Bank Julius Bär noch nicht zu Ende ist. Der zweite bekannte Suizid innert fünf Monaten ist ein Schock für das Unternehmen und für den Finanzplatz Zürich.

* Name der Redaktion bekannt


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