„Ich hatte nichts zu geben“

Pieter Bouw, zurückgetretener Swiss-Präsident, geht als jener Manager in die Geschichte ein, der tat, was er schon lange tun wollte: die Airline den Deutschen verkaufen. Das schaffte der Niederländer, weil er begriffen hatte, wie die Schweiz funktioniert. Sagt er.

Herr Bouw, für den Neustart der Swiss hatten Sie 2,5 Milliarden Franken. Dann folgte Krise auf Krise, nach zwei Jahren war das Geld weg. Welches war Ihre schwierigste Entscheidung?

Selbst wenn Sie noch so viel Geld haben, ohne Enthusiasmus des Managements hebt keine Firma ab. Deshalb war meine erste Entscheidung die wichtigste: Sollte ich wie vorgeschlagen das Managementteam der Crossair übernehmen, oder sollte ich es mit einem aus Swissair- und Crossair-Leuten gemischten ersetzen? Ich habe mich für das Crossair-Team entschieden.

Sind Sie immer noch der Meinung, dass es richtig war, André Dosé von der kleinen Crossair mit dem schwierigen Aufbau zu beauftragen?

Jede Alternative wäre schlechter gewesen. Ein Mix aus Ex-Swissair- und Ex-Crossair-Managern hätte auf jeden Fall lang andauernde Fights in der obersten Führungsetage bedeutet. Ich schätzte die hohe Motivation und den Enthusiasmus der Crossair-Leute. Die waren wirklich hungrig auf Erfolg.

Warum musste Dosé gehen?

Man benötigt unterschiedliche Pferde für unterschiedliche Strecken. Zuerst mussten wir die Airline in die Luft bringen. Herr Dosé und sein Team brachten das hervorragend zustande. Dann kam die Sanierung, eine völlig andere Aufgabe. Ich finde nach wie vor, dass Herr Dosé eine grosse Leistung vollbracht hat.

Für die Sanierung wäre er aber der Falsche gewesen?

Ich kenne mich ein wenig im Fussball aus, früher war ich Präsident des niederländischen Profi-Fussballverbands. Wenn ein Coach das Konzept ändern will, passen nicht mehr alle Spieler hinein. Das sagt über die Stärken der Betroffenen nichts aus. Herr Dosé war ein exzellenter Spieler, aber als er abtrat, nutzten wir die Gelegenheit und änderten das Konzept.

Als Sie Ende 2001 Swiss-Präsident wurden, sprachen Sie von raschen Gewinnen. Zwölf Monate später mussten Sie sanieren. Was war passiert?

Ich rechnete weder mit dem Ausbruch des Irak-Kriegs noch mit der folgenden Rezession im Fluggeschäft. Und ich unterschätzte die Denkweise der Crossair-Basis. Um zu gewinnen, muss die Swissair verlieren, lautete häufig deren Credo. Viele realisierten nicht, dass sie von ihrer Muttergesellschaft, der Swissair, zu grossen Teilen abhängig waren.

Offiziell hiess es, die Crossair sei eine Billig-Airline.

Das glaubte ich zu Beginn auch. Nun, das war definitiv nicht der Fall. Im Geschäftsjahr 2001 wurden die Löhne der Crossair-Piloten um sechzehn Prozent angehoben, Unmengen von überflüssigen Flugzeugen bestellt, der Flughafen vergoldet. Kennen Sie die Lounge in Basel? Die wurde vollkommen überdimensioniert geplant. Der Hauptsitz erinnert auch nicht gerade an die Zentrale einer Billig-Airline. Trotzdem stellten die Crossair-Piloten sich auf den Standpunkt, sie seien die Sieger, ihnen gebühre der Vorrang. Ein Verhalten, das nichts mit der ökonomischen Realität zu tun hatte, das reines Wunschdenken war.

Warum konnten Sie die Crossair-Piloten nicht zur Vernunft bringen?

Einmal erschienen zu einer Informationsveranstaltung gerade mal zwölf Crossair-Piloten. Der einzelne Pilot war jedoch nicht das Problem, sondern die Gewerkschaftsvorstände. Diese wollten unter allen Umständen ihren Besitzstand wahren und pochten auf Einhaltung ihrer Verträge. Nur: Es gibt keinen Vertrag, der die Realität schlagen könnte.

Trotzdem akzeptierten Sie im Sommer 2003 die Forderungen der Piloten.

Bis heute frage ich mich, ob der Entscheid richtig war. Aber ich stand unter einem enormen Druck. Entweder gab ich nach, was später zu Entlassungen führen würde; oder ich riskierte einen Streik. Das aber hätte der Swiss das Genick gebrochen. Wir waren damals zu wenig liquid und genossen noch kein Vertrauen im Markt. Heute ist das Resultat mehr oder weniger das gleiche. Von den ursprünglich 900 Ex-Crossair-Piloten werden wahrscheinlich nur noch etwa 230 übrig bleiben. Zu wettbewerbsfähigen Bedingungen, die wir heute einfordern, hätten wir 200 bis 300 Stellen mehr.

Das Problem hat jede Traditions-Airline. Die Piloten sitzen nun mal am längeren Hebel.

Aber bei allen Airlines, für die ich tätig war, resultierte am Ende ein fairer Kompromiss. Ausser bei der Swiss, dort wollten die Gewerkschaftsführer einfach keine Business-Sichtweise einnehmen. Bis heute nicht. Wir planten den Einsatz von zwei zusätzlichen Langstreckenmaschinen, das sind vierzig Piloten und hundertsechzig Flight-Attendants. Diese Chance haben die Gewerkschafter der Ex-Swissair-Piloten zunächst vertan. Ohne wettbewerbsfähige Kostenstrukturen wird es keine zusätzlichen Flieger geben. Es ist nicht korrekt, die Vorteile aus der Vergangenheit zu Lasten des Ganzen zu verteidigen.

Warum verweigern sich die Piloten?

Ich weiss es nicht. Sie hatten das Grounding erlebt, da dachte ich, sie wären realistischer geworden. Unter vier Augen sind sie das auch. Aber ihre Gewerkschaftsvertreter verharren in der altmodischen Verteidigungshaltung. Ich habe bei der KLM und der amerikanischen Northwest mit Piloten verhandelt. Am Ende sagte ich: Come on, guys, wir riskieren nicht das Überleben der Gesellschaft, oder? Dann fanden wir uns.

Da die Swiss nun der Lufthansa gehört, spielen die Schweizer Piloten keine Rolle mehr.

Und ob. Sie entscheiden über ihr Schicksal selbst. Die Integration sieht vor, dass die Schweiz gut erschlossen bleibt und die Swiss-Heimbasis Zürich die gleichen Wachstumschancen hat wie die Lufthansa-Drehscheiben in Frankfurt und München. Aber nur bei entsprechenden Kosten. Fast überall ­ im Ground-Service, in der Technik, der Informatik ­ sind wir konkurrenzfähig. Nicht aber bei den Piloten. Wenn sie zum Wachstum beitragen wollen, müssen sie mehr arbeiten, so viel, wie ihre Kollegen bei Wettbewerbern es auch tun.

Wie viel mehr? Zehn Prozent, zwanzig Prozent?

Vermutlich noch mehr.

Sie träumen.

Heute arbeiten die Swiss-Langstreckenpiloten im Schnitt 55 Stunden ­ im Monat. Rund 70 Stunden wären gefordert.

Wie viel arbeiten die Captains bei Lufthansa und Air France?

Die einen mehr, die anderen weniger. Aber um diesen Vergleich geht es nicht. Entscheidend sind allein die Kosten in Franken und Rappen. Lufthansa und Air France werden doppelstöckige A380-Flugzeuge einsetzen mit 500 Passagieren. Da können die Löhne für die zwei Piloten schon etwas höher sein. Deshalb ist mir schleierhaft, warum die Langstreckenpiloten ein Stillhalteabkommen mit ihren Lufthansa-Kollegen abgeschlossen haben. Statt sich durch höhere Effizienz beim Management zu empfehlen, verzichten sie auf diesen Trumpf.

Sind die Schweizer besonders gut im Verteidigen von Besitzständen?

Die Business-Elite und die politischen Führer wissen, was in der Welt vor sich geht. Es fiel mir nie schwer, diesen Kreisen die Realitäten im Airline-Geschäft und die daraus resultierenden Folgen verständlich zu machen. In der breiten Öffentlichkeit hingegen gelang mir das weniger. Das hängt vielleicht auch mit der speziellen Hierarchie im schweizerischen Föderalismus zusammen. Die Gemeinde ist wichtiger als der Kanton, der Kanton wichtiger als der Bund. Das macht es dem Führungspersonal schwer, seine Botschaften zu platzieren.

Vielleicht drücken sich die Leader zu wenig verständlich aus.

Es gibt zu wenig Austausch. Die Elite fällt ihre Entscheide im eigenen kleinen Kreis. Das führt dann zu einem Graben zum Rest der Bevölkerung. Die Schweizer bewundere ich, ihre Mentalität, das System, ich finde, sie könnten ein bisschen direkter sein, das würde manchmal helfen. Dann weiss man wenigstens, woran man ist. Die Schweizer wissen sehr genau, was vor sich geht. Aber sie haben Mühe, die Konsequenzen daraus zu ziehen.

Warum?

Isolation. Die Schweizer sind stolz auf das Erreichte, und das zu Recht. Aber heute die richtigen Schlüsse zu ziehen aus dem, was um sie herum passiert, fällt ihnen schwer. Sich ein wenig öffnen wäre gut. Denn ich weiss nicht, wie lange das Land sich diese Isolation noch leisten kann.

Sprechen Sie jetzt von einem EU-Beitritt oder von einer offenen Geisteshaltung?

Von beidem. Ich stamme aus den Niederlanden. Die Wirtschaft dort ist wie die schweizerische exportorientiert. Der Unterschied liegt im Denken. Die Niederländer tendieren dazu, von aussen ins Land hineinzuschauen, die Schweizer tun das Umgekehrte.

Das heisst?

Niederländer überlegen, wie Veränderungen im Ausland zu Hause genutzt werden können. Schweizer schauen ihr Land an, blicken auf die Welt und fragen, wie sich die Globalisierung auf ihr Land auswirken wird.

Viele Schweizer haben Angst, ihren Lebensstandard nicht halten zu können.

Wir müssen besser erklären, was die Globalisierung bedeutet; wie wir von ihr profitieren können; mehr in Chancen denken als in Risiken. Natürlich ist es fantastisch, dass wir Spitzenlöhne erhalten. Aber die Kosten sind auch sehr hoch. Das wird sich ändern, der Detailhandel macht jetzt den Anfang, andere Branchen werden folgen.

Wie soll Angestellten, die 3500 oder 4000 Franken im Monat verdienen, das Salär gekürzt werden?

Zuerst müssen die Preise runter, sonst bricht der Konsum ein. Im Fluggeschäft sinken die Preise rapide. Wenn wir unsere Löhne bei Swiss nicht anpassen wollen, müssen wir eben produktiver werden.

Früher aufstehen, länger bleiben?

Oder weniger in die Ferien gehen.

Zurück zur Swiss: Wann wussten Sie, dass die Lufthansa die beste Lösung sein würde?

Schon früh. 2003 wollten wir den Deal abschliessen. Die Lufthansa verlangte jedoch 800 Millionen Franken von den Swiss-Investoren, das war inakzeptabel. Das Konzept aber war schon damals richtig: die Anbindung der Schweiz sicherstellen, die Aviatik-Infrastruktur aufrechterhalten, möglichst viele Jobs weiterführen. Dann sind die 2,5 Milliarden Franken für den Swiss-Aufbau gut investiert. Der volkswirtschaftliche Wert beläuft sich jährlich auf das Dreifache.

Woher haben Sie diese Zahl?

Aus der Analyse von 2001, die als Grundlage für die Swiss-Gründung diente. So betrachtet, könnte man die 2,5 Milliarden als vernünftige Lösung bezeichnen. Ich tu das nicht, weil es viel Geld ist. Aber der grosse Vorteil war, dass die übrigen Gesellschaften des Fluggeschäfts ­ SR Technics, Gate Gourmet, Skyguide, Swissport, Unique ­ genug Zeit hatten, sich ans neue Umfeld anzupassen. Dafür, dass er in der damaligen Zeit diese schwierige Entscheidung gefällt hat, verdient der Bundesrat Respekt.

Wir konnten uns nie vorstellen, dass «unsere» Swissair/Swiss jemals im Ausland landen würde. Schon gar nicht in Deutschland.

Sie konnten sich auch nicht vorstellen, dass die Swissair Bankrott gehen würde, oder?

Brauchte es jemanden von aussen, um diese heilige Kuh zu schlachten? Hätte ein Schweizer für den Verkauf der Swiss an die Lufthansa keine Mehrheit gefunden?

Mir bereiten «Was wäre, wenn»-Situationen Mühe. Man weiss es nie. Aber eines trifft schon zu: Als ich begriffen hatte, wie die Schweiz funktioniert, entschied ich mich bewusst, nicht Teil des Systems zu werden. Sonst muss man nämlich immer geben und nehmen. Ich hatte aber nichts zu geben. Und ich wusste, dass ich bei der Swiss viel aufzuräumen hatte. Das würde einfacher sein, wenn ich unabhängig wäre, dachte ich mir.

Bei Ihrem Amtsantritt sagten Sie noch, der Plan mit den über hundert Flugzeugen sei erfolgversprechend. Die Schweizer seien sehr pragmatisch, sie wüssten schon, weshalb sie so viel Geld investiert hätten.

Das war vor Sars, vor Irak und vor der Rezession. Und 2002 unterschätzten wir noch die Gefahr durch die Billig-Airlines. Im 2003 erkannten wir das gesamte Ausmass der Krise und sahen, dass viel tiefere Einschnitte notwendig sind. Dann nahmen wir Gespräche mit anderen Airlines über eine Fusion auf: mit der KLM, die wollte nicht; mit den Briten, von denen wir uns später wieder trennten; mit der Air France, die schon mit der KLM beschäftigt war. Aber die Lufthansa war wegen der gemeinsamen Kultur, der geografischen Nähe, des Marktauftritts und insbesondere des gemeinsamen Multi-Hub- und Multi-Brand-Konzepts immer meine erste Wahl.

Obwohl Sie wussten, dass die Schweizer sich vor den Deutschen fürchteten.

Daraus können wir etwas lernen. Wenn man Teil des Systems ist, überschätzt man den emotionalen Aspekt. Das sieht man als Ausländer nüchterner. Und heute kann man auch klar erkennen, dass die Integration auf breite Akzeptanz stösst.

Schon einmal, 1993, versuchten Sie mit den Schweizern eine visionären Wurf. Das Projekt «Alcazar» sah den Schulterschluss von KLM, Swissair, Austrian Airlines und den Skandinaviern vor, mit Ihnen als CEO. War der Kampf um den Vorsitz der Grund für das Scheitern?

Wir, die vier CEOs, waren schon zu Beginn übereingekommen, dass Swissair-Chef Otto Loepfe Konzernchef der neuen Airline würde. Der Hauptsitz wäre in Amsterdam oder wenigstens in Holland gewesen, die Skandinavier hätten den Präsidenten gestellt.

Und Sie?

Ich wäre etwas im Marketing und Verkauf geworden.

Dazu waren Sie bereit?

Natürlich. Ich hatte grossen Respekt vor Herrn Loepfe.

Warum missglückte das Vorhaben?

Der Hauptgrund war der politische Widerstand in der Schweiz und die Auseinandersetzung um den US-Partner. Weil die von der Swissair bevorzugte Delta nicht auf ihre Kooperationen in Frankfurt und Paris verzichten wollte, mussten wir das Vorhaben schliesslich begraben.

Damals lernten Sie Rainer Gut kennen, Credit-Suisse-Präsident und Swissair-Verwaltungsrat. Haben Sie ihn die vergangenen vier Jahre häufig getroffen?

2001 besprachen wir den Job bei der Swiss, 2002 assen wir mal zu Mittag, 2003 führten wir ein Telefongespräch, und 2004 traf ich ihn an der Aktionärsversammlung.

Es wurde spekuliert, dass Herr Gut der heimliche Drahtzieher bei der Swiss war.

Er wollte das nicht, und ich hätte es nicht akzeptiert. Das war von Beginn weg klar. Nur der Verwaltungsrat zusammen mit der Geschäftsleitung führte die Airline.

Pieter Bouw, 64, niederländischer Professor und bis vergangene Woche Swiss-Präsident, wuchs zusammen mit fünf Geschwistern als Sohn eines Speditionsunternehmers auf. Als Einziger ging er zur Hochschule und wurde 1991 Chef der niederländischen Airline KLM. 1994 überreichte ihm Königin Beatrix den «Niederländischen Löwen», den Bouw als Zierde am Jackett trägt.


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