Seitensprung des Showstars

Kooperation Raiffeisen führt mit der Zürcher Kantonalbank vertrauliche Gespräche über ein IT-Gemeinschaftswerk – und will sich von Vontobel lösen. 24. Januar 2013

Pierin Vincenz geht nicht ans Weltwirtschaftsforum nach Davos – nie. Dabei wäre das Welt-Stelldichein für den Bündner ein Heimspiel. Er gehöre nicht zu dieser Elite, kokettiert Vincenz im kleinen Kreis. Was nach Bescheidenheit klingt, ist wohl eher eine Frage danach, wo es ihm wohl ist. Vincenz liebt den grossen Auftritt im Rampenlicht. Seine Referate auf den Podien der vielen Raiffeisen-Generalversammlungen landauf, landab sind legendär. Er wäre gerne Showstar geworden, verriet Vincenz einst TV-Talkmaster Schawinski. „Dieses Gefühl, auf der Bühne vom Publikum bejubelt zu werden, schien mir erstrebenswert“, meinte Vincenz verschmitzt.

Statt Rocker oder Schauspieler wurde Vincenz Banker, und zwar einer, der Kultstatus geniesst. Er verwandelte in seinen Jahren als Chef der Raiffeisengruppe einen heterogenen Verbund von über 300 verzettelten Regionalbänklein in die dritte Kraft des Finanzplatzes, die heute von den Platzhirschen gefürchtet ist. Doch das genügt dem 56-Jährigen nicht. Bevor er den Saal verlässt, will er nochmals auf die Pauke hauen. Aus seiner Raiffeisen soll eine Grossbank mit breiter Angebotspalette – von Retail und Hypotheken über Firmenkredite bis zu Private Banking – werden.

Dafür könnte er den nächsten grossen Coup wagen. Vincenz hat mit Martin Scholl, dem Chef der Zürcher Kantonalbank (ZKB), Gespräche über einen grossen Informatik-Schulterschluss aufgenommen, wie mehrere Quellen verraten.

Geheimplan mit industrieller Logik

Klar ist, wie sich die beiden Partner ergänzen sollen. Die Kantonalbank würde ihre moderne Wertpapierabwicklungs-Plattform in das Gemeinschaftswerk einbringen, von der Raiffeisen käme die ITLösung für den Zahlungsverkehr. Eine solche Aufteilung hätte laut einem IT-Berater, der mit dem Geheimprojekt vertraut ist, eine „industrielle“ Logik. Die Zürcher haben bei den Wertschriften eine State-ofthe-Art-Lösung, nicht aber im Zahlungsverkehr, welcher auf einer in die Jahre gekommenen Applikation basiert. Dort wiederum hat die Raiffeisen mit Avaloq ein modernes System, das einfach funktioniert und robust ist.

Wie weit die Gespräche fortgeschritten sind und wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Deals ist, bleibt vorerst offen. Weder Raiffeisen noch ZKB wollten sich zum vertraulichen Projekt äussern. Darauf angesprochen, meint ein Insider, dass eine ZKB-Raiffeisen-Kooperation in der Informationstechnologie einem Bündnis eines Blinden mit einem Lahmen entsprechen würde. „Das kommt nie zum Fliegen“, sagt die Quelle. Raiffeisen-Kreise geben zu verstehen, dass die Kritik ernst zu nehmen sei. „Die Systeme von zwei so grossen Banken zusammenzulegen ist schwierig“, sagt ein Raiffeisen-Manager. „Dass man damit wirklich grosse Kostensynergien heben kann, ist schwer vorstellbar.“

Die Gespräche der beiden Banken finden in einem Umfeld statt, in dem viele Finanzinstitute vor der Frage stehen, wie sie sich in der Informatik künftig aufstellen wollen. Seit mehr als zehn Jahren spricht man in der Industrie von Transaktionsbanken. Damit sind meistens Tochtergesellschaften der bekannten Häuser gemeint, die ihre IT- und Handels-Dienstleistungen Drittparteien offerieren. Bisher blieb den meisten Transaktionsbanken der Erfolg verwehrt. Es gab zu wenig Drittbanken, die bereit gewesen wären, ihre Eigenständigkeit in der Kerndisziplin Informatik aufzugeben.

Bekanntes Beispiel einer weit fortgeschrittenen, am Ende aber doch gescheiterten IT-Kooperation ist ein früherer Plan der Waadtländer und der Zürcher Kantonalbank. „Dort standen alle Ampeln auf Grün, bis zuletzt die obersten Chefs die Notbremse zogen“, sagt ein Zürcher Informatikberater. „Der Grund? Ganz einfach, die Egos der Spitzenbanker.“

Starke Persönlichkeiten und der Wunsch, allein obenaus zu schwingen, könnten auch für das absehbare Scheitern zwischen Raiffeisen und ihrer bisherigen Plattform-Partnerin, der Zürcher Privatbank Vontobel, verantwortlich sein. Mit ihr hatte Raiffeisen-Chef Vincenz einst Grosses vor. Vincenz machte die Familienbank vor vielen Jahren zu seiner Exklusivpartnerin im Wertschriften-Business und übertrug ihr die ganze Abwicklung – vom Kauf über die Titelverwaltung bis hin zur Abrechnung. Zudem vertrieb Vincenz‘ Raiffeisen auch die Vontobel-Finanzprodukte wie Fonds und Derivat-Konstrukte im eigenen, umfassenden Retailnetz.

2004 wurde das Bündnis mit einer Aktienbeteiligung unterlegt. Vincenz kaufte für 250 Millionen Franken 12,5 Prozent an Vontobel und verpflichtete sich, die Partnerschaft mindestens bis 2017 aufrechtzuerhalten. Sein Kalkül war, dass, wenn die Familie dereinst die Mehrheit abgeben würde, er – Vincenz – zur Stelle wäre.

Davon kann heute keine Rede mehr sein. Die beiden Banken kommunizieren nur noch via Anwälte miteinander. Hintergrund ist der Streit um die Notenstein Privatbank. Dieses aus der unglücklichen Bank Wegelin hervorgegangene Institut hatte Vincenz vor genau zwölf Monaten für gut 500 Millionen Franken erworben, ein stolzer Preis für 700 Mitarbeiter und 20 Milliarden Kundenvermögen. Mit der Notenstein im Verbund war klar, dass Vincenz nicht mehr auf eine Übernahme oder Kontrolle der Vontobel warten wollte, sondern das Heft des Handelns in die eigenen Hände genommen hatte.

Weil es zwischen Notenstein und Vontobel Überschneidungen gab, sah Vontobel-Chef Zeno Staub seinen besten Kunden fremdgehen. Staub drängte auf klare Verhältnisse im Rahmen des Kooperationsvertrags. Da machte sich Vincenz rar. Letzten November kam es zum Knall. Staub beendete die Verhandlungen und rief das für Streitfälle vorgesehene Schiedsgericht an.

Seither herrscht Funkstille. Zuerst dauerte es Wochen, bis Vontobel ihre Klage formuliert und einen eigenen Anwalt für das Schiedsgerichtsverfahren bestimmt hatte. Dann war Raiffeisen an der Reihe. Die Sankt Galler haben Zeit bis 1. März, um ihre Sicht der Dinge darzulegen und einen eigenen Rechtsvertreter für das Verfahren auszuwählen. Zuletzt müssen sich die Parteien auf einen unabhängigen Vorsitzenden einigen. Bis es zu einem Urteil kommt, dürfte es Ende 2013 werden. Zu klären hat das „Privatgericht“ einzig und allein die Frage, ob die Raiffeisen-Tochter Notenstein unter den Kooperationsvertrag fällt oder nicht.

Partnerschaft mit Vontobel gefährdet

Weder Vontobel noch Raiffeisen nehmen Stellung zum Thema. Man wolle das laufende Verfahren nicht durch Äusserungen in der Öffentlichkeit beeinflussen. Gespräche mit Involvierten auf beiden Seiten führen zum Schluss, dass die Erwartungen weit auseinander liegen. Während die Vontobel-Spitze weiterhin die Hoffnung hat, dass die Kooperation nach einem Entscheid auf geklärter Basis fortgesetzt werden könne, ist für Vincenz die Partnerschaft kaum mehr reparierbar. Für den Raiffeisen-Chef ist demnach nicht mehr das Thema, ob er noch länger mit Vontobel zusammenarbeiten will, sondern nur noch, wie er die Leistungen, die er bisher bei den Zürchern bezogen hat, anderweitig erhalten kann.

Grundsätzlich stehen Vincenz dafür zwei Wege offen. Er kann einen neuen Partner suchen, oder er kann auf einen Alleingang setzen und die Vontobel-Services, die ihn jährlich einen zweistelligen Betrag kosten, in der eigenen Raiffeisengruppe aufbauen. Beide Varianten haben ihre Tücken. Bei einer neuen Kooperation beginnt Vincenz bei null. Teams aus unterschiedlichen Kulturen müssen sich aneinander gewöhnen, beide Seiten sind vom Nutzen der Partnerschaft zu überzeugen, Schwierigkeiten, wie sie in jedem grossen IT-Projekt Alltag sind, gilt es zu bewältigen.

Im Fall des Alleingangs stellt sich umgekehrt die Frage, ob die Rechnung für die Raiffeisen aufgeht. Die Genossenschaftsgruppe ist unter Vincenz massiv gewachsen und sitzt auf einem riesigen Hypothekenberg. Ein Crash im Schweizer Immobilienmarkt träfe die Raiffeisenbanken vermutlich härter als viele andere Banken. Nicht zuletzt wegen dieser Risiken verlangt die Aufsicht auch von der Genossenschaftsbank mehr Eigenkapital. Umso wichtiger ist es für Vincenz, seinem Verwaltungsrat und den vielen Mitgliedsbanken Lösungen aufzuzeigen, wie die Kosten gesenkt und die Gewinne erhöht werden können. Doch Sparen und Bremsen, das liegt Vincenz nicht im Blut. Er ist einer jener Banker, die immerzu Gas geben wollen.


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