Mysteriöser Verrat

Rund 400 der über 4000 US-Kunden wurden von der Grossbank UBS zu Unrecht bei der Steuerverwaltung angezeigt. Dahinter vermuten Betroffene eine geheime Agenda. Handelszeitung, 12. Mai 2011

A nna und Peter M.* atmeten auf. «Uff, nochmals Glück gehabt», freute sich das Schweizer Ehepaar mit UBS-Konto. Die beiden leben jedes Jahr für ein paar Monate lang in den USA und hatten damals, Ende 2009, gut eine Million bei der Grossbank liegen. Das Geld war ihnen aus einem Schweizer Erbe zugeflossen. Der Steuerstreit zwischen der UBS und den Vereinigten Staaten machte ihnen darum Angst. Weil Konten von UBS-Kunden mit einem Millionensaldo und Bezug zu den USA im Staatsvertrags-Raster hängenblieben, hätte die «Mammut»-Amtshilfe der Schweiz zugunsten der USA auch das Ehepaar M. treffen können.

Doch von der Bank hörten Anna und Peter M. lange nichts. Nachdem im Herbst 2009 auch noch das Selbstanzeigeprogramm der Amerikaner abgelaufen war, schien die Gefahr vorbei zu sein. So spät noch zu den 4500 US-Kunden zugeteilt zu werden, die offenzulegen waren – das würde die UBS sicher nicht tun.

Am 26. März 2010 tat sie es doch. Anna und Peter M. waren wie vom Donner gerührt. «Da wir 2009 und bis Anfang 2010 kein Wort von der UBS oder der Steuerverwaltung gehört hatten, gingen wir davon aus, dass wir als Schweizer Staatsbürger in Ruhe gelassen würden», erzählt Peter. Noch im Februar 2010 habe er die UBS-Hotline anonym angerufen und nach den Gefahren für einen Ex-Kunden gefragt, der bis anhin nichts von der Bank gehört habe. «Man sagte mir, dass das Verfahren praktisch abgeschlossen und eine Offenlegung daher höchst unwahrscheinlich sei.»

Nach dem ersten Schock standen die Ms auf die Hinterbeine. Sie wussten aus ihrem persönlichen Umfeld, dass andere Betroffene von der UBS frühzeitig aufgefordert worden waren, sich freiwillig bei den US-Steuerbehörden anzuzeigen – mit dem Ziel, glimpflich davonzukommen. Dieser Zug war für das Schweizer Paar längst abgefahren.

«So nicht», sagten sich Anna und Peter M., und kämpften in den folgenden Monaten gegen die drohende Offenlegung. Sie taten dies ohne Anwalt, dafür umso entschlossener, um das in ihren Augen erfolgte Unrecht abzuwenden.

Ungereimtheiten im Staatsvertrag

Im Zuge ihres Widerstands stiess das Ehepaar auf Ungereimtheiten rund um jenen Staatsvertrag, mit dem die Schweiz zwar die UBS vor einem Prozess in den USA bewahrte, dafür aber Tausende von Kunden rückwirkend zu Steuersündern stempelte und so nicht nur ihr altes Bankgeheimnis preisgab, sondern auch ihren Ruf als verlässlichen Finanzplatz aufs Spiel setzte. «Die Schweizer Behörden hatten doch immer behauptet, sie würden ihre Bürger schützen und niemandem mit dem roten Pass den USA ausliefern», enerviert sich Peter M. Doch genau dies sei in ihrem Fall versucht worden. «Die UBS und die Steuerbehörde gaben sich alle Mühe, unser Dossier auszuhändigen.»

Bei der UBS lief der Amtshilfeprozess unter den Projektnamen «Jorasse». Aus der Korrespondenz zwischen dem Ehepaar und der Bank respektive der für die Amtshilfeerteilung zuständigen Eidgenössischen Steuerverwaltung geht hervor, dass «Jorasse» aus zwei Phasen bestand. Aufgrund der späten Benachrichtigung und der Tatsache, dass sie Schweizer Bürger seien, schloss Peter M., dass die Bank mit US-Bürgern allein nicht auf die im Staatsvertrag vereinbarten 4500 Steuersünder gekommen wäre. «Wir sind überzeugt, dass Phase zwei etwas mit Schweizer Kunden zu tun hatte», sagt M.

Die UBS lehnt es ab, konkrete Fragen zum Fall zu beantworten, und nimmt lediglich allgemein Stellung. «Diese Angelegenheit ist für UBS definitiv abgeschlossen», sagt Sprecher Serge Steiner. «UBS hatte die Kundenbeziehungen streng nach den Vorgaben des Bundes und aufgrund der uns zur Verfügung stehenden Informationen ausgewählt und der Eidgenössischen Steuerverwaltung übermittelt.»

Auskunftsfreudiger ist Hans-Jörg Müllhaupt, Anwalt aus dem Kanton Aargau, der als externer Leiter das Projekt Amtshilfe für die Steuerverwaltung durchpaukte. «Es ist nicht so, dass es eine erste Offenlegungs-Phase ohne Schweizer Bürger gab und danach eine zweite mit», sagt er. «Es waren in beiden Phasen auch Schweizer betroffen, sofern sie US-Bezug hatten und von der UBS gemeldet wurden.»

Gleichzeitig bestätigt Müllhaupt, dass die UBS frei war bei der Selektion der betroffenen Kunden mit US-Bezug. Die Juristen der Bank hätten entschieden, welche Kundendossiers nach Bern zur Steuerverwaltung geschickt würden mit der Absicht, diese den USA auszuhändigen. Nötig war allein der Segen der externen Prüfgesellschaft KPMG. Ob jemand am Ende tatsächlich offengelegt worden sei, habe aber allein die Steuerverwaltung entschieden, sagt Müllhaupt.

Was das Ehepaar Anna und Peter M. mit kritisieren, dass nämlich die UBS je nach eigenen Bedürfnis Namen und das umfangreiche Datenmaterial betroffener US-Kunden nach Bern lieferte, passt zum Eindruck von Andreas Rüd von der Zürcher Anwaltskanzlei Rüd Winkler. Dieses verteidigt viele vom US-Steuerfall betroffene US-Kunden. Für ihn ist gut möglich, dass die UBS Kunden nach eigenem Gusto offenlegte respektive schützte. «Es fällt auf, dass unter den von uns betreuten Klienten keine mit riesigen Vermögen oder mit politischer Exponiertheit zu finden sind. Das wirft natürlich die Frage auf, ob die UBS ihre besten und wichtigsten Kunden bewusst schonte und nur die Daten der kleineren lieferte.»

Kämpfen um den «Lieferumfang»

Die angestrebte Offenlegung von Anna und Peter M. war fragwürdig. Das würde zur Vermutung passen, dass die UBS am Ende von Projekt Jorasse möglichst viele kleinere Kunden an den Pranger stellen wollte, um den versprochenen «Lieferumfang» zu erreichen. Das Konto der Ms lautet auf die Namen der Begünstigen, ist also kein Nummernkonto mit besonderer Geheimhaltung. Somit sollte die Frage, ob das Ehepaar durch intransparente Strukturen den Fiskus hintergehen wollte, was auch nach Schweizer Recht betrügerisch wäre, keine Rolle spielen. Als Kriterien für eine Offenlegung blieben demnach die erwähnte Millionen-Untergrenze sowie Erträge von mindestens 100 000 Franken in drei Jahren hintereinander. Davon waren Anna und Peter M. weit entfernt. Die ihrem UBS-Konto gutgeschriebenen Jahreserträge lagen von 1999 bis 2009 zwischen 2.45 Franken und knapp 98 000 Franken. Einzig 2003 ereichten sie 102 000 Franken. Dass das Doppelkriterium – Million Mindestvermögen und 100›000 Franken Jahresertrag in Dreijahresperiode – nicht zutreffe, «können Sie anhand des beigelegten Auszugs in einer Minute überprüfen», protestierten die Ms am 7. Juli 2010.

Die UBS reagierte kühl. Wie schon früher erwähnt, «scheinen die Kriterien des Anhangs zum Staatsvertrag (…) erfüllt zu sein», liessen zwei ‹Jorasse›-Mitarbeiterinnen die Ms am 13. Juli 2010 wissen. Die Höhe der Durchschnittseinkünfte sei «lediglich eines der anwendbaren Kriterien». Dieses mag «zwar nicht erfüllt gewesen sein, das Konto war jedoch dennoch zu liefern, weil die übrigen Kriterien erfüllt zu sein scheinen». Welche gemeint waren, blieb unerwähnt.

Danach verschärfte sich der Ton. «Was Sie (…) behaupten ist reiner, nur zur Einschüchterung erfundener Unsinn (…)», konterten Anna und Peter M. acht Tage später. «Dass Sie sich in jedem Schreiben hinter dem Verb ‹scheint› verstecken, liefert uns den Beweis, dass die UBS die im Staatsvertrag genannten Kriterien wissentlich missachtet.» Ihr Konto könne nur offengelegt werden, wenn ein «Lügengebäude» vorliegen würde. Davon könne aber «keine Rede» sein.

Projektleiter Müllhaupt von der Eidgenössischen Steuerverwaltung will den Auswahlprozess der UBS nicht beurteilen. «Entscheidend ist, dass wir jeden Fall einzeln prüften und in rund 400 Fällen keine Amtshilfe gewährten.» Das zeige, dass der Prozess korrekt abgelaufen sei. Auch UBS-Sprecher Steiner verteidigt das Vorgehen mit Verweis auf das Schlussresultat. «Das geschilderte Szenario zeigt, dass die Schweizer Amtshilfe funktioniert.»

Tatsächlich verfügte die Steuerverwaltung, dass das UBS-Konto der Ms nicht offengelegt würde. Darauf kam es zu einem letzten Gefecht mit der UBS um die Begleichung eines Anwaltshonorars. «Eine Grundlage für die Übernahme dieser Kosten besteht nicht», wies die Grossbank am 27. Juli 2010 die Forderung von Anna und Peter M. zurück. Später revidierte sie ihre Meinung. Am 16. Dezember 2010 war die UBS schliesslich doch noch bereit, wie gewünscht, einen Scheck auszustellen. Es ging dabei um knapp 4000 Franken.

* Namen geändert


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