Frech und kahl

Banker Adriano Lucatelli will mit seiner Reuss Private und 2000 unabhängigen Vermögensverwaltern Europa aufrollen – zusammen mit Ex-UBS-Topmanager Raoul Weil. Handelszeitung, 5. Mai 2011

Auf Adriano Lucatellis hellblauem Hemd prangen die Initialen ABL. B wie Baldo, meint der Secondo in breitem Zürcher Dialekt. Das passe gleich zweifach. «Bald» – Lucatelli greift sich an den Kopf – das englische «bald» heisst kahl. Dann spannt er den Bizeps – und «bold» steht für frech.

Frech mutet Lucatellis Aufmischen der Vermögensverwaltungsbranche in der Tat an. Der langjährige Grossbanker verschmolz jüngst mittelgrosse Firmen aus der Schweiz, Deutschland und Liechtenstein zur Reuss Private Group – mit dem Ziel, in Europa führend zu werden. Das Volumen der Gruppe mit Sitz auf einer Insel im gleichnamigen Fluss im beschaulichen Aargauer Städtchen Bremgarten lässt sich schon heute sehen. Sie verwaltet 4 Milliarden Franken an Kundenvermögen und arbeitet mit 2000 unabhängigen Vermögensverwaltern als Partner zusammen.

Es ist ein Hochrisikounterfangen. Die fehlende Kundenerfahrung könnte ein Handicap sein. Ein Ex-Kollege von der UBS meint, Lucatelli habe sich nie als Frontmann hervorgetan, sondern sich um Prozesse gekümmert. «Jetzt soll er der grosse Zampano sein? Das überrascht mich.»

Davon lässt sich der selbstbewusste Lucatelli nicht beirren. «Wir wollen bei jedem wichtigen Mandat aus Europa mitbieten können», sagt der Mittvierziger mit treuherzigem Blick hinter feinen Brillengläsern. «Dann haben wir es geschafft.»

Es wäre der Höhepunkt einer Tellerwäscherkarriere, die in Apulien beginnt. Lucatellis Vater, ein Automechaniker, wandert in die Schweiz aus, wo er mit seiner Luzerner Frau eine Familie in einem Arbeiterquartier von Zürich aufzieht. Adriano hat einen wachen Verstand, reüssiert im Gymnasium und landet im Devisenhandel der Bankgesellschaft. Nach zwei Jahren lechzt sein Intellekt nach Nahrung. Er kriegt Stipendien und macht einen Bachelor an einer Staats-Uni in den USA. «Nevada war das Beste für meine Karriere», sagt Lucatelli, «an einer Elite-Schule hätte ich nie die gleichen Möglichkeiten gehabt.» Der Masters folgt dann an der prestigeträchtigen London School of Economics, die Dissertation über Finanzsystem-Stabilität in Zürich.

Nach der Bildungsoffensive analysiert Lucatelli für die CS das Weltgeschehen, was die Banker an der Front kalt lässt. 2002 kann sich der unternehmensfreudige Mann endlich im richtigen Banking beweisen. Headhunter Zehnder platziert ihn im Tessin als Private-Banking-Chef der UBS. Nach acht Monaten ist Schluss, Lucatellis Boss wird von einer Restrukturierung in die Pension gefegt, er selbst kümmert sich fortan in der Zentrale um die externen Vermögensverwalter.

Felix Brem und Roman Neff mit ihrer kleinen Boutique gehören dort zu seinen Kunden. Sie überzeugen den UBS-Mann 2009 zum Seitenwechsel. Als Erstes macht Lucatelli aus BN & Partner die Reuss Private. «Der Name ist frisch, frech, hat Herkunft und ist erst noch leicht aussprechbar. Perfekt!», schwärmt der Neo-Vermögensverwalter. Dann holt er seine Leute an Bord: Die Lebenspartnerin wird Vizepräsidentin, Daniel Heller von der PR-Agentur Farner, ein Aargauer FDP-Politiker, übernimmt das Präsidium, Ex-NZZ-Journalist Reinhold Gemperle zeichnet sich fürs Publizieren verantwortlich.

Aufsehen erregt Lucatelli mit der Verpflichtung von Ex-UBS-Topshot Raoul Weil. Der wird Ende 2008 im UBS-Steuerfall von den USA als Verschwörer angeklagt und tritt zurück. Lucatelli gibt ihm die Chance zum Wiedereinstieg, mit Minderheitsbeteiligung und Beratungsmandat. «Raoul ist ein guter Kollege, er hilft uns beim grossen Schulterschluss und wäre auch als Partner hoch willkommen», sagt Lucatelli. Dazu müsste Weil der Finanzaufsicht schriftlich sein Nichtwissen im US-Steuerfall der UBS bekunden.

Nächstes Ziel ist eine Effektenhändlerlizenz für die Reuss Vermögensverwaltung, die wie alle Gruppenfirmen unabhängig auftritt. Ob das für den freien EU-Zugang genügt, ist offen. Es führe wohl kein Weg an einer Banklizenz vorbei, meint ein Konkurrent. Die verschärften Vorschriften hätten das alte Modell der Branche zerstört (siehe Kasten). Wer um Auslandgelder buhle, müsse teure Strukturen aufbauen. Lucatelli selbstbewusst: «Haben wir im Griff.»

Unabhängige stehen unter Zugzwang

Neue Vorschriften Die Finanzmarktaufsicht fordert seit letztem Herbst, dass jede Bank sicherstellt, dass die unabhängigen Vermögensverwalter, deren Kundenvermögen sie bucht, Gewähr für einwandfreies Geschäften bieten. Diese müssen zudem allen Vorschriften der Kunden-Herkunftsländer genügen. Das erfordert den Aufbau exakter Compliance-Strukturen und Prozesse.

Massensterben Die verschärfte Aufsicht erschüttert ein altes lukratives Geschäftsmodell. Nun dürfte es zu einer Konsolidierung der 2600 unabhängigen Vermögensverwalter in der Schweiz kommen. Viele Kleine und Mittlere werden aufgeben, weil sie die hohen Kosten der Regulierung nicht stemmen können.


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