Ein unmoralisches Angebot

Schweiz soll USA 10 Milliarden Dollar geboten haben – Ambühl weiss von nichts. SonntagsZeitung, 6. November 2011

Michael Ambühl weilte diese Woche in Washington. Noch bevor der Schweizer Emissär im US-Steuerkrieg die Heimreise antrat, platzte die Bombe: Die Schweiz habe den USA eine 10-Milliarden-Dollar-Offerte per Saldo aller Ansprüche unterbreitet, meldete Reuters. Im Gegenzug müssten die USA ihre Attacken gegen die Schweizer Banken einstellen. Diese werden beschuldigt, US-Kunden bei der Hinterziehung von Steuern geholfen zu haben.

Ambühl verstand die Welt nicht mehr. Der Verhandlungsprofi ist vieles gewohnt, eine solche Finte überstieg jedoch sein Vorstellungsvermögen. «Wir haben keine Offerte mit einer Zahl unterbreitet», enerviert sich Ambühls Sprecher Mario Tuor. «Und von 10 Milliarden kann schon gar keine Rede sein.»

Ein US-Anwalt mit guten Beziehungen ins US-Justizministerium (DOJ) sagt hingegen, die Reuters-Nachricht sei korrekt. Das habe ihm ein «hochrangiger» Beamter bestätigt.

Wer hat recht? Recherchen zeigen, dass hinter der widersprüchlichen Nachricht ein erbitterter Kampf zwischen Hardlinern und Softies in der US-Verwaltung steht. Die Schweiz gerät zwischen die Fronten. Offenbar existiert tatsächlich eine Offerte mit Globalabfindung von nahezu 10 Milliarden Dollar. Diese stammt jedoch nicht von der Schweiz, sondern vom US-Steueramt IRS. Weil ein solcher Deal nicht im Interesse des DOJ sei, torpediere das Amt einen Deal, sagen Insider.

Ob sich die Schweiz über den Streit der beiden US-Stellen freuen kann, ist fraglich. VerhandlerAmbühl weiss nicht mehr mit Sicherheit, was die Gegenseite im Schilde führt. Offiziell verhandelt der Schweizer Staatssekretär mit Michael Danilack, einem hohen Kadermann im IRS, das dem Finanzminister untersteht. Danilack stimmt sich mit dem DOJ und dem Aussenministerium ab (State Department). Auf Schweizer Seite ist Ambühl, der Finanzministerin Widmer-Schlumpf rapportiert, allein zuständig.

Im US-Lager herrscht Feindschaft. Die Steuerleute des IRS liegen mit den Strafermittlern der DOJ-Steuersektion über Kreuz. «Keiner gönnt dem anderen den Erfolg», sagt der US-Anwalt. Dazwischen steht das State Department. Dieses versucht zu vermitteln, weil es die Schweiz als befreundete Nation betrachtet.

Schweiz leistet mehr Widerstand als in UBS-Affäre

Im Steuerstreit gab bisher das DOJ den Ton an. Dieses will offenbar in der Entscheidungsschlacht das Maximum herausholen. Ein Grund dürfte sein, dass DOJ-Beamte auf Karrieren in privaten Anwaltskanzleien hoffen. Ein maximaler Verhandlungserfolg erhöht solche Chancen.

Der bisherige Verlauf gibt den «Falken» im DOJ recht. 2009 rangen sie die UBS mit einer Rekordbusse von 780 Millionen Dollar und einer Notherausgabe von 250 Kundendaten nieder. Ein halbes Jahr später musste sich der Bundesrat verpflichten, weitere rund 4500 UBS-Steuerhinterzieher den USA offenzulegen. Ob das DOJ mit seiner harten Haltung auch diesmal Erfolg haben wird, ist offen. Das schwere Geschütz mit der 10-Milliarden-Indiskretion ist ein Hinweis für steigende Nervosität. Kommt hinzu, dass die Schweiz diesmal mehr Widerstand leistet. Notrecht schliesst die Regierung aus. Die von den USA geforderte Aushändigung von Kundendaten muss über den Weg einer ausgeweiteten Amtshilfe erfolgen.

Der Härtetest steht noch aus. Sollten sich die DOJ-Hardliner gegen die «Tauben» im Aussen- und Finanzministerium durchsetzen, würde vermutlich als Erstes eine kleinere Schweizer Bank wie die Basler Kantonalbank angeklagt, gegen die ermittelt wird, sagt der US-Anwalt. «Dann wird sich zeigen, ob die Schweiz den Mumm hat, den USA tatsächlich die Stirn zu bieten.»


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