Was der Finma-Bericht verschweigt

Laut Ex-UBS-Topshot Antoni Stankiewicz beging die ehemalige UBS-Spitze keineswegs nur Unterlassungssünden. SonntagsZeitung, 11. April 2010

Der Untersuchungsbericht der Finanzmarktaufsicht (Finma, vormals EBK) zum UBS-Steuerbetrug hat die Verantwortlichen bisher vor Klagen geschützt. Nun erhebt ausgerechnet die anti-etatistische «Weltwoche» den Berner Befund zum Beweis dafür, dass die Ex-UBS-Chefs keine «Verschwörung» gegen die USA geplant hätten. «Von einem vorsätzlich installierten ‹Betrugssystem› kann laut EBK/Finma keine Rede sein», behauptet Chefredaktor Roger Köppel.

Laut Finma bestand der Fehler der UBS-Topleute einzig darin, Schutzmassnahmen «zu wenig energisch umgesetzt» zu haben, respektive es «dauerte» damit «zu lange». Dem widerspricht erstmals öffentlich ein Ex-Topshot der UBS. Antoni Stankiewicz war bis 2001 für das Nord- und Südamerika-Offshore-Geschäft zuständig.

Stankiewicz berichtete der Finma von einer Geschäftsleitungssitzung des Private Banking im Frühsommer 2000. Vorsitzender war Georges Gagnebin, loyaler Mitstreiter von UBS-Übervater Marcel Ospel. Gagnebin habe Stankiewicz Antrag abgelehnt, «keine Neugeld-Akquisitionsziele» zu setzen, solange das US-Offshore-Geschäft nicht auf einer «tragfähigen Rechtsbasis» stehe.

«Gagnebin und seine GL-Kollegen begründeten dies mit einer neuen Doppelstrategie», sagt Stankiewicz der SonntagsZeitung. «Sie sagten, durch den Kauf der US-Grossbank Paine Webber und den geplanten Ausbau in den EU-Schwerpunktländern Deutschland, Frankreich, England, Italien und Spanien befinde sich die Bank in einer neuen Situation.»

Laut Stankiewicz sagte Gagnebin wörtlich: «Mit den Organisationen vor Ort können wir viel unauffälliger und unbehelligter das steuerneutrale Geschäft weiterhin akquirieren und betreuen.» Gagnebins Gefolgsmann Raoul Weil sagte laut Stankiewicz sogar: «Wir haben von Deutschland politisch nichts zu befürchten, wir könnten mit unseren Kunden fast ein Kabinett bilden.»

Ein Schutzschild für riskante Offshore-Beratungen

«Steuerneutral» meinte das Geschäft mit unversteuerten Geldern ausländischer Kunden aus der Schweiz heraus. Dieses Offshore-Business unterlag vielerorts strengen Vorschriften. US-Gesetze untersagten Beratungen für Amerikaner, solange diese in ihrer Heimat weilten.

Gagnebin, Weil und ab 2001 auch Marcel Rohner hätten somit geplant, die EU- und US-Präsenz der UBS als Schutzschild für riskante Offshore-Beratungen zu nutzen. «Rohner und Weil setzten Gagnebins Doppelstrategie fort», sagt jedenfalls Stankiewicz. «Die beiden zogen nie den Stecker.»

Rohner und Weil stammten aus den Reihen des früheren Bankvereins, dessen Geschäftsmodell der Grossbank nach der Fusion mit der Bankgesellschaft implementiert wurde. Vom Bankverein stammte auch der Einsatz von Laptops für Kundenbesuche. Das habe es in der SBG nicht gegeben, sagt Stankiewicz.

Der Secure Travel Access Service (Stas) stellte eine ausgeklügelte Plattform für das Schwarzgeld-Geschäft dar. UBS-Informatiker entwickelten einen «Selbstzerstörungsmechanismus» für den Fall, im Ausland damit aufzufliegen. Die Berater wurden geschult. «Alle Stas müssen beim Grenzübertritt leer sein», hielt ein Workshop 2006 fest. «Vorgeschlagen wird eine unverfängliche UBS-Präsentation für PC-Kontrollen.» Ab 2007 wurde Stas zum Corpus Delicti für die US-Ermittler.

Die Stas-Investitionen konnten laut Antoni Stankiewicz der obersten Führungsetage nicht verborgen bleiben. Ausbildung und Löschmechanismen seien nach 2001 dazugekommen und «hatten sicher das Einverständnis der Geschäftsleitung».

Stankiewicz ging im Frühling 2001 von Bord. «Ich habe diese Computer nicht gefördert, weil für mich Kundendaten auf externen Datenträgern ohne Zustimmung der Kunden eine Verletzung des Bankkundengeheimnisses darstellten», sagt er.

Nach Stankiewicz Ausscheiden forderten andere Topmanager eine Risikoeindämmung für das US-Geschäft. Das Qualified-Intermediary-Abkommen von 2001, das die Beratung von US-Kunden weiter einschränkte, könnte «die Art und das Ausmass unseres Offshore-Geschäfts» offenlegen, befürchteten sie und beantragten Ende 2001 Massnahmen. Doch die Spitzenleute Gagnebin, Rohner, Weil und Martin Liechti hielten am alten Modell fest.

Unter Offshore-Chef Weil erfolgte darauf die Wachstumsphase «Taste for Bucks», eine Initiative mit dem Ziel, so viel Neugeld wie möglich von reichen Auslandkunden in die Bank zu locken.

Als Berater Bradley Birkenfeld das Betrugssystem lautstark kritisierte, führte Chefjurist Peter Kurer eine interne Untersuchung durch. Am 24. Mai 2006 teilte Kurer Birkenfeld mit, dass mit «angepassten Richtlinien» und «intensivierten Schulungen und Kontrollen» das Ziel einer «qualitativ hochstehenden Rechtskultur» erreicht werden soll.

Doch das geheime Computersystem blieb ebenso in Betrieb wie Investmentempfehlungen per Telefon, Mail und Besuche in den USA, die gegen US-Gesetze verstiessen.

Finma liess sich zum aktiven Player im UBS-Drama machen

Kurz nach der Birkenfeld-Affäre lehnten «oberste Manager der Bank» im Sommer 2006 einen Verkauf, Spin-off oder Abbau ab, «da dies zu teuer käme und zu viel schädliche Aufmerksamkeit erzeugen würde», wie US-Gerichtsakten zeigen. Gemeint waren Marcel Rohner und Raoul Weil.

Die Finma schreibt hingegen, die gefundenen «Führungsschwächen» würden keine «aufsichtsrechtlichen Massnahmen» gegen oberste Chargen rechtfertigen. «Vielmehr muss sich die Bank als Ganzes, als komplexes Unternehmen, die Versäumnisse anrechnen lassen.» In den USA gilt Raoul Weil heute als Angeklagter auf der Flucht, in der Schweiz ist er ein Opfer des Systems.

Das passt ins Bild einer Finma, die sich zum aktiven Player im UBS-Drama machen liess. An einem Geheimtreffen am New Yorker Fed-Sitz gab die UBS am 17. Oktober 2008 erstmals Mithilfe zu Steuerbetrug zu. Sofort verlangten die USA von der anwesenden Finma die entsprechenden Kundendaten. Verweise auf das Schweizer Bankgeheimnis hätten die Amerikaner «keinen Deut» mehr interessiert, sagt Urs Zulauf, Finma-Rechtschef, im Buch «Paradies Perdu»*. «Die hatten ihren Auftrag und wollten ihn jetzt zu Ende führen.»

Vier Monate später lieferte die Finma 250 US-Kunden ans Messer und verletzte damit Schweizer Recht. Die UBS bekannte sich offiziell schuldig der «Verschwörung» mit dem Ziel, die «USA zu betrügen», und bezahlte eine Rekordbusse. Zum Deal konnte die Finma nur Hand bieten, wenn sie die UBS-Chefs in ihrem Bericht freisprach. Für Betrüger hätte sie niemals das Schweizer Bankgeheimnis aufgeben können.

* «Paradies Perdu – Vom Ende des Schweizer Bankgeheimnisses» von Lukas Hässig erscheint nächste Woche im Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg. Am 3. April publizierte «Das Magazin» erste Fakten daraus.


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