Die verratenen UBS-Kunden

Richter, Bundesjuristen, externe Bankgutachter – sie alle waren im Steuerstreit mit den USA in seltener Eintracht bereit, das Bankgeheimnis aufzugeben. Wie sie Tausende von Bankkunden zu Kriminellen machten. Tages-Anzeiger, 8. Dezember 2009

Um 20.30 Uhr Ortszeit griff Michael Leupold zum Hörer. Die Schweizer Botschaft in Washington hatte das Telefongespräch veranlasst. In der US-Hauptstadt, wo David Ogden den Anruf des Berner Chefbeamten erwartete, war es an jenem 9. Juli 2009 noch lange bis zum Feierabend.
Leupold, Direktor des Bundesamts für Justiz in Bern, und Ogden, stellvertretender US-Justizminister, sprachen über den Fall UBS. Leupold versuchte, den Repräsentanten der übermächtigen USA für eine friedliche Beilegung des UBS-Steuerstreits zu gewinnen. Die Zeit drängte: In vier Tagen stand der Prozess zwischen der Grossbank und den USA in Miami an.

48 Stunden später hatte Leupold Ogden zum Einlenken gebracht. Die Regierungen der beiden Staaten reichten ein «Sistierungsgesuch» ein in der Absicht, eine «aussergerichtliche Einigung» zu erzielen. Deren Resultat lag sechs Wochen später auf dem Tisch. Die Schweiz verpflichtete sich, 4450 US-Steuersünder an die USA auszuliefern. Davon waren nur gerade 250 klassische Betrüger, die auch in der Schweiz keinen Schutz genossen. Bei den restlichen 4200 handelte es sich um eine neue Kategorie, jene der «schweren» Steuerhinterzieher.

Professor als Schlüsselfigur

Dass Tausende von langjährigen UBS-Kunden die Zeche für den «Friedensvertrag» vom 19. August bezahlen würden, war bereits im Juli klar. Schon damals verfügte der höchste Schweizer Justizbeamte über das nötige Rechtsgutachten, um Steuerhinterzieher, denen das Bankgeheimnis eigentlich Schutz vor einer Offenlegung versprach, zu kriminalisieren.

Das Gutachten stammt aus der Feder von Robert Waldburger. Der Steuerrechtler hat nicht nur einen ausgezeichneten Namen als St. Galler Universitätsprofessor. Er amtete ab Ende 1998 auch als Verantwortlicher der «Abteilung für internationales Steuerrecht und Doppelbesteuerungssachen» bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung. In der Funktion war er unter anderem für Steuerabkommen mit dem Ausland zuständig.

Ende März 2007 trat Waldburger aus dem Bundesdienst aus, blieb aber noch einige Monate als externer Mitarbeiter für die Steuerverwaltung tätig. Im Mai heuerte ihn der damalige Rechtschef der UBS, Peter Kurer, als Berater in Steuersachen an. Mandatsbeginn war Juli 2007, wie der Bundesrat erst in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage im Frühling 2009 ausführte.

Spezialwissen fliesst in Bankkanäle

Bereits in der Anfangsphase des UBS-Konflikts floss das Spezialwissen des nunmehr externen Steuerrechtlers Waldburger in die Entscheide der Steuerverwaltung ein. Die Behörde habe «jene Argumentationslinien aus der Stellungnahme übernommen, denen sie sich nach eingehender eigener Prüfung anschliessen konnte», verteidigte der Bund Waldburgers Rolle im Parlament.

Zur Schlüsselfigur wurde Waldburger nach dem 18. Februar 2009, als die Schweiz ihren Rechtsstaat aushebelte und 250 UBS-Kunden ohne Rekursmöglichkeit den amerikanischen Behörden überstellte. Mit diesem «Notabwurf», wie Leupold die Aktion später nannte, kam der Fall nämlich erst richtig ins Rollen. Nun forderten die Amerikaner eine gerichtlich erzwungene Offenlegung von 52 000 UBS-Konti. Die UBS setzte Waldburger auf das Problem an: Wie kann eine nie dagewesene Anzahl von Kunden zu Steuerkriminellen abgestempelt werden, ohne geltendes Schweizer Recht zu verletzen, lautete die Fragestellung von Waldburgers Auftraggeberin.

Betrug und Hinterziehung

Der Steuerexperte wurde fündig in Artikel 190 des direkten Bundessteuergesetzes (DBG). Unter «schwerer Steuerwiderhandlung» war nicht nur Betrug oder ein anderes Vergehen zu verstehen, sondern auch «fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuerbeträge». Hier war er, der elegante Ausweg für das Problem der UBS. Hinterziehung war unter Umständen auch in der Schweiz strafrechtlich relevant.

Dieser Artikel 190 war keineswegs neu, schon seit Jahren konnten die Behörden mit ihm das Bankgeheimnis in speziellen Fällen ausser Kraft setzen. Neben einem konkreten Verdacht benötigten sie dafür aber grünes Licht vom Chef des Finanzdepartements. Mithilfe des Paragrafen gelangen ein paar Grossaktionen. Doch dabei ging es um klassischen Steuerbetrug. Dass mit dem bis anhin wenig beachteten Artikel das Bankgeheimnis auch bei Steuerhinterziehung geknackt werden könnte, daran dachte kaum jemand.

Bis sich Professor Waldburger im Solde der UBS im heissen Sommer 2009 an die Arbeit machte und den explosiven Artikel 190 des direkten Bundessteuergesetzes mit dem bestehenden Steuerabkommen mit den USA verlinkte. Dieses Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz-USA, das unter anderem den Informationsaustausch in Steuerfragen regelt, hatte eine Besonderheit: Amtshilfe wurde nicht nur bei Steuerbetrug geleistet, sondern auch bei betrugsähnlichen Vergehen. «Tax fraud or the like», lautete der Passus, der bereits im Ur-Abkommen von 1951 in leicht anderer Form existierte.

Betrug «beispielhaft und nicht abschliessend»

Was sie mit «Tax fraud or the like» meinten, hielten die Schweiz und die USA in einem Zusatzprotokoll vom 2. Oktober 1996 fest. Zwei Sätze daraus würden für den UBS-Fall entscheidend. Der erste lautete: Die im Protokoll aufgezählten betrügerischen Handlungen seien «beispielhaft und nicht abschliessend». Der zweite: «Betrügerisches Verhalten» meine auch Taten, die im angefragten Staat von den Strafbehörden verfolgt würden.

Damit hatte Waldburger seinen Job für die UBS erfolgreich erledigt. Er hatte juristisch zweierlei aufgezeigt: Erstens braucht es für Amtshilfe an die USA nicht zwingend einen Betrug wie gefälschte Urkunden. Und wenn wegen Hinterziehung ermittelt würde, kommt zweitens Artikel 190 des direkten Bundessteuergesetzes zum Zug, welcher das Schweizer Bankgeheimnis ausser Kraft setzte.

Die Schweiz würde vor Gericht zwar Neuland betreten, hielt Waldburger in seinem Gutachten fest, weil Artikel 190 «bisher praktisch nie in Fällen von blossen Steuerhinterziehungen, sondern fast ausschliesslich in Fällen von Steuerbetrug ergriffen worden» sei. Trotzdem sollte der Passus nun für Hinterziehung herhalten. Und zwar im grossen Stil.

Entscheidendes Gutachten

Waldburger bestreitet, dass er mit seiner Arbeit primär der UBS gedient habe. «Ich bin unabhängig in meiner Gutachtertätigkeit, daran ändert das Mandat der UBS nichts», sagt er auf Anfrage. «Diese machte mir keinerlei Vorgaben bezüglich des Inhalts der Arbeitspapiere.»

An anderer Stelle wird die Bedeutung von Waldburgers Arbeit hingegen herausgestrichen. «Waldburgers Gutachten war ausführlicher als unsere eigenen Abklärungen und deshalb wichtig für uns», sagt Susanne Kuster, die rechte Hand von Justizamtsdirektor Michael Leupold. Kuster schränkt lediglich ein, dass es das Abkommen mit den USA «auch ohne dieses Gutachten gegeben» hätte.

Als Leupold den US-Chefbeamten Ogden am 9. Juli auf den Verhandlungsweg bringen konnte, hielt der Schweizer Spitzenbeamte das Gutachten von Steuerprofessor Waldburger bereits in der Hand. Damals sei eine «fast fertige Version» vorgelegen, bestätigt Susanne Kuster, um sie «rechtzeitig für die Verhandlungen mit den USA» zu nutzen.

Spitzenbeamte für Amtshilfe

Waldburger erkennt in der doppelten Verwendung seiner Arbeit kein Unabhängigkeitsproblem. «Mein Auftraggeber war die UBS, nicht der Bund», sagt er im Gespräch. «Wenn dieser meine Gutachten für die US-Verhandlungen nutzte, geht das für mich in Ordnung.» Tatsache bleibt aber, dass die unter Druck geratene UBS den langjährigen Spitzenbeamten für Amtshilfe verpflichtete. Und es war Waldburgers Argumentation, die der Regierung ermöglichte, Tausende von klassischen Steuerhinterziehern in Steuerkriminelle zu verwandeln. Schliesslich stellt sich gar die Frage, ob sich im Drama um die UBS selbst die helvetische Justiz an ein ungeschriebenes Drehbuch hält.

Am 5. März 2009 veröffentlichte die 1. Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls jenes Urteil, das Bern später erlaubte, das Bankgeheimnis für US-Kunden faktisch aufzuheben. Auf 71 Seiten hielten die fünf Richter fest, warum die Schweiz die Daten eines amerikanischen UBS-Kunden an den US-Fiskus überstellen dürfe, obwohl kein klassischer Steuerbetrug vorliege.

«Fishing expedition»

Zuerst prüften die Richter die Frage der «Fishing expedition», also das Sammeln von Informationen auf Vorrat, wozu ein Amtshilfegesuch ohne konkrete Namensnennung nach gängiger Lehrmeinung gehörte. Das sei ein Trugschluss, meinte das Bundesgericht. «Dass nämlich bei Kenntnis eines Namens dieser genannt werden muss, schliesst nicht aus, dass auch Rechtshilfeersuchen ohne Namensnennung möglich sein können.»

Danach schlugen die Richter jene Bresche in den Paragrafen-Dschungel, welche die spätere Mammut-Amtshilfe freimachen würde. Steuerhinterziehungen könnten «den gleichen Unrechtsgehalt wie ein Abgabebetrug» haben, beschlossen sie und verwiesen auf die «fortgesetzte Hinterziehung grosser Steuerbeträge» nach Artikel 190 des direkten Bundessteuergesetzes. Warum das Bundesverwaltungsgericht in seinem März-Urteil diese Rechtsbelehrung einflocht, leuchtet nicht ein. Die «schwere Steuerhinterziehung» war nämlich für den vorliegenden Fall unerheblich. Ausschlaggebend für die Bejahung von Amtshilfe waren vielmehr «Tatbestandselemente des Abgabebetruges». Die Frage der «schweren Steuerhinterziehung» stellte sich gar nicht.

Richter als Mithelfer

Für den Chefbeamten Leupold und seine Mitstreiter in der Causa UBS war der Exkurs der Bundesrichter aber Gold wert. Sie wussten damit nicht nur, dass Amtshilfe ohne Namensangabe möglich war. Sondern sie erhielten von den obersten Richtern auch den wertvollen Hinweis, dass sie mit «schwerer Steuerhinterziehung» nach Artikel 190 die Tür für Amtshilfe für Tausende von UBS-Kunden aufstossen könnten. Als sie am 19. August 2009 über 4000 Steuersünder kriminalisierten, um die Grossbank zu retten, konnten sie ihren US-Partnern glaubwürdig ver


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