Enttäuschte Liebe

Die Medtechfirma Synthes foutiert sich um die Bedürfnisse der Investoren nach mehr Transparenz. Nun zeigen die Anleger ihrem langjährigen Darling die kalte Schulter.

Daniel Jelovcan kennt Synthes aus dem Effeff. Seit Jahren studiert der Helvea-Analyst die Zahlen und Strategien des auf die Behandlung von Knochenbrüchen spezialisierten Imperiums. Vor vier Wochen sass Jelovcan im Vor­tragssaal der US-Synthes-Zentrale in West Chester, Pennsylvania, und spürte, dass ein Gewitter im Anzug war. Gespannte Stimmung im Saal.

Dabei begann der 28. September vielversprechend. Gemeinsam mit Grossinvestoren und Analysten freute sich Jelovcan auf das angekündigte Treffen mit Hansjörg Wyss. Das 72-jährige Urgestein des Schweizer Medtech-Wunders hat in jahrzehntelanger Kleinarbeit aus einem Schweizer Schlossereibetrieb einen Börsen- Highflyer mit einem Wert von 17 Milliarden Franken gezimmert. Nun wünschten die Zuhörer von Wyss Auskunft über jene Frage, die ihnen schon lange unter den Nägeln brennt: Wie wird Synthes nach der Ära Wyss aussehen?

Doch der Stuhl, auf dem Wyss sitzen sollte, blieb verwaist. Vorerst. Mr. President sei beim Zahnarzt, erklärte Synthes-CEO Michel Orsinger (50) und bat das Publikum um Verständnis. Der Stimmungspegel sank. Vor drei Jahren stiess Orsinger von Novartis zum Medtech-Unternehmen und geniesst seither wegen seiner unprätentiösen Art das Vertrauen der Investoren. Als Wyss schliesslich später doch noch aufkreuzte, war es mit der guten Stimmung vorbei. Ein Amerikaner stellte die Frage der Fragen. Wyss gab zur Antwort, schliesslich gehöre ihm das Unternehmen zu 51 Prozent. «You know what?», blaffte er. «I don’t care. When I’m dead, I’m dead.» So sei er halt, der Hansjörg Wyss, meint Jelovcan. Die Schweizer, die Wyss kennen, störten sich nicht an dessen kauziger Art. Hingegen brächten insbesondere die angelsächsischen Investoren für solch saloppe Antworten kaum Verständnis auf. Denn ihr Investment in die Firma sollte nicht von einem Klumpenrisiko Wyss abhängig sein.

Das Resultat der Fronten zwischen dem Schweizer und den Angelsachsen kann an der Börse beobachtet werden. Unmittelbar nach dem Meeting an der amerikanischen Ostküste schlitterte die Synthes-Aktie erstmals seit Monaten unter die Widerstandsgrenze von 130 Franken. Zwar erholte sich der Kurs kurz darauf, und als Synthes letzte Woche die Märkte mit einem soliden zweistelligen Umsatzwachstum für das dritte Quartal positiv überraschte, gehörte die Medtech-Aktie für einmal sogar zu den Tagessiegern. Doch das sind inzwischen Momente mit Seltenheitswert. Denn die Synthes-Aktie scheitert seit drei Jahren daran, die 150-Franken-Grenze deutlich hinter sich zu lassen.

Wyss erweckt nicht den Eindruck, dass ihn die anhaltend magere Performance an der Börse betrübte. «Take it or leave it», scheint das Motto zu lauten. Wer als In-vestor auf Synthes setzt, soll sich – bitte schön – über die steigenden Gewinne freuen, ansonsten aber aufs Maul sitzen.

So krass würde das Gilgian Eisner, Chef der Investor Relations von Synthes, nicht ausdrücken. Es spricht für ihn, dass er die Unzufriedenheit seiner Klientel, die sein Chef mit Hauruck-Auftritten verstört, nicht einfach vom Tisch wischt. «Wir hören die Kritik», sagt er nach kurzer Pause. «Ob und wie wir allenfalls reagieren, ist offen.» So richtig hinterfragen mag auch Eis­ner das Verhalten seiner Firma nicht. Lie­ber wirft er den Ball zurück an die Anle­ger, indem er berichtet, dass Kritik im Markt nur bei enttäuschendem Kursver­lauf laut werde. «Sonst», so Eisner, «stört unsere Informationspolitik weniger.»

Das stimmt. Synthes war lange eine Er­folgsstory sondergleichen, und dies hatte sie ihrem starken Mann Hansjörg Wyss zu verdanken. Der Berner aus einfachen Verhältnissen sorgte dafür, dass aus einer revolutionären Therapie einiger Ärzte ein Multi-Milliarden-Geschäft mit Wurzeln in der Schweiz entstand, das den Weltmarkt eroberte. Die neue Behandlung von Kno­chenbrüchen, die zur Heilung statt auf Schienen auf operativ implantierte Schrau­ben und Platten baut, hat der Schweiz eine Medtech-Industrie von globaler Bedeu­tung beschert.

Einer der Industriepartner, die im Auf­trag der Ärzte Implantate und Operations­werkzeuge in Lizenz herstellten und ver­trieben, war der junge Wyss. Während die Orthopäden forschten und operierten, er­oberte der Unternehmer mit der bulligen Figur den grössten Gesundheitsmarkt der Welt. Mit seinem Einsatz rund um die Uhr im US-Markt gelang es ihm, Stratec und Mathys, zwei andere Schweizer Li­zenznehmer, zu überrunden.
Der kommerzielle Erfolg in den USA brachte Wyss das nötige Geld und die Macht, um bei der Konsolidierung der Syn­thes-Produzenten als Sieger obenaus zu schwingen. Die Beharrlichkeit, seine grösste Stärke, machte sich bezahlt. Der einst mittellose Wyss zählt mit einem Ver­mögen von rund neun Milliarden Franken zu den reichsten Schweizern. Er gehört in die Liga von Ikea-Gründer Ingvar Kamprad und Microsoft-Pionier Bill Gates, die ihren Reichtum ebenso wie der Berner mit den eigenen Händen erschaffen haben.

Das Loslassen allerdings bereitet Wyss deutlich mehr Mühe. Operative Chefs gin­gen so schnell wieder, wie sie gekommen waren. Der Erste, der unter dem starken Wyss ein kurzes Gastspiel als Konzern­chef genoss, war Rudolf Maag. Als Stratec­Vorsitzender konnte er sich beim Schul­terschluss mit Synthes den CEO-Sessel si­chern. Doch kaum im Amt, machte er Hansjörg Wyss Platz und verliess wenig später das Unternehmen. Es folgte Roland Brönnimann, ein Ex-Roche-Manager, der wegen unstatthafter Preisabsprachen für Vitaminpräparate in den USA eine Ge­fängnissstrafe verbüsst hatte. 2003 zog Wyss Brönnimann aus dem operativen Geschäft ab und machte ihn zum Mitglied im Verwaltungsrat. Das kürzeste Gastspiel gab Erwin Lo­cher, der nach der Übernahme von Ma­thys im Februar 2004 die operative Lei­tung von Synthes übernahm. Nach sechs Wochen war er wieder weg.

Im Herbst 2004 stiess Michel Orsinger zum Konzern, und ihn hob Patron Wyss die­sen Frühling überraschend auf den CEO­-Schild. Der Versuch, sich über Nacht aufs VR-Präsidium zurückzuziehen, gelang Wyss aber bisher nur halb. Noch immer vergeht kein Tag, ohne dass der Grand Old Man ir­gendwo im weltweiten Synthes-Reich auf­taucht. «Wyss ist ein aktiver Präsident, der sich um grosse Innovationen, Investitions­entscheide, Rechtsstreitigkeiten und Ak­quisitionen kümmert», definiert Finanz­mann Gilgian Eisner den Part seines allge­genwärtigen Chefs.

Für ZKB- Analystin Sibylle Bischofber­ger ist die Rollenverteilung klar genug ge­regelt: «CEO Orsinger führt die Firma im Tagesgeschäft allein», sagt sie. «Und zwar hervorragend.» Andere zweifeln an Wyss’ Beteuerungen, das operative Steuer defi­nitiv aus den Händen gegeben zu haben. «Hat Hansjörg Wyss wirklich schon losge­lassen?», fragt Helvea-Analyst Daniel Je­lovcan. «Ich habe meine Zweifel.» Wie für seine US-Kollegen bleibt auch für Jelovcan die Frage, wie Synthes dereinst ohne Wyss aussehen könnte.


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