Ein Holländer wird neuer Nestlé-Chef

Paul Polman (51) soll Brabeck-Nachfolger beim Nahrungsmittelmulti werden. Die Börse freuts.

Die Würfel sind offenbar gefallen. «Paul Polman wird neuer CEO, das wurde zuoberst bereits bekannt», sagt ein Nestlé-Manager, der anonym bleiben will. Der Entscheid sei bei Polmans Kollegen und Mitbewerbern um den Spitzenjob auf Wohlwollen gestossen. Neid und Missgunst werde es nicht geben, weil Polman als integrativer, umgänglicher Typ gilt. Der Verwaltungsrat des Nahrungsmittelmultis mit Sitz in Vevey entscheidet definitiv am Donnerstag.

Der Holländer stiess erst vor zwei Jahren vom US-Markenartikler Procter&Gamble zum 100-Milliarden-Konzern. Dass der heutige Finanzchef das Rennen macht, gilt auch unter Analys-ten als ausgemacht. Polmans Wahl ist «sicher», sagt James Amoroso von Helvea, einer Investmentbank. Laut Patrik Schwendimann von der Zürcher Kantonalbank würden die Investoren den Entscheid begrüssen. «Er hat als CFO von Nestlé seit Anfang 2006 überzeugt.»

Nestlé erfreut sich zurzeit einer grossen Beliebtheit an der Börse. Als sich Polmans Berufung hinter den Kulissen abzeichnete, legten die Nestlé-Aktien nochmals zu. Die meisten Auguren rechnen mit weiter steigenden Kursen.

Offiziell wird der Entscheid für Polman als zukünftigen CEO nicht bestätigt. «Bei uns weiss niemand, wer neuer Chef wird», sagte Nestlé-Sprecher François Perroud auf Anfrage des «Sonntag». Polman tritt sein Amt laut Insidern im April 2008 an. Er ist 51 und setzte sich in einem 18-monatigen Nachfolgeprozess zuletzt gegen Amerika-Chef Paul Bulcke (53) durch. Dieser gehört mit 28 Dienstjahren zu den vielen alten Schlachtrössern zuoberst bei Nestlé. Doch der Entscheid fiel zugunsten eines Quereinsteigers. Polman, obwohl erst zwei Jahre bei Nestlé, begeisterte die Anleger kürzlich mit einem Aktienrückkaufsprogramm über 25 Milliarden Franken.

Der neue Chef dürfte Nestlé lange Zeit den Stempel aufdrücken. Denn das mit 200 Milliarden Franken Börsenbewertung wertvollste Schweizer Unternehmen wechselt seinen wichtigsten Kopf in der Regel selten aus. Der Österreicher Peter Brabeck kam 1997 ans Steuer, zuvor stand Helmut Maucher aus Deutschland während 16 Jahren auf der Kommandobrücke.

Polmans Sprung an die operative Spitze wäre «ein cleverer Schachzug» des abtretenden Peter Brabeck, meint der Verwaltungsrat einer Nestlé-Tochtergesellschaft. Im Frühling 2005 kritisierten Medien und Investoren den Österreicher, weil er VR-Präsident wurde, ohne den CEO-Job abzugeben. Brabeck hatte es verpasst, rechtzeitig einen geeigneten Nachfolger aufzubauen.

Mit Polman gelingt dem Strahlemann das Kunststück, einen von aussen kommenden Topshot als internen Nachfolger präsentieren zu können. Den Inves-toren signalisiert Brabeck damit Kontinuität, intern erhofft er sich vom Neuen Tempo und Veränderung. Polman, der jahrelang ausserhalb von Nestlé tätig war, kann «Bestehendes kritischer hinterfragen», sagt ZKB-Analyst Schwendimann. Das mache das Unternehmen «eine Spur aggressiver».

19 Jahre lang arbeitete Polman in einer amerikanischen Unternehmenskultur. Bei Procter&Gamble hatte der dreifache Familienvater verschiedene Chefpositionen in Finanzen und Marketing inne und war in Frankreich, Spanien und England tätig. Schon bei P&G wurden dem Holländer Chancen auf den Sprung an die Konzernspitze eingeräumt. Empfohlen hatte er sich ab 2001, als er das 15 Milliarden Dollar schwere Europageschäft mit Weltmarken von Pringels bis Bounty vorantrieb.

Im Frühling 2005 überraschte Polman seine Chefs und die Finanzwelt mit seiner Kündigung, einige Wochen später gab Nestlé dessen Verpflichtung als neuer Finanzchef bekannt. Warum er seinen langjährigen US-Arbeitgeber verliess, begründete er letzten Dezember im Magazin «Facts». «Wenn man gegen 50 geht, fragt man sich, was man noch anpacken kann», sagte Polman. Als ihm Peter Brabeck, «einer der besten CEOs der Welt», die CFO-Stelle offerierte, habe er dies als «grosse Ehre» empfunden.

Worte wie «Ehre» und «Chance» wirken bescheiden. Offenbar sind sie keine billige Masche. «Polman tritt nicht nur sehr menschlich auf, sondern kann auch zuhören», sagt Helvea-Analyst James Amoroso. Und ein Nestlé-Manager erzählt, wie Polmans Kollegen von dessen Neugier und Unvoreingenommenheit schwärmen würden.

Ins Auge sticht die Internationalität des zukünftigen Nestlé-Chefs. Nach dem Wirtschaftsstudium in Holland machte er ein Nachdiplomstudium in den USA und erwarb in England einen Doktortitel in Zivilrecht. Auffällig ist, wie Polman überall dort die Landessprache lernte, wo er längere Zeit tätig war. So spricht er heute neben Holländisch auch Französisch, Englisch, Deutsch und Spanisch. Zahlenmässig kann sich Polman ins gemachte Nest setzen. Im ersten Halbjahr steigerte der Multi den Umsatz von 47 Milliarden auf 51 Milliarden Franken, der Gewinn erhöhte sich in den ersten sechs Monaten überproportional auf 5,3 Milliarden.

Doch trotz dem stolzen Ergebnis muss Polman den 141-jährigen Grosskonzern an mehreren Orten fit trimmen. Vor allem im traditionellen Nahrungsmittelgeschäft verlieren die Schweizer teilweise an Terrain. Bei den Milchprodukten gibt heute die französische Danone mit ihrem Erfolg bei den Vitamindrinks den Takt an, und im Schokoladegeschäft ist Nestlé allein dank ihrer globalen Präsenz Nummer eins. In wichtigen Märkten wie England und den USA, aber auch im Heimmarkt Schweiz schaffen es die Eidgenossen oft nicht unter die ersten drei. Zweitens muss Polman den Umbau vom Ernährungs- zum Wellness-Konzern vorantreiben. Vielerorts ist der Plan Vision geblieben.

Der Weg für den ambitionierten Marathonläufer Polman ist noch weit. Doch man kann ihm zutrauen, dereinst als Sieger anzukommen.


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