Die Corti-Spiele von Bülach

Es ist Halbzeit im Swissair-Prozess, und Mario Corti liegt nach Punkten klar vorn. Niemand war bisher glaubwürdiger, rhetorisch brillanter und besser dokumentiert als der gescheiterte Airlinekapitän. Ein kurzer Rückblick.

Der bisherige Höhepunkt des Monsterprozesses fand letzten Dienstag statt. Mario Corti, der tragische Held der abgestürzten Swissair, schilderte die dramatischen Tage vor dem Grounding aus seiner Sicht. Als der Präsident des Strafgerichts wissen wollte, ob Corti zuletzt überhaupt noch über Kredite verhandeln konnte, antwortete dieser mit einem Satz, der als einer jener magischen Corti-Momente in die Annalen eingehen dürfte, die das Publikum im grossen Stadtsaal von Bülach verzücken und Heerscharen von Journalisten zu Coverstorys animieren. «Zum Beispiel», sagte Corti, «wurden ausführliche Gespräche mit der Deutschen Bank geführt, mit der Credit Suisse, mit der Citibank.» Kurze Pause, dann setzte er staubtrocken hinzu: «Mit einer Bank gab es weniger Gespräche.»

Der CEO der Herzen

Schallendes Gelächter in den Rängen, selbst das Richtertrio auf dem Podium konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen – ein seltenes Ereignis in einem Strafprozess. Selbstverständlich wusste jedermann, wen Corti mit dem Seitenhieb gemeint hatte. Dass er die UBS nicht namentlich nannte und stattdessen in seiner unnachahmlichen, sarkastischen Art gegen den mächtigen Bankenboss Marcel Ospel stichelte, macht ihn zum Sympathieträger. Hier steht ein Mensch aus Fleisch und Blut vor den Schranken des Gerichts, der um seine Ehre kämpft – mit einer Leidenschaft und einem Schalk, die man einem, der einst zur wirtschaftlichen Topelite des Landes zählte, niemals zugetraut hätte.

So vollzieht sich in aller Öffentlichkeit Erstaunliches, ja Unglaubliches. Mario Corti wird zum CEO der Herzen. Mag sein, dass der letzte Swissair-Chef, der in den ruhigen Gewässern des Nestlé-Konzerns aufgestiegen war, kein begnadeter Sanierer war; vielleicht hatte der Manager in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, zu lange doziert und diskutiert, statt das scharfe Messer zu zücken. Doch eines bezweifelt nach der dritten von sieben Prozesswochen niemand mehr: dass Mario Corti ein zutiefst ehrlicher Mensch ist, der nur Gutes wollte.

Der kämpfende Ehrenmann

Wäre es allein sein humoristisches Talent, das einen für den Gestrauchelten einnehmen lässt, dann wäre der Effekt von kurzer Dauer. Doch beim 59-jährigen Zwangspensionär, der zurzeit in einem Minizimmer in einem Stadtzürcher Hotel nächtigt, stimmen Auftritt und Argumentation überein. So kämpferisch Corti gegen die Väter des «Phoenix»-Plans zur Herauslösung der damaligen Crossair Klage erhebt, so begründet ist seine Sichtweise. Mit jedem Griff in einen der zwölf mitgeschleppten gelben Bundesordner zaubert Corti ein neues Puzzlestück hervor, bis man seiner Geschichte eines gegen dunkle Mächte kämpfenden Ehrenmannes glaubt.

Mit dem Anführer dieser Gegner, dem Chef jener «ziemlich grossen Bank», habe er ein ausführliches Gespräch geführt, bevor er sein Amt im Frühling 2001 angetreten habe, sagte Corti. Ospels Bedingungen für einen neuen Kredit hätten damals gelautet: sanieren, Tochtergesellschaften verkaufen, den Finanzchef auswechseln. Das sei «kein Problem» für ihn gewesen, sagte Corti und fuhr fort: «Vier Tage später eröffnete mir Herr Ospel, dass seine Bank bei einem neuen Kredit nicht mitmachen würde. Hätte ich das gewusst, dann hätte ich mich möglicherweise anders entschieden.»

Ungeheuerliche Sätze

Solche Schilderungen aus einer meist verborgenen Welt der Firmenhinterzimmer machen den Swissair-Prozess zum historischen Ereignis und Corti zur überragenden Figur, die scheinbar Ungeheuerliches behaupten kann. So auch jene Ansicht, dass das Ende der Swissair selbst nach den Terroranschlägen vom 11.September 2001 keineswegs unabwendbar gewesen sei. Milliardenschulden taufte Corti in seiner Befragung kurzerhand in eine «Gefahr einer Zahlungsstockung» um, der man mit den nötigen Mitteln zu begegnen hatte.

«Das funktioniert immer nach dem gleichen Schema», sprach der Doktor der Lüfte leichter Hand, als ob die damalige Krise auch eine grosse Chance gewesen sei. «Der Bund gibt eine Garantie, die Nationalbank schiesst Liquidität vor, und wenn dann später die Umstrukturierung der Banken stattfindet, wird der Kredit zurückbezahlt und die Garantie erlischt.» Noch immer könne er nicht verstehen, dass «die Mächte, die am 29. September das Zepter übernommen hatten, das nicht gesehen hatten», sagte Corti.

Dadurch sei nicht ein Schaden von 177 Millionen Franken entstanden, wie ihm die klagende Staatsanwaltschaft vorwerfe, sondern einer von 17 Milliarden. Als die Schweiz den Fehler bemerkt habe, hätte sie über 4 Milliarden in eine neue Gesellschaft gepumpt, deren Wert rasch auf 72 Millionen geschrumpft sei. «Das ist der Preis, zu dem die Firma unter dem originellen Namen Swiss an die Lufthansa verkauft wurde», so Corti.

17 plus 4 Milliarden versus eine Bundesgarantie von 1, lautet seine Bilanz, die man nicht so leicht vom Tisch wischen kann. Ins Bild passt jedenfalls die nervöse Reaktion der angeschossenen UBS. Letzte Woche sagte Marcel Ospel der «SonntagsZeitung», er fände es «peinlich», wenn ihm «Herr Corti» Wortbruch unterstelle. Der Bankenboss entpuppt sich als hartherziger Topshot, der im Kreis der Wirtschaftsführer König sein mag. Gewinner beim Volk aber ist unbestritten Corti, dieser CEO der Herzen.


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