Die Bank der Heuschrecken

Vom biederen Staatsinstitut zur Dirigentin feindlicher Übernahmen. Nach dem Imagekollaps sucht die Zürcher Kantonalbank ihren Weg in die Zukunft: mit mehr Risikomanagement, starker Konfliktkultur und einem rigorosen Umbau.

Es hat empfindlich abgekühlt. Urs Oberholzer knöpft seine Jacke bis oben zu, als er sich an diesem Dienstag, 15. Mai, zur Schwanengasse 12 in Bern begibt. Seine Miene bleibt auch im windgeschützten Flur düster. Sie haben es mit Absicht gemacht, diese Lumpen, schiesst es dem Präsidenten der Zürcher Kantonalbank (ZKB) durch den Kopf. Oberholzer liest das Schild an der Tür: Eidgenössische Bankenkommission (EBK). Die Aufsichtsstelle des Finanzplatzes Schweiz.

Aus dem ruhenden Pol ist ein Vulkan geworden, Wut und Enttäuschung schütteln den 63-jährigen Hünen. Hinter seinem Rücken verwandelten sich ZKB-Händler in ausgebuffte Dealer, deren Kontrolle versagte. Selbst Sulzer als langjährige ZKB-Kundin wollten Oberholzers smarte Derivathändler nicht als No-Go-Zone akzeptieren. Wenn schon russische und österreichische Milliardäre unsere Industrie in die Knie zwängen, solle sich wenigstens die dem Allgemeinwohl verpflichtete ZKB heraushalten, empörten sich Kunden und Öffentlichkeit.

Fast schon wie ein Schuljunge, der beim Schummeln ertappt wurde und nun zerknirscht Besserung gelobt, sitzt der gross gewachsene ZKB-Präsident vor dem Chefbeamten. Dabei wirkt Daniel Zuberbühler, seit Menschengedenken EBK-Direktor, mit seinem Bart und den grossen Augen wie ein milder Oberlehrer. Doch in der Szene ist bekannt, dass sich hinter Zuberbühlers freundlicher Miene ein scharfzahniger Hund verbirgt, der ziemlich unangenehm werden kann. Wenn Oberholzer jetzt keinen überzeugenden Weg aus der Krise aufzeigt und diesen nicht schnell einschlägt, ist auch er bald nur noch eine Fussnote dieser irrwitzigen Geschichte. Wie CEO Hans Vögeli; wie Generaldirektor Hans Fischer; wie Markus Hofmann, der Chef der ZKB-Händler. Allesamt mussten sie in den letzten Wochen unrühmlich abtreten.

Oberholzer spricht. Ausführlich, offen, umfassend. Etwas anderes bleibt ihm gar nicht übrig. Der Reputationsschaden ist immens, die Glaubwürdigkeit der ZKB hat gelitten. Hausbank von Sulzer, gleichzeitig Helfershelferin klandestiner Angreifer? Der Plot reisst den alten Graben ­ hier Finanzwelt, dort heimische Industrie ­ wieder auf. «Die Bank, so scheint es heute, hat mitgeholfen, gegen den Geist der Offenlegungsvorschriften zu verstossen», sagt Martin Janssen, Finanzmarktprofessor an der Universität Zürich. Sulzer-Chef Ulf Berg pocht auf Remedur. Bereits hat er bei Finanzchef Hans-Rudolf Merz in Bern vorgesprochen und ihm den Fall Sulzer/ZKB erläutert.

Eine renommierte Schweizer Bank, die einen jahrzehntelangen Kunden ins Messer laufen lässt. Es stellt sich die Gewährsfrage: Können die ZKB-Chefs noch garantieren, dass ihr Institut einwandfrei geführt wird? Dass das Risikomanagement greift und Interessenkonflikte ausgeräumt werden? Wären die Köpfe der operativen Chefs nicht bereits gerollt, käme Oberaufseher Zuberbühler wohl zu einer negativen Antwort.

So weit kommt es vorerst nicht. «Herr Zuberbühler begrüsste unsere Offenheit», berichtet der ZKB-Präsident von seinem Gang nach Canossa. Er selber habe das Treffen initiiert, um die Aufsichtsstelle aus erster Hand zu informieren. Dass Oberholzer sonst in die Hauptstadt zitiert worden wäre, dürfte ihm bewusst sein. Er weiss auch: Hätte die EBK den Eindruck, den ZKB-Granden wäre nicht an lückenloser Aufklärung und interner Korrektur gelegen, drohte der Bank die grosse Zerlegung, genannt Sonderprüfung. Ein ausgewachsenes Expertenteam einer externen Revisionsfirma nähme Kontrollsysteme, Risikoreports, Telefonaufzeichnungen und Arbeitsabläufe unter die Lupe und würde der eidgenössischen Aufsicht Empfehlungen abgeben. Eine millionenteure Sache ­ und ziemlich schlecht für die Reputation. Und: Ende Juni muss sich Oberholzers Bankrat im Kantonsrat der Wiederwahl stellen.

Um den Worst Case zu verhindern, hat sich der frühere Versicherungsmanager, Oberst und gut vernetzte SVP-Mann Rat geholt. Bei Freunden, bei Spezialisten, bei Mitarbeitern. Und diese mahnten: Geh zur EBK, bevor sie dich holt. Ein weiser Entschluss. «Die Gefahr haben wir gebannt, jetzt müssen wir die Chance nutzen», sagt der ZKB-Präsident.

Vorgängig muss Oberholzer die Trümmer wegschaffen. Über die letzten Jahre hat sich sein einst biederes Staatsinstitut an die Spitze des Derivathandels katapultiert ­ ein Markt hochkomplexer, intransparenter Finanzinstrumente, der für die Banken viel lukrativer ist als das traditionelle Geschäft mit Aktien. So schnellte der ZKB-Handelsertrag von mickrigen 8 Millionen Franken im Jahr 2001 auf phänomenale 458 Millionen im letzten Jahr hoch, davon rund die Hälfte aus Erträgen von Optionen und anderen strukturierten Produkten. Allein die Jagd auf die Industriekonzerne Oerlikon/Unaxis und Saurer dürfte der Bank einen Profit von 80 Millionen Franken gebracht haben. Zeitweilig hielt die Zürcher Kantonalbank 20 Prozent am Milliardenkonzern Unaxis.

Dass der Höhenflug abrupt abbricht, kommt für ZKB-Kenner nicht überraschend. Als Oerlikon, Saurer, Ascom, Sulzer oder der Rückversicherer Converium angegriffen wurden ­ stets half die ZKB mit, Stimmrechtspakete zu schnüren. Sogar die Bank Vontobel, seit langem berühmt für ihre massgeschneiderten Optionsvehikel, hielt sich stärker zurück, die UBS glänzte gar weitgehend durch Abwesenheit. «Denen war das Risiko, sich mit den zweifelhaften Raidern ins Bett zu legen, viel zu hoch», sagt ein Zürcher Bankier. Professor Janssen vermutet, dass die ZKB viel mehr risikiert hat, als bisher bekannt geworden ist. Wie sonst sei zu erklären, dass Grossbanken und andere Optionenhändler sich nicht auch eine Scheibe von den «risikolosen Gewinnen abgeschnitten» hätten.

So wurde der Handel, einst als krisensichere Diversifikation gedacht, zur Hypothek. Der Markenindex der ZKB, der im Jahrestakt Ruf und Vertrauen in der Öffentlichkeit misst, stand 2003 bei 68 Punkten. Letztes Jahr fiel er ­ trotz Rekordergebnis ­ auf den Tiefststand von 63 Punkten. Und damit ausserhalb des Zielbandes, das der Bankrat, der Verwaltungsrat der ZKB, dem Management vorgibt. Leicht auszumalen, dass die Sulzer-Affäre weiter auf die Reputation drückt.

Begonnen hatte der Ausflug ins Eldorado der neuen Finanzprodukte Mitte der neunziger Jahre. Damals litt die ZKB, traditionell stark im Spar- und Hypothekengeschäft, unter kleinen Gewinnmargen und hohen Abschreibern auf faulen Immobilienkrediten. Das rief die Politiker auf den Plan, die von ihrem Institut höhere Dividenden forderten, um den eigenen Haushalt zu sanieren. Der damalige ZKB-Chef Paul Hasenfratz, ein ehemaliger Banklehrling aus dem Zürcher Arbeitervorort Schwamendingen, suchte nach alternativen Einnahmequellen.

Da traf es sich gut, dass beim grossen Nachbarn wenige Meter vom ZKB-Hauptsitz entfernt kein Stein auf dem anderen blieb. Nach ihrer Grossfusion legte die UBS ihre Handelsteams zusammen, es herrschten Chaos, Missgunst und ein Kommen und Gehen. Die ZKB, die im Ruf eines rückständigen Ladens stand, wurde ohne eigenes Zutun zu einer interessanten Alternative für Topleute der UBS, denen früher ein Wechsel dorthin nicht im Traum in den Sinn gekommen wäre.

Es war Eugen Brenner, der die Gunst der Stunde nutzte. Der Handelschef der ZKB, der einst von der UBS zur Kantonalbank gestossen war, landete 1998 einen Coup. Brenner konnte der Grossbank eine Crew hoch spezialisierter Derivatprofis abluchsen, welche die ZKB zur Referenz für den Schweizer Optionenhandel machen sollte. «Ich fand, ein Versuch würde sich lohnen, und gab grünes Licht», erinnert sich Ex-ZKB-Chef Paul Hasenfratz, der Brenners Wunsch absegnen musste. Damals sei es um «normale Options- und Warrant-Geschäfte» gegangen, sagt Hasenfratz. «Es gab keine Probleme.»

In der neuen Abteilung fanden zwei knapp 30-jährige zueinander, welche die Finanzanstalt in ein modernes Powerhaus der Derivate verwandelten und ihr einen Hochleistungsmotor einbauten. Der eine Händler war Simon Biner, ein Verkaufstalent mit eigener Hotelbeteiligung in seiner Heimat Zermatt, der andere Luigi Vignola, ein Zahlengenie, das komplizierteste Formeln auswendig weiss. Biner hatte das Ohr nah am Markt und wusste, welche Produkte gewünscht waren, Vignola stellte sicher, dass die Optionen im richtigen Moment zum richtigen Preis zur Verfügung standen. Er war das Hirn, Biner der Vermarkter.

Das Duo brauchte nicht lange, um die Vorgesetzten mit ihren Erfolgen zu elektrisieren. Biners Team habe sowohl neue Produkte kreiert als auch deren Überwachung sichergestellt, versichert Jürg Schwarz im Rückblick. Schwarz, damals Chef des Investment Banking, trug die Verantwortung für das Derivatteam. «Wir hatten die Risiken immer im Griff», behauptet der Ex-Banker heute, «jedenfalls hörten wir nie etwas von der EBK.»

Mitte 1999 folgte jene Weichenstellung, die sich als fatal herausstellen sollte. Die Zürcher Kantonalbank bestimmte nicht den im Markt renommierten Eugen Brenner zum Schwarz-Nachfolger, sondern machte mit Hans Fischer einen Externen zum neuen Investment-Banking-Chef. Fischer, 53 Jahre alt und in der UBS-Tochter Cantrade karrieremässig aufgelaufen, habe «den breiteren Rucksack und mehr Erfahrung» gehabt als Brenner, rechtfertigt Hasenfratz seinen Entscheid. Während der übergangene Brenner den Bettel hinschmiss und heute bei Vontobel arbeitet, wurde Fischer vor wenigen Wochen als Hauptverantwortlicher des Derivatdebakels gefeuert.

Während sich die frisch verpflichteten ZKB-Händler aufmachten, von ihren hochmodernen Arbeitsstationen aus die riskante Derivatewelt zu erobern, brüteten ein paar Theoretiker in einer Aussenstelle im Zürcher Vorort Dübendorf über den Aufbau adäquater Überwachungssysteme. Ihrer Arbeit kam entscheidende Bedeutung zu. Nur wenn jederzeit abschätzbar war, wie gross die Risiken aus den Derivatprodukten für die Bank waren, konnten böse Überraschungen vermieden werden. Nötig war neben theoretischem Know-how vor allem Erfahrung in der Praxis.

Diese kennt der oberste ZKB-Risikomanager Philipp Halbherr nur vom Hörensagen. Der Doktor der Volkswirtschaft mit Abschluss an der Universität Zürich, von wo er Ende der achtziger Jahre zur volkswirtschaftlichen Abteilung der Kantonalbank stiess, gilt als hochkarätiger Wissenschaftler, nicht aber als Kenner der Handelswelt. Trotzdem wurde ihm Mitte der neunziger Jahre die Verantwortung für das Risk Controlling übertragen. Es war die Zeit der McKinsey-Restrukturierungsprogramme Fit 1 und Fit 2, als gewisse Karrieren begannen und andere zu Ende gingen. Jene von Halbherr setzte zum Steigflug an und endete 2005 auf dem Stuhl des mächtigen Finanzchefs der ZKB.

Finanzmarktprofessoren wie Martin Janssen oder Hans Geiger kennen Halbherr von der Universität her und äussern sich begeistert über dessen intellektuelle Fähigkeiten. Einstige Mitarbeiter kommen hingegen zu einem anderen Urteil. «Er dozierte lieber über ausgeklügelte Überwachungssysteme, von der die ZKB weit entfernt war, anstatt sich um konkrete Probleme zu kümmern», sagt ein ehemaliger ZKB-Manager. Da ihm intellektuell niemand das Wasser reichen konnte, stieg Halbherr zum starken Mann in der Bankenhierarchie auf und beeindruckte CEO Hasenfratz und andere ZKB-Topmanager, allesamt mit leichterem akademischem Rucksack. Diese liessen zu, dass sich Halbherrs Weggefährten an die Schalthebel des Handelsgeschäfts setzten, wo sie plötzlich nicht mehr trockene Buchstaben und Zahlen zu meistern hatten, sondern die Realität.

Einer war Markus Hofmann. Wie Halbherr stiess auch er direkt von der Universität Zürich zur ZKB und landete in der Abteilung seines Ziehvaters, wo er sich um die Risiken im Handelsgeschäft kümmerte. Obwohl gänzlich ohne praktische Erfahrung, wurde Hofmann 1998 Chef des Zinsgeschäfts und nur ein Jahr später Nachfolger von Brenner als Handelschef. Erstaunt rieben sich die Zürcher Börsianer die Augen ­ Hofmann who? Der junge Ökonom, der nie eine andere Bank kennen gelernt und sein Wissen fast nur aus dem Hörsaal hatte, musste plötzlich ausgebuffte Händler führen, denen es zuvorderst um eines ging: möglichst viel zu risikieren, um für sich und die Bank reiche Ernte einzufahren.

Für Hofmann folgten sieben gute Jahre. Er sonnte sich im Erfolg seiner Derivathändler. Immer öfters sprach der smarte Handelschef direkt im ausladenden Büro von CEO Vögeli im vierten Stock der Bankzentrale vor, derweil dieser Hofmanns direkten Vorgesetzten ­ GL-Kollege Hans Fischer ­ aussen vor liess. Dergestalt protegiert vom Konzernchef, genoss der ZKB-Handel weit reichende Freiheiten. Ins Bild passt, dass das Anreizsystem letzten Frühling massiv erhöht wurde. Statt wie bis dato fünf Prozent kassierten die Händler ab Frühling 2006 neu neun Prozent vom Nettogewinn.

Dann kam Hofmanns Ende. Seine Absetzung «mit sofortiger Wirkung» war der Bank am 7. Mai gerade noch einen Satz wert. Wie sein Chef, Investment-Banking-Leiter Hans Fischer, stolperte auch der einstige Shooting Star über die Unfähigkeit, smarte Händler an die kurze Leine zu nehmen. Aber auch bei seinem einstigen Vorgesetzten, Finanzchef Philipp Halbherr, regte sich erstaunlich wenig auf dem Radarschirm. Während die Derivathändler eine riesige Aktienposition von über acht Prozent an Sulzer aufbauten, diese dann zwecks Umgehung der Fünf-Prozent-Meldehürde halbierten und die eine Hälfte an die Kantonalbanken-Fondsgesellschaft Swisscanto weiterreichten, schwante dem Finanzchef und obersten Risk Controller nichts Böses.

Das Vorgehen der Händler sei «ein absoluter Klassiker», sagt der Risikomanager einer Schweizer Bank. Zu behaupten, man habe das arglistige Treiben der Händler nicht durchschauen können, sei lächerlich. Nun rächte sich die enge Liaison zwischen Finanzchef Halbherr und seinem Zögling Hofmann. Beide sind Theoretiker, sprechen die gleiche, formalistische Sprache, vertrauen einander blind. Während sich Handelschef Hofmann von seinen Händlern hinters Licht führen liess, versagte die Kontrolle in Halbherrs zentralem Risk Management.

Trotz dem Fiasko soll ausgerechnet ein weiterer Halbherr-Mann für Remedur sorgen. Martin Sieg, auch er Ökonom aus der Zürcher Universitätsschmiede und ebenfalls nie im Handel einer anderen Bank tätig, wird neuer Investment-Banking-Chef und nimmt Einsitz in der ZKB-Konzernleitung. Sieg leitete eine Zeit lang den Aktienhandel unter seinem Kollegen Hofmann, den er aus gemeinsamer Tätigkeit im zentralen Risk Management kannte. Danach war Sieg sowohl Treasury-Chef bei Halbherr als auch Asset-Management-Vorgesetzter im Investment Banking ­ nur ein Beispiel einer Doppelfunktion, wie sie bei der ZKB üblich sind.

Finanzchef Halbherr, Handelschef Hofmann und Treasurer Sieg sind zentrale Figuren im Fall der ZKB. Sie sind persönlich miteinander verbandelt und kennen das Risk Management hauptsächlich aus der Theorie. Drei Akademiker, denen es nicht gelang, den fintenreichen Händlern Grenzen zu setzen. Einer ­ Hofmann ­ musste inzwischen von Bord gehen, die beiden anderen gehen gestärkt aus der Krise hervor. Sowohl Finanzchef Halbherr als auch sein Ex-Zögling und neuer Investment-Banking-Chef Sieg sitzen in der achtköpfigen Task Force, die den Gründen für das mangelhafte Risk Controlling nachgeht. Laut einem Bankensprecher hätten «die Besten der Besten» Einsitz in der Gruppe genommen.

Der bisherige Verlauf der Geschichte lässt anderes vermuten. Sowohl Halbherr als auch Sieg dürften die Pragmatiker im Krisenstab mit ihrer akademischen Intelligenz an die Wand reden. Statt dass ihre Rolle unter die Lupe genommen würde, dürften sie ihr Tun schönreden. Laut ZKB-Präsident Oberholzer ist das Risikomanagement zwar «zentrales Thema der Untersuchung». Und: «Wer wusste was, wer hätte einschreiten müssen?» Seine Strategie ist klar: «Ich will die Gründe für das Versagen kennen, veranstalte aber keine Kopfjagd.» Nach dem Exodus soll es aber keine weiteren Entlassungen geben. Immerhin setzte sich Oberholzer selbst ebenfalls in die Arbeitsgruppe, ein Zeichen dafür, dass der Präsident sämtlichen ZKB-Kadern gegenüber skeptisch geworden ist. «CEO Vögeli wurde im Fall Sulzer nicht offen und vollständig informiert. Das soll mir nicht passieren.»

AG statt Anstalt

ZKB-Präsident Oberholzer plant bei der ZKB die Revolution.

Just die grösste Krise ihrer 137-jährigen Geschichte könnte der Zürcher Kantonalbank ein modernes Kleid bescheren. Aus Bankenkreisen ist zu vernehmen, Präsident Urs Oberholzer plane einen spektakulären Umbau:

­ Die ZKB ist heute eine öffentlich-rechtliche Anstalt, ausgestattet mit einer Staatsgarantie und einem formidablen Triple-A-Rating. Das Dotationskapital stammt vom Kanton. Die Bank soll nun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden ­ weiterhin mit Staatsgarantie.

­ Die Bank ist steuerbefreit, sie liefert alljährlich einen stattlichen Gewinnanteil an Kanton und Gemeinden ab. Die Steuerbefreiung würde aufgehoben, die Gewinnablieferung reduziert.

­ Das Präsidium der Bank besteht aus drei vollamtlichen Mitgliedern ­ politisch zusammengesetzt. Künftig soll die Bank von einem Vollzeitpräsidenten geführt werden. Die 100-Prozent-Pensen der beiden Vizepräsidenten würden abgeschafft und durch Teilzeitaufgaben ersetzt.

Was nach Formalie aussieht, wäre im Kanton eine Revolution. Das Ende als Anstalt und der Neuanfang als Aktiengesellschaft sind ein erster Schritt in Richtung (Teil-)Privatisierung.

Urs Oberholzer setze zum grossen Schnitt an, sobald Ende Juni der Bankrat durch den Zürcher Kantonsrat wiedergewählt sei, sagen Beobachter. Bereits hätten wichtige Parlamentarier Zustimmung für eine Umwandlung in eine AG signalisiert. Zukunftsmusik bleibt wohl die Teilprivatisierung, mit einem Abbau des Kantonsanteils am Aktienkapital auf 34 Prozent. Andere Kantonalbanken wie die Luzerner oder die St. Galler gingen diesen radikaleren Weg. Somit haben die Zürcher Steuerzahler weiterhin viel Geld im Klumpenrisiko Kantonalbank investiert.

Lieber aushorchen als reden

Nach der Ära Vögeli ist Handlungsbedarf angezeigt: Die Gesprächskultur muss dringend verbessert werden.

ZKB-Präsident Urs Oberholzer muss die Checks and Balances auf der Führungsetage der Bank neu adjustieren. Sein CEO Hans Felix Vögeli sah sich als Leader, der niemand neben sich duldete. Die Streitereien mit dem Bankrat (Verwaltungsrat) sind legendär, das Misstrauen gross. Als BILANZ vor einem Jahr eine ZKB-Recherche publizierte («Es wird ungemütlich»), liess Vögeli Telefon und Fax der ZKB-Bankrätin Liselotte Illi unter die Lupe nehmen ­ weil er sie als Informantin in Verdacht hatte. Das Du, mit dem man ehedem im Bankrat verkehrte, hatte er Illi Wochen zuvor an einer turbulenten Sitzung entzogen.

Hans Vögelis Schnüffelaktion verlief ­ nicht überraschend ­ im Sand. Bemerkenswert immerhin: Liselotte Illi ist als Vizepräsidentin das übergeordnete Organ, das eigentlich Vögeli und seine Truppe kontrollieren sollte. Doch derlei hierarchische Petitessen kümmerten ihn offenbar wenig.

Zu einem Neuanfang gehört auch, dass Präsident Oberholzer die Geschäftsleitung (GL) neu aufstartet und zu einem Team formt. GL-Kollege Charles Stettler, zuständig fürs Firmenkundengeschäft, war von Vögeli vor Monaten aufs Abstellgleis geschoben worden. Nach dem Sulzer-Debakel hat Stettler ein gröberes Glaubwürdigkeits- problem. Mit GL-Kollege Hans Fischer war der CEO von Anfang an übers Kreuz. In diesem Klima des Misstrauens und der Ohnmacht auf der obersten Führungsetage konnte keine Kultur der offenen Diskussion gedeihen.

Wie sehr sie aus dem Lot war, zeigte sich, als Vögeli vor zwei Jahren den Plan hegte, beim Flughafen Zürich Kloten ein Fussballstadion mit 30 000 Sitzplätzen zu finanzieren. Investitionsvolumen: gegen 130 Millionen Franken. Im VBS zu Bern hatte der geschniegelte Generalstabsoberst mit 1720 Diensttagen bereits über einen Landverkauf vorsondiert. In der Geschäftsleitung stiess der euphorische Planer auf keinen Widerspruch, wiewohl eine saftige Grünfläche für mittelmässige Kicker kaum zum Kerngeschäft oder zum Leistungsauftrag einer Staatsbank gehört. «Die gesamte Geschäftsleitung winkte das Geschäft widerspruchslos durch», erinnert sich ein Beteiligter. Es war schliesslich der Bankrat, der Vögeli in die Kabine zurückbeorderte.

Es passte bestens ins Bild dieser dysfunktionalen Führungscrew, dass ZKB-Chef Hans Vögeli von seinem GL-Kollegen Fischer erst nach einem Treffen mit der Sulzer-Führung ­ auf der Autobahn zwischen Winterthur und Zürich ­ über den Umfang der tatsächlichen Derivatgeschäfte mit Sulzer-Aktien informiert wurde. Minuten vorher waren Vögeli und Sulzer-Chef Ulf Berg in einer heftigen Diskussion aneinandergeraten. Berg insistierte, die ZKB hantiere klandestin mit Derivaten auf Sulzer-Titel. Vögeli hielt dagegen und versicherte, es sei zwar viel Bewegung im Markt, doch die ZKB, Hausbank des Winterthurer Industriekonzerns, halte sich ­ das sei doch Ehrensache ­ vornehm zurück. Er selber, verkündete Vögeli, habe schliesslich intern die Devise ausgegeben, die «Finger von Sulzer zu lassen». Vögelis Begleiter beim Firmenbesuch, Generaldirektor Hans Fischer, blieb im Sulzer-Sitzungszimmer stumm, erst später, im Fond der Firmenlimousine, packte er aus. Dieser Tag, der 8. Januar 2007, war die Klimax einer unheilvollen Feindschaft ­ und der Anfang einer schwer erschütterten Geschäftsbeziehung. Hier, in der Schweizer Industrie, muss Oberholzer wieder Vertrauen und Glaubwürdigkeit herstellen.

Ins Auge stechen auch interne Fehlkonstruktionen. Dass Geschäftsleitungs-Mitglied Fischer das Asset Management, das Investment Banking und das Private Banking führte, war ein Klumpenrisiko und alles andere als zeitgemäss. Hans Vögeli war diese Machtballung längst ein Dorn im Auge, auch weil er und manche andere in der Bank überzeugt waren, dass Fischer hoffnungslos überfordert wäre und das Derivatgeschäft nicht durchschaute. Doch eine Aufteilung, die potenzielle Interessenkonflikte ausräumt, hat Vögeli ­ trotz seinem absoluten Machtanspruch ­ in seiner fünfjährigen Amtszeit nie durchgesetzt.

Erstaunlich auch, dass im Firmenkundengeschäft gleich noch das entsprechende Risikomanagement angesiedelt ist. Das heisst, eine klare Trennung von Risk Management und Verkaufsfront gibt es nicht. Ein ähnliches Problem existiert im Finanzbereich. Dort ist nicht nur das zentrale Risk Controlling integriert, sondern auch das Treasury, das eigene Marktrisiken eingeht. Eine unabhängige Überwachung ist so gar nicht möglich.

Andere Banken pflegen eine strikte Separation von Risiko und (bonusgetriebenem) Business, um mögliche Interessenkonflikte zu minimieren. Das gesamte Risikomanagement etwa ist bei der UBS direkt CEO Peter Wuffli unterstellt. Höchste Zeit, dass sich die Zürcher Kantonalbank diesen Industriestandard zum Vorbild nimmt.

«Das ist Steinzeit»

Bankenprofessor Hans Geiger empfiehlt der ZKB eine Teilprivatisierung.

BILANZ: Professor Geiger, was muss die ZKB vorkehren, um Skandale zu vermeiden?

Hans Geiger: Eine normale Bank werden, die Geld verdienen will ­ ohne Spezialgesetz, ohne Leistungsauftrag. Dieser ist sowieso ein Witz. Die ZKB müsste heute die Armen, die Reichen, die KMU, den Standort und noch viel mehr unterstützen: Das ist Steinzeit. Sonst wäre die Bank bestimmt nicht im Derivathandel aktiv.

Vielleicht braucht die ZKB nicht weniger, sondern mehr Grenzen.

__ Nein. Nicht das Derivatgeschäft ist das Problem, sondern mangelnde Kontrolle. Die Leitung muss sicherstellen, dass ihre Händler keine Kunden wie Sulzer angreifen. Wäre die Bank an der Börse kotiert, hätte sie sich wohl zurückgehalten.

Oder erst recht Gas gegeben, um den Aktienkurs hoch zu halten.

__ Der Imageschaden wäre messbar. Würde der Kurs der ZKB-Aktie nach einem Misstritt zum Beispiel um acht Prozent sinken, wäre die Bank schlagartig eine Milliarde Franken weniger wert. Die Aussicht auf messbare Abstrafung wirkt disziplinierend.

Sie wollen die ZKB privatisieren.

__ Das Parlament hat das Sagen über die ZKB und sollte deren Gesetz anpassen. Erstens: Der Kanton betreibt eine Bank und hält mindestens 34 Prozent an ihr. Zweitens: Die ZKB ist eine gewinnorientierte Universalbank. Mehr braucht es nicht.

Was hätten die Bürger davon?

__ Der Kanton hat neun Milliarden Franken Schulden, die ZKB ist zwölf Milliarden wert. Sogar wenn die Politiker die ganzen Einnahmen in tausend Kinderkrippen investierten, macht ein Teilverkauf Sinn. Kein Mensch legt sein ganzes Vermögen in einen einzigen Korb.


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