Der Niedergang

Schon vor Jahren wurde die UBS für ihr Geschäft mit zweifelhaften US-Hypotheken kritisiert. Doch die Schweizer Großbank glaubte an sich fast bis zur Selbstverleugnung. (Die Zeit, 19. Dezember 2007. pdf)

Vor rund zwei Wochen noch wies Marcel Ospel jegliche Verantwortung von sich. Eine „kleine Gruppe von Leuten in einem einzigen Team“ hätte die Verluste eingefahren, sagte der Chef der Schweizer Großbank UBS vor Investoren in London. Die Engagements seien für Kunden gedacht gewesen, wären dann aber in den eigenen Büchern gelandet. Von eigenem Versagen wollte der Bankmanager zu dieser Zeit nichts wissen. „Die betroffenen Händler und Chefs missachteten Größe und Qualität der Positionen, und die zentralen Riskmanager kannten zwar die Zahlen, wussten diese aber nicht richtig zu interpretieren.“

Engagement, Positionen, zentrale Riskmanager. Auch so kann man eine Katastrophe umschreiben. Mehr als 16 Milliarden Franken hatte die UBS mit Subprime-Krediten verloren, jenen berüchtigten US-Hypothekenpapieren zweifelhafter Bonität. Ausgerechnet die UBS. Der Finanzmulti mit Heimatbasis im helvetischen Bankenparadies galt als Inbegriff von Stabilität, sein Geschäftsmodell als überzeugend. Jedes Jahr machte er Rekordgewinne, zog mehr als hundert Milliarden neue Vermögensgelder aus aller Welt an. Längst war die UBS der bedeutendste Vermögensmanager der Welt. Selbst wenn die Wogen an den Finanzmärkten hochgingen, blieb der Schweizer Tanker auf Kurs.

Das war einmal. Inzwischen gibt Ospel zwar zu, er schäme sich für das, was in seinem Haus geschehen ist. Aber warum es passierte, ist nach wie vor offen. Dabei begann die Geschichte des Dramas schon vor einiger Zeit mit einer Warnung. Im Mai 2002 schrieben interne Risikospezialisten an zwei Mitglieder des obersten Managements der UBS, dass die Bank „eine riesige Immobilienposition aufgebaut“ habe und „vermutlich auf einem der größten Bestände aller Wallstreet-Banken“ sitzen würde. Der lag damals noch weit unter dem heutigen und betrug nach Aussagen Involvierter einige Milliarden Dollar. Marcel Rohner, damals Mitglied der Geschäftsleitung der UBS, habe daraufhin einen Stresstest des Hypothekenbestands durchführen lassen. Das Szenario sah vor, dass die Preise der US-Hypothekenpapiere um 20 Prozent abstürzten, was im Vergleich zum Kreditsturm der letzten Monate mit Einbrüchen von 30 Prozent und mehr keine mutige Annahme war. Trotzdem resultierte bereits aus diesem Planspiel ein Verlust von einer halben Milliarde Dollar.

Die Warner aus der zentralen Risikokontrolle wiesen insbesondere auf die Gefahr hin, die gewaltigen Bestände im Notfall nicht mehr rasch reduzieren zu können. „Für einen Ausstieg aus den Positionen sind realistischerweise sechs Monate bis ein Jahr nötig“, prophezeiten sie den Vorgesetzten vor fünf Jahren. Die aber zogen stattdessen vor, einem anderen Szenario zu glauben, das Heerscharen von Physikern und Mathematikern ausgetüftelt hatten, deren komplizierte Modellrechnungen mit viel geringeren Maximalverlusten rechneten.

„Die globalen Kreditmärkte liegen in der Größenordnung von etwa 100’000 Milliarden Dollar, der US-Subprime-Bereich bei 1000 Milliarden Dollar. Gemessen an der Bilanzgröße der UBS, waren Positionen von etwa zwei Prozent des Marktes für mich nicht überraschend“, sagt Markus Granziol heute. Er war bis 2001 Chef der Investmentbank-Sparte der UBS. Warum sich die Schweizer Großbank aber so stark in der Finanzierung von US-Immobilien engagierte, das „mit dem UBS-Kerngeschäft nichts zu tun“ habe, bleibe unklar, sagt Granziol.

Vielleicht war es der Wunsch nach Größe. Auch Bankanalysten ohne Insiderwissen fiel das enorme Wachstum der UBS-Bilanz frühzeitig auf. Während die Schweizer Großbank 1998 erst gut 900 Milliarden Franken Vermögenswerte auswies, waren es 2005 bereits mehr als 2000 Milliarden und Mitte 2007 sogar über 2500 Milliarden. Damit wurde die UBS, gemessen an den Vermögenswerten, zum „weltweit größten Unternehmen“, sagt Granziol. Die Frage war nur, ob es gut für sie war. Was im Sommer vor zwei Jahren in den Analyseabteilungen der Finanzindustrie zum Thema wurde, wischte UBS-Präsident Marcel Ospel damals vom Tisch. In einem Gespräch attackierte er seine Kritiker. „Wir würden doch nicht von Aufsichtsbehörden und Ratingagenturen für unsere Vorsicht ausgezeichnet, wenn wir eine übermäßig risikobelastete Bilanz hätten“, monierte Ospel im Juli 2005. „Unsere Führungsmannschaft, die das Unternehmen die letzten Jahre geleitet hat, ist unisono hoch risikoavers. Dafür sind wir bekannt im Markt. Wer immer etwas anderes kolportiert, schaut die Dinge nicht im richtigen Licht an.“

Wie anders klingt das heute. Ospel war während der vergangenen zehn Jahre die prägende Figur der UBS. Der 57-Jährige stammt aus einfachsten Verhältnissen, wuchs in Basel an der deutsch-französischen Grenze auf. Nach der Grundschule absolvierte er eine Banklehre, und um sein betriebswirtschaftliches Wissen zu erweitern, entschied er sich für ein dreijähriges Studium an einer Fachhochschule. Mitstudenten erlebten ihn als unauffälligen Mitläufer. Außer es ging um seine berufliche Zukunft. Dann habe sich Ospel mit seinem Anspruch hervorgetan, dereinst Chef einer großen Bank zu werden.

Wer lachte, lachte zu früh. Denn Ospel meinte es ernst. Für sein Vorhaben wählte er den Bankverein aus. Das Geldhaus war in den achtziger Jahren ins Hintertreffen geraten und drohte in der nächsten Konsolidierungsrunde übernommen zu werden. Ospel, der im Bankverein in kurzer Zeit eine steile Karriere bis in die Geschäftsleitung machte, stemmte sich gegen das vermeintliche Schicksal. Mutige Übernahmen, zu denen eine Derivateboutique in Chicago und die altehrwürdige englische Investmentbank SG Warburg zählten, brachten die Bank von „Swiss Cowboy“ Ospel, wie ihn die englische Presse schimpfte, zurück ins Spiel. Im Dezember 1997 holte er zum großen Schlag aus. Ospel überredete die Chefs der ungleich größeren und solideren UBS zum Zusammenschluss. 2001 wurde er dann in den Verwaltungsrat des Instituts und daraufhin zu dessen Präsident gewählt. Clever sorgte er dafür, dass an etlichen operativen Schalthebeln neben ihm auch seine langjährigen Weggefährten des Bankvereins wie Peter Wuffli Platz nahmen.

So kam es, dass dieser lange unterschätzte Banklehrling, ausgestattet mit einem außergewöhnlichen Ehrgeiz und Machthunger, fast im Alleingang einen der größten globalen Finanzkonzerne schmiedete. Gut möglich, dass gerade in diesem sagenhaften Aufstieg eine Erklärung für den dramatischen Absturz liegt. Ospel malte sich das scheinbar Unmögliche nicht nur aus, sondern packte es auch an, egal, ob es dabei um seine persönliche Karriere ging oder die Geschicke seiner Bank. Weil ihm das Glück lange Zeit hold war und nach schwierigen Durststrecken jeweils der große Preis winkte, breitete sich in ihm vielleicht ein Gefühl der Unbezwingbarkeit aus. Was er auch anfasste, so könnte Ospel nach den vielen Erfolgen überzeugt sein, musste sich am Ende in Gold verwandeln.

Nachdem ihm die Verschmelzung des Bankvereins mit der UBS geglückt war, rückten größere Ziele ins Blickfeld. Die Zeit schien für den Schweizer Bankmanager reif, aus der Alpenrepublik heraus die größten Finanzhäuser an der New Yorker Wall Street zu übertrumpfen. Vom sicheren Hafen der bedächtigen Schweizer Anlageberatung aus wollte Ospel die glitzernde Welt des Investmentbankings erobern. Dafür war er bereit, neue und ungleich größere Risiken einzugehen. Dass er selbst in seinem Berufsleben nur kurz für eine amerikanische Bank tätig war und die Untiefen des weltumspannenden Spekulierens nicht aus erster Hand kannte, schreckte den UBS-Lenker nicht ab. So kam es, dass Ospel einem hoch bezahlten Team amerikanischer Investmentbanker grünes Licht gab für ein Geschäft, das zu seiner seriösen Vermögensverwaltungsbank etwa so gut passte wie ein Neckermann-Anzug zu Giorgio Armani.

Ebenso wie Ospel galten die Spezialisten als beseelt vom Anspruch an die eigene Unfehlbarkeit. Das wurde ihnen bisweilen mit 50 Millionen Dollar jährlich vergolten, gut das Doppelte dessen, was sich ihr Vorgesetzter jeweils selbst zukommen ließ. Von 1998 an erwarben sie im großen Stil Pfandbriefe mit schlechter Schuldnerqualität, bündelten sie mit einigen Qualitätshypotheken und verkauften sie weiter. Ratingagenturen zeichneten die umverpackten Wertpapiere mit dem Label der sichersten Anlagekategorie aus. So durften selbst Pensionskassen die Altersanlagen ihrer Versicherten in solche Vehikel investieren.

Jahrelang lief das Geschäft. Und die UBS-Alchemisten, die glaubten, die Formel für Gold gefunden zu haben, wollten ihre Position um jeden Preis verteidigen. Weil das günstige Einkaufen und teure Wiederverkaufen von Subprime-Ware ein sicheres Geschäft schien, setzten sie zuletzt fast das gesamte Eigenkapital der Bank aufs Spiel. Als schließlich im August dieses Jahres die Blase im US-Hypothekenmarkt platzte, saß die UBS auf 45 Milliarden Dollar solcher Schrottpapiere.

Dieser Berg lässt sich nur allmählich abtragen. Nach den hohen Verlusten hat der Subprime-Bestand bei der UBS immer noch ein Volumen von rund 29 Milliarden Dollar. Spielraum nach unten bleibt reichlich vorhanden. Und nicht nur das – außerdem benötigt die Bank noch frisches Eigenkapital.

In der vergangenen Woche musste der traditionsreiche Finanzkonzern mit den drei schwarzen Tresorschlüsseln im Logo seiner Konkurrenz aus Singapur die Tore öffnen. Die Government of Singapore Investment Corporation (GIC), ein 200 Milliarden Dollar reicher Staatsfonds der asiatischen Finanzmetropole, kaufte sich für 11 Milliarden Franken in das Schweizer Unternehmen ein. Sollten die Aktionäre dem Deal im Februar zustimmen, gehören der GIC zukünftig neun Prozent der UBS. Damit wäre der Fonds der einflussreichste Eigentümer der UBS. Weitere zwei Prozent gingen an einen arabischen Ölstaat, dessen Name auf Wunsch des Financiers geheim bleibt. Und damit wäre die UBS, die einstige Ikone des Alpenstaates, nicht nur weniger erfolgreich, sondern auch noch weniger schweizerisch.


Einen Kommentar schreiben