Alle Chefs an Bord

Fünf Jahre nach der Pleite der Fluggesellschaft Swissair stellt die Schweiz ihre gefallenen Manager-Helden vor Gericht.

Die Jahrtausendwende war die Zeit der Wirtschaftsexzesse, die Gegenwart ist die Zeit ihrer juristischen Aufarbeitung. Was Enron für die USA und Mannesmann für Deutschland war, ist der Fall Swissair für die Schweiz. Seit Dienstag läuft der spektakuläre Strafprozess um die Pleite der Fluggesellschaft.

Noch nie in der Geschichte der Alpenrepublik wurde ein wirtschaftlicher Absturz derart aufwändig unter die Lupe genommen wie jener aus dem Herbst 2001. In den vergangen fünf Jahren verhörten die Untersuchungsbehörden Hunderte Zeugen, vernahmen Beschuldigte, schrieben Tausende Protokolle und hefteten alles fein säuberlich in insgesamt 4000 Aktenordnern ab. Schließlich brachte die Züricher Staatsanwaltschaft die komplette ehemalige Führungsspitze des Luftfahrt-Konzerns vor Gericht.

Unter den 19 Angeklagten befinden sich zahlreiche Mitglieder der früheren Schweizer Wirtschaftselite: Neben den beiden Swissair-Vorständen Mario Corti und Philippe Bruggisser auch Topbankiers, Spitzenpolitiker und Industriekapitäne aus dem Verwaltungsrat. Lukas Mühlemann beispielsweise, Exchef der Großbank Credit Suisse, gehört ebenso zu den Angeklagten wie Thomas Schmidheiny, Großaktionär des Zementmultis Holcim, und der ehemalige Privatbankier Benedict Hentsch. Allen wirft die Staatsanwaltschaft vor, wider besseres Wissen die Sanierung der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Fluggesellschaft zu lange hinausgeschoben zu haben – was den Gläubigern letztlich einen Schaden in Milliardenhöhe beschert habe. Einige der einst honorigen Verantwortlichen hätten zudem Dokumente gefälscht und kurz vor dem absehbaren Ende einigen Begünstigten noch schnell Geld zugeschanzt, heißt es in der mehr als 100 Seiten dicken Anklageschrift. Einem der Exchefs wird zudem Steuerhinterziehung vorgehalten.

Das Strafverfahren hält die Alpenrepublik bereits seit Wochen in Atem. Wie sonst nur bei großen Sportveranstaltungen, werden Tabellen mit den genauen Auftrittsdaten der Angeklagten publiziert. Auch das Gericht hat sich auf einen Ansturm der Massen vorbereitet. Der Prozess wird nicht in Zürich stattfinden, sondern in der benachbarten Kleinstadt Bülach, nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt. Dort wurde eigens eine Stadthalle gemietet, in der bis zu 1500 Personen Platz finden. »Es ist für alle – Richter, Staatsanwälte, Angeklagte, Verteidiger – eine enorme Belastung, in dieser Situation zu einem ausgewogenen Urteil zu kommen«, sagt Walter Stoffel, Professor für Handels- und Wirtschaftsrecht an der Universität Freiburg in der Schweiz.

Der öffentliche Druck ist enorm. »Die Verantwortlichen gehören verurteilt«, forderte etwa jüngst die SonntagsZeitung. »Wenn nicht reicht, was in diesem Fall vorliegt, dann soll man die Straftatbestände im Wirtschaftsrecht gleich abschaffen«, hieß es in der Zeitung weiter. Das Gericht sah sich schon veranlasst, die Medien schriftlich daran zu erinnern, dass alle Angeklagten »bis zum gesetzlichen Nachweis ihrer allfälligen Schuld« als unschuldig zu betrachten seien – eigentlich ja eine Selbstverständlichkeit in einem Rechtsstaat.

Aber die Swissair war ein Schweizer Heiligtum. Sie stand stellvertretend für eine unabhängige, erfolgreiche, qualitativ hochwertige Nation, die ihr Schicksal selbst bestimmen und auch in einer globalisierten Welt zu den Gewinnerinnen zählen würde. Rund 70 Jahre lang hatten die Flugzeuge mit dem weißen Kreuz auf der Heckflosse ein Stück Heimat in die Welt hinausgetragen. Für die Wirtschaftselite gehörte es lange Zeit zur Krönung der Karriere, in den Verwaltungsrat der Airline aufgenommen zu werden. Der aus der Schweiz stammende Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann war einige Jahre lang ebenso Teil des erlauchten Kreises wie das Spitzenpersonal anderer Großbanken. Politiker aus dem Wirtschaftskanton Zürich und dem Regierungssitz Bern trafen dort auf Vorsitzende führender Pharma- und Maschinenbaufirmen. Wem die Ehre zuteil wurde, über das Schicksal der Swissair bestimmen zu dürfen, war im Olymp des wirtschaftlich erfolgreichen Alpenstaates angelangt. Dass aber ausgerechnet derart hoch dekorierte Unternehmensführer die Swissair in den Ruin trieben, haben ihnen die meisten Schweizer bis heute nicht verziehen.

Mit einer waghalsigen Strategie hatten die Manager im Vorstand und Verwaltungsrat in den letzten Jahren der Swissair die bis zum Rand gefüllte Konzernkasse geleert und dafür gesorgt, dass die Gesellschaft mit mehr als zehn Milliarden Franken Schulden einknickte. Es war der einstige Konzernchef Philippe Bruggisser, der den Verwaltungsrat von der teuren Offensive überzeugt hatte. Unter seiner Führung beschloss die Swissair Anfang 1998, die viertgrößte Airline in Europa zu werden und ihre Konkurrenten British Airways, Lufthansa und Air France anzugreifen. Weil Bruggisser zuvor das Randgeschäft – unter anderem Catering und Flugzeugabfertigung – zu einem rentablen zweiten Standbein aufgebaut hatte, traute man ihm auch das zu. Bruggisser kaufte diverse europäische Fluglinien, um auch das kriselnde Kerngeschäft wieder zu beleben. Die neuen Partner sollten ihre Passagiere zum Swissair-Drehkreuz nach Zürich fliegen, damit diese für ihre Anschlussflüge in die bereitstehenden Großjets der Schweizer umsteigen.Doch was auf dem Papier Erfolg versprechend aussah, wurde in der Praxis zum Fiasko. Bruggisser ließ sich zu einer irrwitzigen Einkaufstour hinreißen und bezahlte horrende Summen für teilweise marode Airlines. So erwarb der Swissair-Chef einen Anteil am deutschen Chartercarrier LTU, was den Konzern in der Folge Hunderte von Millionen Franken für die Sanierung kostete. Ähnlich kostspielig waren die Beteiligungen an der französischen AOM und der belgischen Sabena. Schließlich wurde der lange Zeit unangefochtene Konzernlenker Bruggisser Anfang 2001 durch Mario Corti ersetzt.

Der Führungswechsel löste die Krise nicht. Corti, ein früherer Beamter und Finanzchef von Nestlé, hatte weder eine Ahnung vom Fluggeschäft, noch war er ein erprobter Sanierer. Und dann kam der 11. September 2001. Die Terroranschläge in den USA machten so gut wie allen Fluggesellschaften schwer zu schaffen, aber die Swissair war nicht mehr liquide genug, um den Schock zu überstehen. Nachdem der Bund eine Rettungsaktion ablehnte, ließ Corti den Flugbetrieb einstellen. Die Bilder gingen um die Welt: Die komplette Swissair-Flotte stand am Boden, Tausende Passagiere warteten an den Flughäfen. Ein nationaler Traum war zu Ende.

Wenig später gaben sich Spitzenpolitiker und Wirtschaftsführer einen Ruck und gründeten die Nachfolgegesellschaft Swiss International Air Lines. Der Neuanfang kostete vier Milliarden Franken, blieb aber erfolglos. Im Frühling 2005 verkauften die Schweizer die Aktien für symbolische 70 Millionen Franken der Lufthansa. Für die Deutschen entpuppte sich das Geschäft als Glücksfall. Unter ihrer Führung gelang es der Schweizer Airline, den Abwärtstrend zu stoppen: 2006 überschritt sie gar erstmals seit ihrer Gründung die Gewinnschwelle.

Die Blüte unter neuer Eigentümerschaft stimmt die Schweizer nicht milder gegen die angeklagten Swissair-Chefs. Im Gegenteil: Ihnen habe man es zu verdanken, dass nun die Deutschen vom Schweizer Qualitätsimage profitieren würden. Der Züricher Strafrechtler Daniel Jositsch warnt indes vor falschen Erwartungen an die Justiz. »Ins Gefängnis kommt auf jeden Fall niemand«, sagt er.

Tatsächlich scheint nicht einmal die Staatsanwaltschaft von einer Schuld im strafrechtlichen Sinn restlos überzeugt zu sein. Als Oberstaatsanwalt Andreas Brunner die Anklage präsentierte, sagte er öffentlich, die Swissair-Verantwortlichen seien »keine eigentlichen Wirtschaftskriminellen, sondern Menschen, die primär den Untergang der Swissair-Gruppe verhindern wollten«. Warum Brunner die Anklage trotzdem einreichte, bleibt deshalb sein Geheimnis. Vielleicht, damit die Schweiz bis zum Urteilstermin im April eine Frage beantworten kann: ob unfähiges Management bloß ein Übel ist. Oder auch ein Verbrechen.


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