Süsse Versuchung mit bitterer Note

Nach ihrem Expo-Erfolg wollte sie bei Nestlé Karriere machen. Doch mit ihrer eigenwilligen Art läuft Nelly Wenger beim Traditionskonzern auf.

Sie sei wie Churchill, sagte ihr einst ein Mitarbeiter. Immer im Krieg. Immer gehe es um den Sieg. Weil sonst nur die Niederlage bleibe.

Genau die droht ihr jetzt als Chefin von Nestlé Schweiz. Ihr Coup, die Revolution des Schweizer Schokolademarkts, ist zum grossen Flop geworden. Statt als Visionärin gilt Wenger heute als handwerkliche Pfuscherin. Als eine, die viel verspricht und wenig erreicht. «Die Neulancierung von Cailler hat sie falsch angepackt», urteilt Stefan Rüssli, Markenexperte bei Interbrand.

Dabei verlief Wengers Weg bislang steil nach oben. In einer ausweglosen Situation hatte sie die Leitung der Landesausstellung übernommen und das Kunststück vollbracht, die Expo.02 pünktlich zu eröffnen. Die Belohnung: Anfang 2005 übernahm sie bei Nestlé Schweiz die Verantwortung über knapp 1,5 Milliarden Franken Umsatz und 2000 Mitarbeitende in sieben Fabriken. Sofort wurde spekuliert, dass bald der Sprung in die Konzernleitung folgen könnte – als erste Frau in der 140-jährigen Nestlé-Geschichte.

Davon spricht heute niemand mehr. Mit ihrer Neulancierung von Cailler hat sich Wenger bei allen wichtigen Gruppierungen in die Nesseln gesetzt: bei der konservativen Klientel der Nestlé-Marke Cailler, die nichts wissen will von den trendigen neuen Plastikverpackungen von Stararchitekt Jean Nouvel; bei den Umweltbewegten, die den PET-Abfallberg der neuen Schokolade kritisieren; bei Denner als zweitwichtigstem Absatzkanal, der spottet, er verkaufe Schokolade und keine Verpackung; und bei den Mitarbeitenden, deren Warnungen sie in den Wind geschlagen hatte und die jetzt ihren arroganten Führungsstil kritisieren.

Das ganze Ausmass des Schlamassels ist dieser Tage in den Läden zu beobachten. Statt einen Zuschlag für Premiumprodukte verlangen zu können, müssen die gestylten Cailler-Schokotafeln der Käuferschaft mit Aktionen angedreht werden.

Die Nestlé-Managerin, die kommenden Dienstag 51 Jahre alt wird, steht für Fragen nicht zur Verfügung. Dabei ist sie über Nacht zum Synonym für abgehobenes Management geworden. Gegen aussen wirkt Wenger zwar überaus selbstsicher. Im Innern aber wird sie möglicherweise von Versagensängsten geplagt. Wenger, so sagt jedenfalls ein Weggefährte aus der Expo-Zeit, lebe ständig unter der Befürchtung, den selbst gesteckten turmhohen Ansprüchen nicht gerecht zu werden.

Als ältestes Kind musste sie von klein auf die Verantwortung für ihre sechs Geschwister übernehmen. Sie kannte nie etwas anderes als Befehlen, Vorangehen. Auch heute will sie jeden Entscheid allein fällen, und sei er noch so unbedeutend. Fast zwanghaft. Sie schafft es nicht, nach dem Grundsatzbeschluss die Verantwortung für die Ausführung zu delegieren. Denn dadurch würde sie die uneingeschränkte Kontrolle abgeben müssen. Wenger ist überzeugt, dass allein sie Gewähr für einwandfreies Gelingen bietet.

Den Leistungsdruck schraubt sie unerbittlich in die Höhe. Bei der Expo ging das so weit, dass aus Vormittagsbesprechungen Marathonsitzungen bis Mitternacht wurden. «Nelly hielt uns zurück, notfalls mit endlosen Monologen», berichtet ein Mitglied des einstigen Kaders. «Keiner konnte es sich erlauben, einfach aufzustehen und zu gehen, bevor sie zufrieden war mit dem Ergebnis. Das verschaffte ihr Respekt, war aber nur möglich, weil alle um die Endlichkeit des Projekts wussten.»

Sie konnte es sich leisten: Ohne ihre Chefin, urteilen mehrere Beteiligte, hätte es keine Expo gegeben. René Stammbach, der als Mitglied der Expo-Direktion direkt an Wenger rapportierte, sagt im Rückblick: «Wenger war den meisten überlegen, sowohl mit ihrer Intelligenz als auch mit der Schaffenskraft.» Ex-Pressesprecherin Marina Villa sagt: «Nelly hat keine Angst, sich unbeliebt zu machen. Sie ist robust, kann einiges wegstecken.»

Als Wenger das Steuer von Nestlé Schweiz übernahm, ging ein Raunen durch das Unternehmen. Die Auswärtige, die noch nie einen Chefposten in der Wirtschaft besetzt hatte, erhielt gleich die Leitung des Marktes Schweiz – einen der prestigeträchtigsten und begehrtesten Jobs beim Nahrungsmittelkonzern. Wengers Vorgänger waren bei Amtsantritt 27 beziehungsweise 38 Jahre im Unternehmen.

Bei Wengers Berufung spielte Konzernchef Peter Brabeck eine entscheidende Rolle. Stolz kolportierte Wenger im Expo-Umfeld, wie Brabeck sie um ihren Erfolg angesichts des medialen Dauerbeschusses und Budgetkürzungen bewundere. Sie sei, so war Brabeck überzeugt, die Richtige, um im stagnierenden Markt Schweiz für neuen Schub zu sorgen. So sehr war Brabeck auf seine Idee fixiert, dass er auf die übliche eingehende Prüfung der Kandidatin verzichtete. So blieb dem Nestlé-Boss der eigenwillige Führungsstil der Expo-Chefin verborgen.

Umso mehr bekamen ihn ihre Mitarbeiter zu spüren, allen voran jene des Bereichs Schokolade. Diese hatten in den Monaten vor Wengers Amtsantritt detailliert die Neupositionierung der Marke Cailler ausgearbeitet, die in den letzten Jahren an Boden verloren hatte. Doch kaum war Wenger am Drücker, stoppte sie die fertige Kampagne. «Ohne Angabe von objektiven Gründen», sagt ein ehemaliger Cailler-Manager. «Alles, was sie sagte, war, dass ihr der Auftritt nicht gefalle.»

Zwei Kulturen prallen aufeinaner: hier Nelly Wenger, die Herrscherin über die Expo-Budgets, die One-Woman-Show, die sämtliche Zügel in der Hand hält und alle Entscheide der Zielerreichung, unterordnet; dort alteingesessene Nestlé-Manager, die sich an kollegialen Umgangston und Teamwork gewöhnt sind und bei denen nicht die Person, sondern die Produkte die Stars sind. Ihre über die Jahrzehnte gelebte Kultur fusst auf sieben Punkten, die 1997 erstmals im Dokument «Die grundlegenden Management- und Führungsprinzipien von Nestlé» zusammengefasst wurden: Ehrlichkeit, Respekt, Direktheit, Pragmatik, Offenheit und Flexibilität, Qualität, Loyalität zur Firma.

Wechsel auf allen Kaderstufen

Davon sei unter Nelly Wenger nicht mehr viel übrig geblieben, sagt eine langjährige Mitarbeiterin: «In den Sitzungen provozierte und attackierte sie die ihr Unterstellten, alles gestandene Leute mit einem grossen professionellen Background. Statt mit ihnen zu diskutieren und ihre Argumente anzuhören, beleidigte Frau Wenger sie. Dabei hatte sie als Outsiderin keine Ahnung, wie der Laden lief. Aber das war ihr offenbar egal. Hauptsache, sie konnte ihren Willen durchsetzen.» Eine Umfrage in Wengers erstem Nestlé-Jahr zeugte von Verunsicherung und Stress im Personal. Statt den Ursachen auf den Grund zu gehen, wurde den langjährigen Mitarbeitern Mühe mit Veränderungen unterstellt.

Auf allen Kaderstufen kam es daraufhin zu Wechseln. Der Cailler-Marketingchef musste nach 14 Dienstjahren das Büro räumen, später auch sein Vorgesetzter, der Cailler-Markenchef. Ersetzt hat ihn Rainer Müller, ein Weggefährte Wengers aus dem Expo-Team. Der Chef von Findus und Frisco (Tiefkühlprodukte, Glaces) liess sich nach nur einem Jahr nach Asien zurückversetzen. In ihrem Kontrollwillen erhöhte Wenger die Zahl der Direktunterstellten von unter 10 auf 14. Sie führte eine Matrixorganisation ein und beschnitt damit die Kompetenz der Produktechefs. «Das Problem ist nicht, dass sie den Laden aufmischen wollte. Sondern dass sie es derart egomanisch getan hat», sagt einer, der ihretwegen ging.

Für die Kaderleute war Wengers Botschaft unmissverständlich: Wer sich ihr in den Weg stellt, muss gehen. «Wo liegt das Problem?», fragt ein Nestlé-Verwaltungsrat, der sich nur anonym zu Wengers Führungsstil äussern will. ««Follow me or get out of my way» lautet die Formel vieler Spitzenmänner. Nur bei Frauen wird immer gleich ein Riesentheater gemacht, wenn sie Stärke markieren.»

Als Expo-Architekt und Wenger-Freund Jean Nouvel die neuen Cailler-Verpackungen intern präsentierte, waren die Warner schon nicht mehr an Bord. Die Verbliebenen wollten sich nicht mit Kritik exponieren. So protestierte niemand über das viele umweltbelastende PET, keiner erhob die Hand gegen die horrenden Kosten, die durch Produktionsumstellungen ausgelöst wurden. Selbst als bekannt wurde, dass die neuen Frigor-Schachteln nur mit teurer Handarbeit abgefüllt werden können, blieb es mucksmäuschenstill in den Sitzungen. Auch als Wenger darauf verzichtete, die gestylten Produkte an Testkonsumenten auf Akzeptanz zu prüfen: Das ist Nellys Kind, sagten sich die frustrierten Mitarbeiter, sie soll damit brillieren oder untergehen.

Es liegt nicht nur an Denner

Auch auf ihrem vermeintlich ureigenen Gebiet, der Kommunikation, unterliefen Wenger gravierende Fehler. Kurz nach der Lancierung der neuen Produkte frohlockte sie über verdoppelte und verdreifachte Cailler-Umsätze. Als im Juni bekannt wurde, dass es sich um ein Strohfeuer gehandelt hatte und die Verkäufe inzwischen um ein Drittel eingebrochen waren, versteckte sie sich hinter ihren Adlaten.

Diese verschlimmerten die Lage, indem sie den Crash allein mit dem Wegfall von Denner begründeten. Laut einem Nestlé-Insider machen die Denner-Verkäufe aber nur 14 Prozent des Umsatzes aus und nicht 30, wie offiziell verkündet wurde. Somit ist klar: Die neuen Cailler-Produkte bleiben bei Coop und anderen Detaillisten massenweise in den Regalen liegen.

Mit einschneidenden Folgen: Bereits im nächsten Jahr wollte Wenger die übrigen Marken ihres Bereichs revitalisieren. Doch für die Senftube Thomy, Tiefkühlpro- dukte von Findus oder Glaces von Frisco fehlen die 15 bis 20 Millionen, die mit dem missglückten Cailler-Relaunch die Rhone runtergeflossen sind, sagt ein Insider.

Wenn die neue Cailler-Schokolade in den nächsten Monaten nicht wider Erwarten zum Erfolg wird, geht das Experiment Nelly Wenger bei Nestlé vorzeitig zu Ende. Wer weder Umsatz noch Gewinn steigert, hat beim Nahrungsmittelkonzern ein frühes Verfallsdatum. CEO Brabeck und seine Konzernleitung haben gemerkt, dass die Selbstdarstellerin nur für eine Marke arbeitet: die eigene.

Die Frau, die mit Churchill verglichen wurde, war für die Landesausstellung, als es um alles oder nichts ging, die richtige Wahl. Sie ist es nicht für Nestlé. Denn dort herrscht kein Krieg.


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