Ein netter Oligarch

Victor Vekselberg ist der zweitreichste Russe und geschäftet unbehelligt vom Kreml. Von Zürich aus.

Das leerstehende Terrassenhaus ganz oben am Zürichberg strahlt nur wenig Glamour aus. Es stammt aus den fünfziger Jahren, ist aus grauem Beton und wird von einem wuchtigen Kamin in der Mitte beherrscht. Ausgerechnet in dieser Liegenschaft – und nicht in einem der mondänen Patrizierhäuser in der Nachbarschaft – kauft Victor Vekselberg, einer der reichsten Männer der Welt, eine zweistöckige Attikawohnung. Für die geschätzte Summe von fast lächerlichen 5 Millionen Franken. «So was könnte sich jeder Schweizer Durchschnittsmillionär auch leisten», kommentiert ein Zürcher Immobilienhändler, der das Objekt kennt. «Andere reiche Russen lachen sich eine 1500-Quadratmeter-Villa an.»

Doch das würde nicht zu Vekselberg passen, mit einem Vermögen von 6 Milliarden Dollar derzeit Russlands zweitreichster Tycoon. Der 47-Jährige stellt eine Ausnahme unter Moskaus Oligarchen dar. Statt als Fussballpräsident oder Politiker das Scheinwerferlicht zu suchen, versucht Vekselberg, seinen Geschäften möglichst ungestört vom öffentlichen Interesse nachzugehen. Neu auch von Zürich aus, wohin er kürzlich einen Teil seiner Aktivitäten verschoben hat. Victor Vekselberg wird von Vertrauten als bescheidene Persönlichkeit beschrieben. Seine Wohnung in Moskau sei kein Prunkbau, für die Sommerferien halte er sich zwar eine Datscha ausserhalb der russischen Hauptstadt, doch dort sei er lediglich Mieter. Seine Tochter studiert standesgemäss an der Yale-Universität in den USA, auch sein Sohn ist an einer US-Hochschule immatrikuliert, doch das gilt in Vekselbergs Kreisen kaum als Luxus. Im amerikanischen Connecticut kaufte der Oligarch für fünf Millionen Dollar ein weiteres Haus – auch das angesichts seines Vermögens eine Mini-Investition. Über eine Verstrickung in mafiose Machenschaften, wie sie bei anderen Oligarchen Russlands kolportiert werden, war bei Vekselberg nie die Rede.

Will ein schwerreicher Ausländer in die Schweiz ziehen, versucht er in der Regel, mit den Steuerbehörden einen Deal abzuschliessen. Das tat auch Vekselberg. In Zürcher Beamtenkreisen ist zu erfahren, dass mit dem Milliardär eine Pauschalbesteuerung im üblichen Rahmen vereinbart wurde. Laut Immobilienexperten bedeutet das, dass das Einkommen auf das Fünf- bis Siebenfache des Mietwerts der bewohnten Liegenschaft festgelegt wird. Im Falle von Vekselberg entspräche das rund 1,5 Millionen Franken. Davon würde etwa eine halbe Million im Säckel des Staates landen. Was für den Milliardär ein Trinkgeld ist, stellt für den Kanton Zürich eine willkommene Zusatzeinnahme dar.

Mit einem Teil seines Firmenimperiums ist Vekselberg schon seit langem in der Schweiz tätig. Doch gekannt hat ihn praktisch niemand. Das änderte sich schlagartig, als vor zwei Wochen die Handelszeitung mit der Schlagzeile «Flucht vor dem Kreml» über die Verlegung von Vekselbergs Geschäftssitz nach Zürich berichtete. Die Zeitung verwies auf die Zerschlagung des Yukos-Konzerns des ehemals reichsten russischen Oligarchen Michail Chodorkowksi und zog daraus den Schluss, dass Vekselberg seine Aktiven rechtzeitig im Ausland ins Trockene bringen wolle. «Völlig falsch», sagt Vekselbergs Pressesprecher Andrei Shtorkh. «Victor hat oft mit mir über Yukos gesprochen und nie das Gefühl gehabt, Vorkehrungen zur Sicherung seines Vermögens treffen zu müssen. Im Unterschied zu anderen Oligarchen hat er nie politische Ziele verfolgt. Weshalb sollte er plötzlich ins Visier von Präsident Putin geraten?» Laut Shtorkh bleibt der Hauptsitz von Vekselbergs Renova-Gruppe in Moskau. In der Zürcher City werde lediglich ein Schweizer Ableger installiert. Von hier aus sollen Aktivitäten in der Schweiz und allenfalls später in Europa kontrolliert und gesteuert werden.

Eines dieser Investments ist eine Beteiligung von 13 Prozent an der Schweizer Immobilienfirma Züblin. «Damit wollen wir erste Erfahrungen im Immobiliengeschäft sammeln», begründet Shtorkh den überraschenden Kauf des Aktienpakets. «Das könnte helfen, falls wir in Zukunft im russischen Immobilienmarkt tätig würden.» Weitere Akquisitionen seien derzeit nicht geplant. Eine Flucht Vekselbergs würde tatsächlich keinen Sinn ergeben, weil der russische Staat trotzdem Zugriff zu dessen Erdöl- und Aluminiumwerken hätte. Die Fabrikationsanlagen müssen nämlich per Gesetz einer in Russland domizilierten juristischen Person unterstehen. Eine Verstaatlichung ausländisch beherrschter Tochtergesellschaften wäre demnach auch nach einem Umzug des Hauptsitzes in die Schweiz weiterhin möglich. Die zwei wichtigsten Aktiven von Vekselbergs Renova-Gruppe sind die Unternehmen Sual und TNK-BP. Sual ist mit über 60000 Angestellten die zweitgrösste russische Aluminiumgruppe und zählt zu den weltweit zehn grössten Aluminiumfirmen. Der Umsatz betrug 2003 rund 1,7 Milliarden Dollar, Gewinnzahlen werden keine publiziert, da die Firma Vekselbergs Privatfirma Renova gehört. Das grösste Standbein der Renova ist die russisch-englische TNK-BP, die drittgrösste Erdölfirma des Landes. Sie beschäftigt 100000 Menschen und erzielte 2003 einen Gewinn von 2,8 Milliarden Dollar. Renova besitzt einen Minderheitenanteil an TNK-BP. In der Schweiz war Vekselberg bisher vor allem mit der Firma Aluminium Silicon Marketing in Zug aktiv. Hier verkaufen ein paar Dutzend Spezialisten jährlich Hunderttausende von Tonnen Aluminium und Silikon aus den riesigen Sual-Werken in Nord- und Ostrussland an westliche Industriemultis. In der steuergünstigen Zuger Tochtergesellschaft fällt der Grossteil des weltweiten Sual-Ertrags an. Weil sich der Aluminiumpreis zuletzt auf einem Mehrjahreshoch bewegte, erzielte Vekselbergs Zuger Tochter jüngst Traumrenditen.

Der Grossunternehmer Vekselberg verhält sich cleverer als andere berühmte Oligarchen wie Michail Chodorkowski und Roman Abramowitsch. Er engagiert sich in der russischen Gesellschaft, sitzt in wichtigen Industrieverbänden und überlässt die Politik den Parteien. Nicht wie Chodorkowski, der seit über einem Jahr im Gefängnis sitzt und dessen Erdölfirma Yukos, einst das wertvollste Unternehmen Russlands, vom Staat auseinander gerissen wurde. Chodorkowski drohte den Kreml-Herrschern mit der Gründung einer eigenen Partei. Die aufgescheuchte Machtelite konstruierte einen Steuerhinterziehungsskandal und zog den Geschäftsmann samt seiner Firma aus dem Verkehr. Das Kunststück mit den Eiern Der Kreml machte deutlich, dass er wenn nötig jeden Oligarchen schachmatt setzen kann. Aus der Zeit der wilden Privatisierungen Mitte der neunziger Jahre würden sich bei allen Oligarchen genug Beweise für halblegale Geschäfte finden, um die privatisierten Industriewerke mit konstruierten Gerichtsverfahren zurück zu verstaatlichen.

Das weiss auch Vekselberg. Statt sich mit dem Machtapparat anzulegen, suchte der Doktor der Mathematik einen Weg, um Putin milde zu stimmen. Vor Jahresfrist landete er einen Coup, der ihm das Wohlwollen des Präsidenten sicherte. Für geschätzte 100 Millionen Dollar kaufte Vekselberg der amerikanischen Verlegerfamilie Forbes die berühmte Kollektion der Fabergé-Kunsteier ab. Wenige Monate später hätten die Kunstwerke an einer Auktion versteigert werden sollen. Vekselberg will die Fabergé-Eier in Wanderausstellungen dem Publikum zugänglich machen. Seither gilt der Oligarch als Retter russischen Kulturerbes. In einem Interview mit der Moskauer Wirtschaftszeitung Vedomosti antwortete er im April 2004 auf die Frage, ob der Kauf der Fabergé-Eier eine Wohltätigkeitsaktion zur Besänftigung des Kremls gewesen sei: «Mit Sicherheit nicht. Ich bin oft im Ausland unterwegs und weiss deshalb, dass wir Russen einen miserablen Ruf in der Welt haben. Das gilt sowohl für die Firmen als auch für die russische Gesellschaft als Ganzes. Man vertraut uns nicht, und die Verantwortlichen der grossen russischen Unternehmen leiden unter einem zweifelhaften Image. Mein Ziel ist es, Russland als verlässlichen Partner in der Weltgemeinschaft einzuführen. Misslingt uns das, bleiben wir für immer unterentwickelt.»

Mit Vekselberg verfügt Russland über einen angesehenen Botschafter. So ist der Milliardär seit Jahren ein gerngesehener Gast am World Economic Forum in Davos, auch dieses Jahr wird er im Bündner Skiort erwartet. Im Unterschied zu anderen Oligarchen suchte Vekselberg stets Partnerschaften, sei es in Russland oder im Ausland. Für Schlagzeilen sorgte er mit der Fusion seiner Erdölfirmen mit den russischen Aktivitäten von British Petroleum zur TNK-BP. Das war eine der ersten grenzüberschreitenden Fusionen grossen Stils. Einer von Victor Vekselbergs engsten Geschäftspartnern ist sein Schulfreund Len Blavatnik, der in den achtziger Jahren in den USA eine steile Managerkarriere gemacht hatte und zu einem ansehnlichen Vermögen kam. Dieses investierte er ab 1990 in Russland. Blavatnik hatte das Kapital, Vekselberg das Renommee und die Strategie, um innert einem Jahrzehnt eine der mächtigsten Industriegruppen Russlands aufzubauen. Nun wollen Vekselberg und seine Partner von Zürich aus den europäischen und amerikanischen Markt erobern.


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