Raiffeisen zahlte über eine halbe Milliarde für Notenstein

Der Notenstein-Kauf war wesentlich teurer als die kolportierten 155 Millionen Franken. Der Sonntag, 19. August 2012

Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz erweckt den Eindruck, die Bank Wegelin zum Schnäppchenpreis erworben zu haben. 155 Millionen Franken Goodwill habe er für über 20 Milliarden Wegelin-Kundenvermögen bezahlt, das entspreche nur 0,75 Prozent der Vermögen, sagte er diese Woche.

Tatsächlich hat Vincenz ein Vielfaches davon auf den Tisch gelegt. Allein die Substanz der Wegelin & Co. AG, in welcher die Reingewinne der Bank Wegelin der letzten gut zehn Jahre angespart worden waren, betrug per Ende 2011 rund 400 Millionen. Diese gehörten etwa 200 bis 300 Wegelin-Angestellten sowie den Teilhabern und den Angehörigen der Wegelin-Familie.

Als Wegelin im Januar verkauft wurde, einigten sich Vincenz und die beiden Wegelin-Chefpartner Konrad Hummler und Otto Bruderer auf 360 Millionen für die besagte Wegelin & Co. AG. Das sagt eine mit den Vorgängen vertraute Quelle. Demnach erhielt Vincenz 10 Prozent Rabatt auf den Sub stanzwert dieser Wegelin-Gesellschaft.

Für die Überweisung der Kaufsumme einigten sie sich auf ein dreistufiges Vorgehen. Per Abschluss des Deals wurden 160 Millionen fällig, diese überwies die Raiffeisen von Vincenz sofort. Der Rest von 200 Millionen wurde in zwei Tranchen zu je 100Millionen aufgeteilt. Die einen 100 Millionen blieben für eine allfällige Busse aus Amerika reserviert, die anderen 100 Millionen für allfällige Mängel an der übernommenen Wegelin.

Für die beiden 100-Millionen-Tran- chen brauchte es sofort eine Bank. Wegelin-Vertrauensmann Peter Nobel, ein bekannter Zürcher Wirtschaftsanwalt, gelang es in kürzester Zeit, zwei Escrow-Konten bei der UBS zu eröffnen. Dabei handelt es sich um Guthaben, auf die die Verkäuferin Wegelin nur mit Einwilligung von Käuferin Raiffeisen zugreifen kann. Neben dem Substanzwert zahlte Vincenz zusätzlich noch 155 Millionen Goodwill für die Kunden von Wegelin. Somit kam ihn der gesamte Deal, mit dem er seinen lange gehegten Wunsch eines Einstiegs ins Schweizer Private Banking schaffte, auf über eine halbe Milliarde zu stehen.

Vincenz will die gesamte Kaufsumme weder bestätigen noch dementieren. «Wir haben 155 Millionen für die Wegelin-Kundenvermögen bezahlt, das haben wir jetzt ausgewiesen», sagte der Raiffeisen-CEO gestern. «Hinzu kommt ein Preis für die Substanz, darunter die Liegenschaften. Dieser ist noch nicht endgültig fixiert, und ich möchte ihn auch nicht offenlegen.»

Für die 200 bis 300 begünstigten Wegelin-Mitarbeiter hat sich Vincenz als ausgezeichnete Wahl entpuppt. Sie erhielten seit Abschluss der Transaktion bereits drei Auszahlungen für ihre Aktien an der Wegelin & Co. AG.

Ein erstes Mal wurden die Begünstigten kurz nach dem Deal beglückt. Damals erhielten sie für den Verkauf ihrer Aktien an die Raiffeisen einen Barbetrag von rund 150 Franken ausgeschüttet, wie aus Wegelin-Kreisen verlautet. Zwei weitere Ausschüttungen kamen hinzu. Für die Wegelin-Mitarbeiter, die heute grösstenteils bei der Notenstein Privatbank angestellt sind, hat sich die US-Anklage somit als monetärer Glücksfall entpuppt.

Noch besser sieht die Lage für die früheren Wegelin-Mitarbeiter vor dem Hintergrund der neuen Löhne innerhalb der Raiffeisen-Gruppe aus. Durch den Zukauf der Privatbank führte Raiffeisen de facto ein Dreiklassensystem ein. Wie sich aus dem aktuellen Halbjahresbericht herausrechnen lässt, beziehen die rund 700 Privatbanker ein Durchschnittsgehalt von 205 000 Franken pro Jahr. An der Raiffeisenbasis, den gut 300 Genossenschaften mit 8000 Beschäftigen, beträgt der Lohndurchschnitt weniger als die Hälfte, nämlich 96 000 Franken. Dazwischen liegen die rund 1800 Mitarbeiter von Raiffeisen Schweiz, der Zentralbank in St. Gallen, der Pierin Vincenzvorsteht. Sie kommen auf einen Lohnschnitt von knapp 170 000 Franken.


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